zum Hauptinhalt
Czaja/Lederer

© Briska Shaways/Bearbeitung Tagesspiegel

„Klaus“ und „Mario“: Treffen sich ein Linker und ein Christdemokrat in einer Marzahner Kirche

Bei einem gemeinsamen Auftritt loten der linke Ex-Kultursenator Lederer und CDU-Politiker Mario Czaja Gemeinsamkeiten aus. Über einen Abend, der zeigt, was im Osten ohne Unvereinbarkeitsbeschluss möglich wäre.

Stand:

Der heimliche Held des Dienstagsabends hielt sich im Hintergrund. Wer auch immer vor einigen Wochen bei der Organisation einer gemeinsamen Lesung von Klaus Lederer und Mario Czaja auf die Idee kam, diese in einer Kirche durchzuführen, ist als Visionär zu bezeichnen.

Die angenehme Kühle der Krankenhauskirche im Wuhlgarten in Berlin-Marzahn bot für zwei Stunden Zuflucht von der aufgeheizten Stadt, die zwei grundverschieden politisch eingestellte Männer auf der Bühne dafür nutzen, sich trotz aller inhaltlicher Differenzen ungewöhnlich harmonisch anzunähern.

Klaus Lederer und Mario Czaja dienten der Hauptstadt beide als Senatoren. Lederer unter Rot-Rot-Grün als Kultursenator, Czaja, zwischenzeitlich CDU-Generalsekretär, unter Rot-Schwarz von 2011 bis 2016 als Senator für Gesundheit und Soziales. Beide erlebten innerhalb des vergangenen Jahres eine Art Bruch.

Gemeinsame Veranstaltung in Marzahn: Mario Czaja und Klaus Lederer.

© Briska Shaways

Lederer erklärte gemeinsam mit weiteren Berliner Spitzen-Linken des sogenannten Realo-Flügels nach einem Antisemitismus-Eklat im Oktober den Austritt aus der Linkspartei. Czaja hingegen, der jahrelang CDU-Rekordergebnisse in seinem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf eingefahren hatte, unterlag bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar denkbar knapp seinem AfD-Kontrahenten Gottfried Curio und verlor wegen der fehlenden Absicherung über die Landesliste sein Bundestagsmandat.

Zwei Ex-Senatoren, die zwei Bücher geschrieben haben. Beide wollen sie die Welt retten oder zumindest Deutschland. „Mit Links die Welt retten“, heißt das Werk von Lederer, „Wie der Osten Deutschland rettet“, das von Czaja. „Der Konservative Mario Czaja und der Linke Klaus Lederer könnten kaum unterschiedlicher sein – und genau deshalb reden sie miteinander“, steht in der Programmankündigung.

In Marzahn wird an diesem Abend vor allem eines deutlich: Die Unterschiede sind da, natürlich. Alles andere wäre auch merkwürdig beim Aufeinandertreffen eines Linken und eines Konservativen. Aber sie sind bei weitem nicht unüberbrückbar. Auf der Bühne nennen sie sich „Klaus“ und „Mario“, immer wieder fällt der Satz „auch da haben wir eine Parallele“.

Jenseits des Trennenden das Verbindende suchen

„Was schätzt ihr am jeweils anderen?“, will der Moderator wissen. „In einer Krise miteinander reden und zu gucken, was jenseits des Trennenden auch das Verbindende ist. Er ist sehr pragmatisch, das schätze ich sehr an ihm. Man kann zuhören, man kann voneinander lernen“, antwortet Lederer.

Czaja hebt den „sehr selbstkritischen Umgang“ von Lederer mit seiner eigenen Partei gegen „alle Widerstände“ hervor, „das habe ich immer sehr an dir geschätzt“. Im Abgeordnetenhaus sei es nie einfach gewesen, gegen Lederers Rhetorik anzukommen. „Du hattest immer eine Form von entwaffnender Selbstironie“, sagt Czaja, „das hat mich beeindruckt“.

Du hattest immer eine Form von entwaffnender Selbstironie

Mario Czaja (CDU) über Klaus Lederer

Das Publikum quittiert die gegenseitigen Lobeshymnen gleichermaßen mit Applaus. Es ist nicht auszumachen, ob die Zuschauer vor allem wegen Lederer gekommen sind oder wegen Czaja. Oder einfach beide gemeinsam auf der Bühne sehen wollen.

Je länger das Gespräch andauert, desto antiquierter kommt einem der existierende Unvereinbarkeitsbeschluss der Union gegenüber der Linkspartei vor. Zumindest an diesem Abend in der Marzahner Kirche.

Der Beschluss sei laut Czaja aus unterschiedlichen Gründen „ganz falsch“. Vor allem in Ostdeutschland habe man es nicht mit einer extremen Linken zu tun, sagt der CDU-Politiker, vielmehr handele es sich um „eine besondere Prägung der Sozialdemokratie“.

Die beiden Politiker in der Krankenhauskirche am Unfallkrankenhaus Marzahn.

© Briska Shaways

Die „Hufeisentheorie“ setze extreme Linke und extreme Rechte gleich und verharmlose damit letztlich vor allem die AfD, erklärt Czaja. Und: „Bodo Ramelow war als Ministerpräsident keinen einzigen Tag eine Gefahr für die Demokratie, Björn Höcke wäre es schon am ersten“. Applaus in der Kirche, ein Mann im Publikum ruft laut „Genau“.

Vor allem in ihren Strategien, die AfD zu bekämpfen, sind sich beide inhaltlich nahe. Partizipation sei das Zauberwort. „Das Versprechen von Demokratie ist nicht das Versprechen eines ständig wachsenden Wohlstandes. Das Versprechen ist vielmehr, mitreden zu können, sich einbringen zu können“, sagt Lederer.

Strategien für Ostdeutschland

„Klaus hat da ein ganz wichtiges Thema angesprochen“, erklärt sein Gegenüber. Die AfD sei eine „zutiefst autokratische Partei“ und „wenig partizipatorisch“. Czaja plädiert für Bürgerräte, die die Demokratie abseits der klassischen Parteienstrukturen auf eine neue Basis heben.

Schließlich geht es um ihre Visionen für das weiter real existierende Ungleichgewicht zwischen Ost und West. Auch hier sind sich Links und Konservativ näher als gedacht. Es brauche eine Ost-Quote, sagt Czaja, „nur so hätte der Osten auch künftig in Deutschland wirklich etwas zu sagen“. Dann rezipiert er Zahlen aus seinem Buch, die das Problem deutlich machen.

Klaus hat da ein ganz wichtiges Thema angesprochen.

Mario Czaja (CDU) über Klaus Lederer

Von den 100 größten ostdeutschen Unternehmen sind nur 20 Prozent der Leitungsebenen ostdeutscher Herkunft. Ganz zu schweigen von Beamten und Staatssekretären in den Bundesministerien. „Stellen Sie sich das mal andersherum vor“, regt der CDU-Politiker an, wenn nur 20 Prozent aller Unternehmensleitungen in Bayern Bayern wären, „Söder und Dobrindt würden von der Kolonialisierung Bayerns durch Ostdeutschland sprechen“.

Lederer wiederum gibt zu bedenken, dass es nicht „die homogene ostdeutsche Sichtweise“ gibt. Die Perspektiven sind vielfältig, dennoch brauche es natürlich mehr Repräsentanz. „Da sind wir uns einig“, sagt er.

„Könnt ihr euch vorstellen, irgendwann zusammen an einem Kabinettstisch zu sitzen?“, will der Moderator zum Abschluss wissen. „Jederzeit“, sagt Czaja, „er war ein guter Kultursenator“.

„Mit Mario könnte ich mir das gut vorstellen“, sagt Klaus. „Es gibt Menschen in der Berliner CDU, mit denen ich mir den Kaffee am Kabinettstisch nicht teilen will, aber die gibt’s auch in meiner alten Partei“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })