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Hoffnung aufs Frühjahr. Vor allem die Gastronomie wartet auf sinkende Infektionszahlen und eine Lockerung der Corona-Maßnahmen.

© imago images/Hohlfeld

Update

Konjunktur erholt sich langsamer als erhofft: Drei Viertel der Unternehmen in Berlin und Brandenburg massiv unter Druck

Die steigenden Preise und die massive Lieferkettenprobleme belasten die Unternehmen in und um Berlin. Zudem leiden Firmen unter Fachkräftemangel.

Im Tal des Todes, einer Wüste in Ostkalifornien, ist es am heißesten, am trockensten und am tiefsten. In diesem Tal sei man mit der wirtschaftlichen Entwicklung in der Metropolregion zwar nicht mehr, sagte der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK), Jan Eder, „aber auch noch längst nicht an der sonnigen Küste.“

Der konjunkturelle Aufschwung in Berlin und Brandenburg hat einen deftigen Dämpfer erlitten – so lautet die Analyse aus dem jährlichen Konjunkturbericht, den die Wirtschaftskammern aus Berlin und Brandenburg am Mittwoch gemeinsam präsentierten. Dafür gebe es drei Gründe: steigende Preise bei Energie und Rohstoffen, massive Lieferengpässe und Personalmangel.

Und so ist laut IHK der Geschäftsklimaindex im Vergleich zum vergangenen Herbst und zum langjährigen Durchschnitt auf 116 gesunken. Er spiegelt das Ergebnis der IHK-Konjunkturumfrage von rund 2000 Unternehmerinnen und Unternehmern in Berlin und Brandenburg in einem Wert wider.

Dabei setzt er sich aus den Umfrageergebnissen zur aktuellen Geschäftslage und zu den Geschäftserwartungen zusammen. Laut der Umfrage sind 91 Prozent der Unternehmen in beiden Bundesländern von Preisanstiegen betroffen, 48 Prozent sogar „in erheblichem Maße“. 86 Prozent klagen über Lieferschwierigkeiten und bei Dreiviertel der Befragten sinken die Erträge.

Jedes dritte Unternehmen kann Aufträge nicht abarbeiten

„Jedes dritte Unternehmen kann Aufträge nicht abarbeiten, 13 Prozent müssen Aufträge sogar ablehnen, wegen steigender Preise und Lieferproblemen“, beschreibt Eder.

Ein Blick auf die Branchen zeigt: Das Baugewerbe in der Region blieb stabil, der Handel wiederum steht nur einigermaßen gut da, weil die Online-Anbieter die schwerwiegenden Verluste des stationären Einzelhandels auffingen, die Industrie „schlägt sich wacker“, sei aber naturgemäß besonders von den Preisanstiegen bei Energie und Rohstoffen betroffen.

Gastgewerbe 60 Prozent unter den Umsätzen vor der Pandemie

Das Gastgewerbe darbt weiterhin, die Firmen liegen laut Bericht 60 Prozent unter den Umsätzen, die sie vor Beginn der Pandemie gemacht haben. Vor allem die wieder verstärkten Corona-Maßnahmen hätten die „geschäftliche Dynamik“ gebremst. Drei von vier Betrieben beurteilten die Lage als schlecht.

Vor allem die Preisanstiege und die Lieferschwierigkeiten haben dem Konjunkturbericht zufolge enorme Auswirkungen auf die meisten Unternehmen in der Region. So sei derzeit der „stärkste Anstieg der Erzeugnisse seit der statistischen Aufzeichnung in Deutschland zu verzeichnen“, hieß es in dem Bericht. Vor allem die Industrie und das Baugewerbe bekommen dies zu spüren.

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So rechne man im Bau wegen der stark steigenden Preise mit einer nachlassenden Nachfrage. Insgesamt gelte, dass es durch die Lieferschwierigkeiten zu Verzögerungen in den Betriebsabläufen und damit zu längeren Wartezeiten oder gar zum Produktionsstopp kommt. Deshalb sähen die Unternehmen – vor allem im Bau und in der Industrie – eher pessimistisch in die Zukunft. Ein Fünftel der Befragten rechne mit schlechteren Geschäften. „Frühestens in der zweiten Jahreshälfte, vielleicht auch erst 2023, wird es wohl besser“, sagte Eder.

In der Grenzregion zu Polen zeige sich noch eine besondere Situation, ergänzte der Chef der IHK Ostbrandenburg, Gundolf Schülke: Hier seien die Tankstellen-Besitzer und -Pächter in einer „eklatant schlechten Lage“, denn an der polnischen Grenze gebe es aufgrund der Gegenmaßnahmen in Polen, wie Steuerreduzierungen, extreme Preisunterschiede: Der Treibstoff an den Tankstellen dort ist so viel günstiger, dass dies auf deutscher Seite nicht aufzufangen sei.

24 Prozent der Berliner Gastro-Betriebe mussten Leute entlassen

Während sich die Gastronomie in Brandenburg stabil hält und auch nicht mit sonderlichen Verschlechterungen rechnet, sieht es in Berlin anders aus. Zwar setzen sowohl Gastronomie als auch Handel auf die kommenden Monate und darauf, dass die Infektionszahlen sinken und dadurch die Corona-Maßnahmen massiv gelockert werden.

Jan Eder ist Hauptgeschäftführer der Berliner Industrie- und Handelskammer in Berlin.
Jan Eder ist Hauptgeschäftführer der Berliner Industrie- und Handelskammer in Berlin.

© Rainer Kurzeder/IHK

Beide Branchen signalisierten auch, dass sie mehr Personal einstellen wollen. Doch hier zeigt sich ein Unterschied in der Hauptstadt: Die Zahl der Unternehmen in der Gastronomie, die Beschäftigte entlassen müssen, ist von neun auf 24 Prozent gestiegen. „Damit verlangsamt sich der Stellenzuwachs“, hieß es bei den Kammer-Vertretern.

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Nicht nur, aber auch im Gastgewerbe, ist das Fehlen von qualifiziertem Personal ein großes Problem. „Den Fachkräftemangel nennen inzwischen rund drei Viertel der Betriebe als größtes Hindernis für ihren Unternehmenserfolg. Noch im Frühsommer 2021 hat dies nur rund die Hälfte der Betriebe so gesehen. Dementsprechend hält der generelle Trend zum Personalaufbau in Berlin und Brandenburg an – wenn auch mit deutlichen Unterschieden in der Dynamik je nach Branche und Region“, sagte Gundolf Schülke.

Neueinstellungen geplant: Der Handel ist optimistischer

Vor allem beim Handel sei man aber guter Dinge und rechne mit Neueinstellungen. Hier hob der Ostbrandenburger IHK-Chef noch einmal hervor, dass der Wegfall der 2G-Regelung im Einzelhandel – in Brandenburg seit diesem Mittwoch – zur Verbesserung der Lage beitrage.

Warum man in Berlin so zögerlich agiert und die angekündigte Abschaffung der 2G-Regel erst kommende Woche umgesetzt wird, war bei den Vertretern nicht nachzuvollziehen.

Doch wie steht die Wirtschaft in der Region insgesamt zu Lockerungen und einer Öffnungsperspektive, die momentan öffentlich diskutiert wird? „Wenn es nach einzelnen Branchen geht, dann herrscht die Linie: alles öffnen und zwar möglichst sofort, vor“, sagte Eder. Doch er finde diese Diskussion „eine ganz schwierige Entscheidung“, führte er aus und sagte: Er sehe die Lage so, dass man es derzeit „mit einer Grippe zu tun habe, die ansteckender ist, als die vorher bekannte Grippe, aber lange nicht so gefährlich wie sie zu Beginn war“.

Dennoch sei es ein Spagat, den die Politik hier machen müsse. „Im Grunde geht es darum, wie viele Tote man bereit ist in Kauf zu nehmen für eine Öffnung“. Eder betonte, dass er froh sei, dass er diese Entscheidung nicht treffen müsse.

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