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Baustelle Atelier. Die Kreuzberger Künstlerin Susanne Piotter produziert ihre Betonskulpturen und Siebdrucke in Oberschöneweide.

© Mike Wolff

Kunst in Oberschöneweide: Das Festival Transformart lockt in alte Industriehallen

Lego und Zement: Beim Kunstfestival Transformart in Oberschöneweide zeigt Susanne Piotter ihre Beton-Artefakte

Dass bunte Legoplättchen und grauer Hochleistungszement gut miteinander können, da muss man auch erstmal drauf kommen. Nach ihrem Einsatz als Gussform für eine weitere Betonskulptur unterziehen sich die Legosteinchen im schwarzen Mörteleimer einem ausgiebigen Reinigungsbad. Und die Kunstarchitektin Susanne Piotter klopft sich den Staub aus den Klamotten.

Feingliedrig wirkt sie, ein wenig scheu, dabei scheut sie vor keiner „verdammten Drecksarbeit“ zurück, ihr Atelier in Oberschöneweide kann sich binnen Sekunden in eine höllische Baustelle verwandeln, drei Handwerkerkoffer stehen auf dem Boden, „Bohrmaschine, Akkuschrauber, Stichsäge“, was man halt so braucht. Schon als Kind hat sie viel mit Lego und Werkzeugkasten gespielt.

2017 holte sie den Kunstpreis Worpswede

2015 hat Piotter in Wien und Steglitz ausgestellt, 2016 war sie auf den Printbiennalen in Lodz und Bukarest, 2017 holte sie mit ihren in Beton gegossenen, sakral wirkenden Autobahnkreuzen den Kunstpreis Worpswede. Am heutigen Donnerstag muss sie nur ein paar Schritte vor die Tür gehen, um nach ihren Werken zu sehen. Dann beginnt die Transformart, das nach den 48 Stunden Neukölln größte Festival der freien Kunstszene Berlins, allerdings im Gegensatz zu Neukölln ohne staatliche Förderung. Vier Tage lang bespielen 80 Künstler aus Berlin und dem Rest der Republik vier Hallen des ehemaligen Transformatorenwerks an der Wilhelminenhofstraße 83, außerdem öffnen drei Atelierhäuser auf dem Gelände. Mindestens 500 Kunstwerke sind zu sehen, außerdem vier skulpturale Konzerte zu hören, beim Eintrittspreis von fünf Euro (Dauerkarte!) kein schlechter Deal.

Eine Betonskulptur von Susanne Piotter.
Eine Betonskulptur von Susanne Piotter.

© Mike Wolff

Susanne Piotter ist zum zweiten Mal dabei, für ihre Beton-Artefakte interessieren sich besonders Männer, sagt sie, und natürlich Architekten. Auch der Verkauf läuft gut, die frei interpretierbaren Gebilde finden auf jedem Regalbrett Platz, und Beton ist ja ohnehin schwer in Mode gekommen. Wer sich was an die Wand hängen möchte, kann sich mit Piotters siebgedruckten, aber digital entworfenen Fantasielandschaften anfreunden. Ihre Kunstproduktion läuft mindestens zweigleisig, studiert hat die gebürtige Düsseldorferin Grafik und Bühnenbild.

Prominente Künstler heben den Ruf - und die Preise

Mit das Beste an Oberschöneweide ist für Piotter das tägliche Rad-Pendeln von ihrem Wohnort Kreuzberg. Dort hat sie bis vor zwei Jahren auch gearbeitet, aber inzwischen würden für Ateliers 20 Euro pro Quadratmeter verlangt, „Wahnsinn“, sagt sie. Auch in Oberschöneweide ziehen die Preise an, auf zehn Euro in ihrem Fall. Aber dafür gibt es mehr Freiräume und eine inspirierende Künstlergemeinschaft, allein in ihrem Atelierhaus Xtro arbeiten 40 Maler, Bildhauer, Fotografen und Videokünstler.

Im ehemaligen Transformatorenwerk beginnt am Donnerstagabend das Festival.
Im ehemaligen Transformatorenwerk beginnt am Donnerstagabend das Festival.

© Mike Wolff

Bei der ersten Ausgabe von Transformart vor einem Jahr wurden die Künstler noch eingeladen, diesmal mussten sie sich bewerben, mehr als 100 wollten mitmachen, erzählt Anett Münnich aus dem Organisationsteam. Dieser Andrang ist erwünscht, „wir wollen wachsen“ und an Ausstrahlung gewinnen. Daher ist es nicht schlecht, dass demnächst das Atelierhaus von Bryan Adams eröffnet und Ólafur Elíasson den Umbau einer hässlichen Betonhalle für künstlerische Zwecke vollendet. Prominente Zuzügler sind das beste Lockmittel für solvente Sammler und ihre Einflüsterer. Bei der Transformart sind große Namen nicht dabei, das ist aber auch gar nicht der Anspruch.

Hier lebt noch der Berlin-Spirit

Oberschöneweide befindet sich selbst im Transformationsprozess, von stillgelegter Industrieproduktion in eine Künstler- und Kreativkolonie. Die vier Ausstellungshallen gehören zum Nachlass von Elektropolis, der AEG-Stadt der Familie Rathenau. An den Wänden lassen sich die Relikte alter Pump- und Elektroanlagen bestaunen, ihrer ursprünglichen Funktion beraubt und gleichzeitig wie geschaffen zur Vermittlung des weltweit gefragten Berlin-Spirit. Hier ist noch alles echt, auch die Patina, die Wasserflecken und der Staub, der sich immer wieder ansammelt. So viel morbide Authentizität ist den Künstlern und ihren Galeristen etwas suspekt, daher wurden seit Montag die Hallen geputzt, einige Wände gestrichen, da und dort Leitungen verlegt. Sonst mäkeln am Ende doch wieder die Kritiker über Oberschöneweide und seine grottige Subkultur.

Die Daten: 28. Juni - 1. Juli. Wilhelminenhofstraße 83. Eintritt 5 Euro, für Kinder frei. Programm: transformart.de

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