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Berlins Regierender Bürgermeister und Parteivorsitzender Michael Müller beim Landesparteitag der SPD in Berlin.

© dpa/Silas Stein

Landesparteitag: Ein bisschen Burgfrieden in der Berliner SPD

Michael Müller hat auf dem SPD-Parteitag seinen Führungsanspruch bekräftigt, Raed Saleh blieb moderat. Lange dürfte das nicht halten.

Von Sabine Beikler

Es war kein Parteitag der langen Messer. Ein bisschen Burgfrieden ist wiederhergestellt zwischen SPD-Fraktionschef Raed Saleh und SPD-Parteichef Michael Müller. Der wird nur nicht auf Dauer halten. Müller hat am Sonnabend auf dem SPD-Parteitag im Hotel Interconti seinen Führungsanspruch deutlich gemacht, Saleh hat in seiner Rede nicht provoziert, sondern moderate, fast schon devote Töne angeschlagen. Seine „Schlacht“ findet am Dienstag in der Fraktionssitzung auch erst noch statt. Deshalb gefällt einem führenden Genossen, der die Partei gut kennt, dieses Bild von Müller und Saleh: „Die beiden stehen sich wie bei ,Kill Bill' gegenüber und halten sich die Messer gegenseitig an die Kehle.“

Eine Personaldebatte fand an diesem Sonnabend nicht statt. Und viele Genossen, die vor dem „Saal Potsdam“ im Foyer für je drei Euro Kartoffelsuppe mit oder ohne Würstchen oder eine Bulette mit Beilage verzehrten, hatten einfach auch „keine Lust mehr mitzubekommen, dass sich die Partei zerlegt. Wir wollen inhaltlich diskutieren.“ Nach dem kritischen Brief von zwei Parteifreunden aus dem Saleh-Lager an Müller und dem Brief von 14 Fraktionsmitgliedern an ihren Vorgesetzten Saleh sehen einige zwar ein Patt. Aber mittelfristig wird die Machtfrage irgendwann wieder aufgerufen. Die Vorstandswahlen stehen nächstes Jahr im Juni an. Dort entscheiden die Delegierten, die bei den anstehenden Vorstandswahlen in den Kreisverbänden gewählt werden. Und spätestens ab Januar werden wieder hinter den Kulissen die Fäden für Mehrheiten gezogen. Müller kündigte am Sonnabend an, dass es Veränderungen im Landesvorstand geben werde.

Müller will "dusselige Facebook-Kommentare" nicht mehr dulden

Zimperlich sind die Genossen in der Vergangenheit nicht miteinander umgegangen. Deshalb sagte Müller vor den 241 Delegierten nachdrücklich, dass er „dusselige Facebook-Kommentare und diese Spielchen“ nicht mehr dulde. Mitarbeiter im Roten Rathaus dürften nicht mehr als „Müllers Speichellecker“ tituliert werden. Der Parteichef forderte eine „konstruktive, sachliche Auseinandersetzung“ ein. „Lasst Euch von meinen Mundwinkeln nicht abschrecken“, frotzelte Müller und erhielt dafür Applaus.

Für die künftige Zusammenarbeit sei es wichtig, „wie wir miteinander umgehen. Wir sind die Partei der Solidarität und könnten auch miteinander damit anfangen.“ Er forderte „offene Debatten“. Und er ging auch auf seine Zusammenarbeit mit Saleh ein. Sicher, es gebe unterschiedliche Politikstile. „Und wir müssen auch nicht wie das Doppelte Lottchen durch die Stadt laufen.“ Aber Saleh und er „müssen konstruktiv miteinander umgehen“. Durchaus selbstkritisch sagte er, dass diese Botschaft auch bei ihm angekommen sei. Wenn sich jedoch der Senat zum Beispiel für die Erhaltung von Arbeitsplätzen für Air-Berlin-Mitarbeiter einsetze, „erwarte ich für den Senat auch die Unterstützung der Fraktion“. Dafür bekam Müller starken Beifall.

Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, gab sich in seiner Rede moderat.
Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, gab sich in seiner Rede moderat.

© oto: Silas Stein/dpa

Die Zusammenarbeit mit Müller griff Saleh in seiner Rede auf: „Ja, lieber Michael, Partei, Senat und Fraktion müssen gemeinsam an der Sache orientiert anpacken, und gemeinsam müssen wir uns aus dem Tal herausmanövrieren.“ Die SPD habe in Kiezen und in Ostdeutschland Wählervertrauen verloren. „Wir alle tragen daran Verantwortung“, sagte Saleh. Die Schulen müssten saniert werden, die Verwaltungen würden nicht funktionieren. „Wir müssen hier dringend liefern.“ Und Orte in Berlin müssten wieder sicherer werden. Saleh kam auch auf seinen Vorstoß zu sprechen, die zerstörte Synagoge am Fraenkelufer wieder aufzubauen. „Wer Schlösser bauen kann, kann auch Synagogen bauen.“ Es war eine Initiative, die mit Müller nicht abgesprochen war. Der schaute Saleh von der Seite an, verzog keine Miene und applaudierte dreimal nur sehr kurz. Von den Delegierten erhielt Saleh deutlich weniger Beifall als Müller.

Saleh ist angeschlagen. 14 von 38 Fraktionsmitglieder erwarten am Dienstag eine offene Debatte über Diskussionskultur, Pressearbeit und Führungsstil ihres Vorsitzenden. „Wir wollen keine Revolte, aber wir müssen das ausdiskutieren“, sagte einer der Unterzeichner. Nein, eine Revolte wird es nicht geben. Und es steht zurzeit auch niemand bereit, der Saleh gegebenenfalls als Fraktionschef folgen könnte. Eine theoretische Debatte. Saleh hat weder seinen Rückzug angekündigt, noch wurde dieser von den Unterzeichnern des Schreibens gefordert. Aber es wird schon durchgezählt: Zu den 14 Verfassern des Briefes kommen vier SPD-Senatoren mit Mandat hinzu, plus SPD-Parlamentspräsident Ralf Wieland. Und offenbar drei oder vier weitere SPD-Abgeordnete, die nicht öffentlich unterzeichnen wollten. Deshalb könne sich Saleh einer Mehrheit in der 38-köpfige Fraktion nicht sicher sein. Angefangen als Fraktionschef hatte er 2011 mit einem fast 90-prozentigen Vertrauensvorschuss.

Müller musste bangen, ob der Leitantrag des Landesvorstands zur Sicherheitspolitik abgestimmt wurde. Nach stundenlanger Diskussion ging er in die Bütt. So „ganz rund“ sei der Antrag noch nicht, aber Themen wie Sicherheit, Wohnen, Bildung, Gesundheit oder Wohnen seien doch wichtig als gemeinsamer Appell. Auch seine Forderung nach einem solidarischen Grundeinkommen ist darin festgeschrieben. Aus dem Leitantrag wurde ein „Impulspapier“, das noch einmal in den SPD-Gliederungen diskutiert wird. Müller zeigte Führungsanspruch. Aber ein starkes inhaltliches Signal, das von einem Parteitag ausgehen sollte, war das nicht.

KRITIK AN SIEMENS

Die Berliner SPD verabschiedete eine Resolution zur angekündigten Schließung von Siemens-Standorten in Berlin und Ostdeutschland. In Berlin seien hunderte von Arbeitsplätzen betroffen. Die Partei forderte von dem Konzern ein Bekenntnis zu den Standorten. SPD-Parteichef Michael Müller nannte es einen „Affront“, dass Siemens den Wegfall von Standorten in Ostdeutschland ausgerechnet am 9. November, dem Jahrestag des Mauerfalls, angekündigt hatte.

MIETERSCHUTZ UND WOHNUNGEN

Die Partei hat einen Antrag zur Wohn- und Mietenpolitik verabschiedet. Berlin soll eine neue Modernisierungsförderung mit mindestens 70 Millionen Euro pro Jahr aufsetzen. Die Modernisierungsumlage, die auf die Mieter umgelegt wird, soll aber abgeschafft werden. Der Anteil von landeseigenen Wohnungen soll auf 500 000 Wohnungen erhöht werden. Privatisierung von kommunalem Eigentum soll verfassungsrechtlich ausgeschlossen werden. Berlin soll sich außerdem auf Bundesebene für eine Änderung des Baurechts einsetzen, damit Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten komplett untersagt werden.

KONTROVERSE LEITDEBATTE

Auf der verabschiedeten Konsensliste stand auch ein Antrag, statt einer Leitkultur gemeinsame Grundwerte für ein vielfältiges Miteinander zugrundezulegen. Eine Leitkultur von links zu definieren sei kontraproduktiv, autoritär und widerspreche dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes. Der Antrag kam aus Charlottenburg-Wilmersdorf, einem Müller-freundlichen Kreisverband. SPD-Parteichef Michael Müller hatte sich in seiner Rede zu Beginn des Parteitags ebenfalls gegen eine Leitkultur gewandt: „Ich brauche keine Leitkulturdebatte.“ Das war ein klarer Angriff gegen SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der in seinem Buch „Ich deutsch“ eine neue deutsche Leitkultur fordert.

… UND DIE PORNOS?

Die Forderung der Berliner Jusos, staatliche Fördermittel unter anderem über die Filmförderung für feministische Pornos bereitzustellen, wurde auf dem Parteitag am Samstagabend in die Arbeitskreise Bildung, Gesundheit und Kultur verwiesen. Die Jusos beziehen sich auf die staatliche Förderung in Schweden von „Dirty Diaries“, einer feministischen Film-Pornosammlung in Kurzfilmen. Der SPD-Arbeitskreis Kultur hatte sich schon gegen den Juso-Antrag ausgesprochen.

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