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Lücken schließen - warum nicht sonnabends?

© dpa/Matthias Balk

Exklusiv

Lernlücken schließen statt Sitzenbleiben: Erste Berliner Schule öffnet nun auch samstags

Die Hellersdorfer Mozart-Schule führt einen freiwilligen zusätzlichen Schultag ein, um ihre Schüler besser zu fördern. Bundesweit sind Konzepte gefragt.

Es ist der schönste Tag der Woche, er schwebt zwischen Werktag und Sonntag: Der Sonnabend hat viele Facetten – und nun könnte eine weitere hinzukommen. Denn bundesweit überlegen Schulen, den sechsten Tag der Woche zu Hilfe zu nehmen, um Corona-Lerndefizite abzubauen.

In Berlin hat sich jetzt die erste Schule dazu entschlossen: Nach den Osterferien macht die Hellersdorfer Wolfgang-Amadeus-Mozart-Schule (WAMS) den Anfang.

„Die Idee ergab sich aus dem Elternstammtisch“, sagt Heike Gabriel, die den Grundschulteil der Gemeinschaftsschule leitet. Man habe überlegt, wie die Zahl der potentiellen Sitzenbleiberzahl gesenkt werden könne. Zu der Zeit hatte gerade Bildungsstadtrat Gordon Lemm (SPD) den Sonnabend ins Spiel gebracht.

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Konrektor Michel Neu erfand dann das Motto: „Samstag ist Wamstag“. Von da aus war es nicht weit zur Lösung des Hauptproblems, nämlich der Finanzierung zusätzlicher Unterrichtsstunden.

Denn in einem Dilemma stecken alle gemeinsam: Die rund 26 wöchentlichen Stunden, die Lehrer:innen zu unterrichten haben, reichen nur, um den Pflichtunterricht zwischen Montag und Freitag abzudecken. Für den Samstag muss deshalb anderes Personal mit anderen Finanzierungsquellen gewonnen werden.

Inzwischen wurde die Lösung gefunden: Der Schul-Förderverein bezahlt den Unterricht für die Schüler:innen, die – anders als Kinder aus armen Familien – nicht mit Hilfe des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) unterstützt werden können.

Nicht nur arme Kinder sollen unterstützt werden

„Es müssen alle Kinder gefördert werden – nicht nur die BuT–Kinder“, steht für die Schulleitung fest, zu der neben Gabriel und Neu auch Schulleiter Martin Klimont gehört. Alle drei Pädagogen werden an den Samstagen zwischen den Oster- und Sommerferien im Wechsel in der Schule als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Die Förderstunden selbst erteilen Mitarbeiter:innen des Nachhilfe-Instituts Studienkreis – die Teilnahme ist freiwillig.

Die Devise lautet „Aufholen statt Wiederholen“: Klassenwiederholungen sollen möglichst vermieden werden. Zumal die Schule keinen Platz für viele zusätzliche Sitzenbleiber hat – da geht es der Mozart-Schule nicht viel anders als all jenen Berliner Schulen, in denen viele Klassen schon voller sind als empfohlen. Schulleiter wollen daher das Sitzenbleiben eindämmen.

Das Konzept der Schule wird zu Wochenbeginn HIER auf der Homepage veröffentlicht.

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Vielerorts erteilen Studierende den Förderunterricht

Während die Mozart-Schule kurzerhand selbst eine Lösung gefunden hat, den Schüler:innen zu helfen, wird auf Bundes- und Landesebene noch um belastbare Finanzierungswege gerungen. Allerdings gibt es bereits Leuchttürme, die zeigen, wo es lang gehen könnte. So stellte Hamburg vergangene Woche ein ambitioniertes Konzept vor, bei dem in Zusammenarbeit mit der Zeit-Stiftung Schüler zwei bis vier Stunden pro Woche Nachhilfe erhalten können. Hier werden vor allem Lehramtsstudierende angeworben. Allerdings soll das Programm erst nach den Sommerferien starten, weil es werktags in das reguläre Unterrichtsgeschehen eingebettet werden soll.

"Corona-Coaching" nennt es die Schule in der Köllnischen Heide

Das erscheint vielen Verantwortlichen zu spät angesichts der immensen Lernlücken, die sich auftun. So hat die Schule in der Köllnischen Heide längst Studierende verpflichtet, um jeder Klasse wöchentlich vier Stunden zusätzliches „Corona-Coaching“ angedeihen zu lassen, erläutert Schulleiterin Astrid-Sabine Busse. Sie beklagt allerdings, dass es „sehr umständlich“ sei, die BuT-Gelder dafür zu beantragen.

Noch mehr ärgert Busse sich allerdings darüber, dass es das Bund-Länderprogramm erst nach den Sommerferien geben kann, weil zunächst die Lernlücken erhoben werden sollen. „Das macht mich irre“, sagt Busse, die der Interessenvertretung der Berliner Schulleitung vorsitzt. Die Defizite seien klar, man solle jetzt nicht noch mehr Zeit durch derartige Erhebungen verlieren.

Neue Verpflichtung zur Lernstandserhebung

Die Bildungsverwaltung hingegen betont die Notwendigkeit von Lernstandserhebungen. In einem Schreiben an alle Schulen, das dem Tagesspiegel vorliegt, sind 13 verschiedene Instrumente aufgeführt, mit denen sich – je nach Klassenstufe – Lernstände ermitteln lassen.

„Die Schulen sollen nach Ostern von diesen Lernstands- und Diagnostikinstrumenten Gebrauch machen“, lautet die Empfehlung der Bildungsverwaltung. Zum neuen Schuljahr werde es „verpflichtende Lernstandserhebungen geben“.

Der Anteil der Schüler:innen, die coronabedingt Lernrückstände und andere Defizite haben, wird bundesweit auf 20 Prozent geschätzt. Allein in Berlin wären das etwa 65.000 Kinder und Jugendliche, für die man an den allgemeinbildenden Schulen etwa 6500 Mentor:innen brauchen würde – für ganz Deutschland etwa das Zehnfache. Daher verhandeln Bund und Länder über ein Ein- bis Zwei-Milliardenpaket für die Lernförderung.

Zum Vergleich: In Großbritannien, den USA und Niederlanden wurden solche Programme bereits verabschiedet – in vielfach größerem Umfang.

Da es nicht genügend Lehrkräfte gibt, wird erwogen pensionierte Pädagog:innen, Lehramtsstudent:innen sowie Nachhilfe-Institute hinzuzuziehen. Letztgenannten Weg geht Mecklenburg-Vorpommern. Hamburg hingegen setzt stärker auf Studierende. Allerdings beginnt das Hamburger Programm erst im neuen Schuljahr.

Was die Nachhilfeinstitute vorschlagen

Das erscheint den Nachhilfe-Instituten zu spät. Anfang Februar hatten sich sechs von ihnen – Studienkreis, Abakus, Schülerhilfe, Lernwerk, Lernstudio Barbarossa sowie der Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschulen – stellvertretend für alle Nachhilfe-Institute an Bund und Länder gewandt und drei Sofort-Bausteine vorgeschlagen:

  • 10 bis 20 Doppelstunden pro Schüler „Sofort-Nachhilfe“ gegen akute Lücken
  • Bei größeren Lücken kontinuierliche Förderung von ein bis zwei Doppelstunden pro Woche bis Schuljahresende
  • Sommerschule zur Wiederholung und Absicherung der Grundlagen für das nächste Schuljahr.

Anders als von den Instituten erhofft, hatte die Kultusministerkonferenz auf ihrer März-Sitzung keinen diesbezüglichen Beschluss gefasst.

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