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Die Kostümbildnerin Lisy Christl bei den British Academy Film Awards 2025 in London.

© IMAGO/Cat Morley / Avalon

Die Kardinäle tragen Balenciaga : Berliner Kostümbildnerin Lisy Christl steckt hinter den Kostümen für „Konklave“

Lisy Christl war bereits zwei Mal für einen Oscar nominiert. Bei einem Treffen in ihrem Atelier im Prenzlauer Berg fordert sie mehr Respekt für Kleidung.

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Es ist die menschliche Oberfläche, mit der sich Lisy Christl tagein, tagaus beschäftigt. Gleichzeitig sind es die Geschichten, die zu den ganz persönlichen Oberflächen führen. Dass das alles andere als oberflächlich ist, wird, zumindest in Deutschland, häufig unterschätzt. „Es gibt in keiner anderen Sprache das Wort ‚Klamotte‘“, stellt die aktuell wohl gefragteste deutsche Kostümbildnerin fest. Die abfällige Beschreibung über das, was einen ersten Eindruck bedingt, geht ihr gehörig gegen den Strich.

„Generell ist mir Sprache wichtig und generell ist es mir wichtig, was man am Körper trägt, und ich verstehe nicht, warum sich die Menschen in unserem Sprachkreis weniger Mühe zu geben scheinen“, erklärt sie an einem sonnigen Montag in ihrer Atelier-Wohnung im Prenzlauer Berg und stellt mit Blick aus dem Fenster fest: „An einem schönen Frühlingstag gehe ich auf jeden Fall lieber in Paris spazieren“. 

Lisy Christl weiß, wovon sie spricht: Etliche Preise hat sie für ihre Arbeit mit der Oberfläche gewonnen. Zweimal – zuletzt 2025 für Edward Bergers Vatikan-Thriller „Konklave“ – wurde sie für den Oscar nominiert. Bis hierhin ist klar: Das schafft man nicht mit einer oberflächlichen Vorstellung von Oberfläche. Lisy Christl geht es um den Respekt vor selbiger und um ein Verständnis, warum sich Menschen für eine Oberfläche entscheiden. Ein Kredo, das ihre Arbeit bestimmt: „Manchmal erdichte ich mir Vergangenheiten für die Rollen selbst, weil sich Geschmack, oder modische Details von Menschen meistens irgendwoher ableiten lassen.“ Nicht zuletzt, dass dieses Konzept auch auf die vermeintlich uniformen Kostüme katholischer Nonnen und Kardinäle zutrifft, macht sie zur Meisterin ihres Fachs.

Der britische Schauspieler Ralph Fiennes spielt den Kardinal Lawrence, der das Konklave im gleichnamigen Film leitet.

© imago/Landmark Media

Nach dem Tod des Papstes, reisen in dem Film „Konklave“ Geistliche aus allen Ecken der Welt nach Rom, um dort die neue Spitze der katholischen Kirche zu bestimmen. Die Geschichte spielt im Jetzt und ist dennoch ein Historiendrama, die dicken Mauern des Vatikans werden nicht verlassen. Die Bilder, die der Schweizer Regisseur Edward Berger hier kreierte, erinnern an Renaissance-Gemälde. Sie erzählen von vergangenem Prunk, von veralteten Traditionen und sind zugleich entstaubt arrangiert. Die liturgischen Brokatgewänder im Wechsel mit minimalistischen Soutanen und reduzierten Habiten aus Christls Atelier tragen wesentlich zur Zeitlosoptik des Films, zu einer entrückten Jenseitsstimmung bei.

Man glaubt es kaum, aber weder Farben noch Schnitte der aufwändigen Kostüme stimmen mit der Realität überein. „Wir haben alles so verändert, bis es uns gefallen hat“, verrät Christl. Die ausschlaggebende Inspiration entstammte einer Couture-Präsentation des Designers Demna Gvasalia für das Modehaus Balenciaga. „Ich bin dann an meine Bücher gegangen und habe über dessen Gründer Cristóbal Balenciaga gelesen und festgestellt, dass seine alten Designs ebenfalls von den katholischen Kostümen inspiriert waren“.

Ein Ausschnitt aus „Konklave“ zeigt die Kardinäle unter Schirmen. Ihre Kostüme durften nicht nass werden.

© imago/Landmark Media

Dass sie diesen Beruf, der zu einem wesentlichen Teil aus Recherche besteht, einmal ausüben würde, wusste sie bereits als Kind – ohne zu wissen, ob es diesen Beruf überhaupt gibt: „Freunde von mir haben mit Puppen gespielt, mich haben die erst interessiert, als ich lesen konnte und sie anhand von Geschichten ankleiden konnte“, sagt sie. Bewusst entschied sie dann später eine Schneiderausbildung anzutreten. Es sei wichtig, das Handwerk zu begreifen und zu wissen, wie die Dinge funktionieren. Außerdem sei sie ein Mensch, der auf ein „Das geht nicht“ gerne entgegne: „Doch, ich glaube, das geht schon!“.

Einmal Film, immer Film

Lisy Christl, 1964 in München geboren, gehört zu den Jahrgängen, die man als geburtenstark nennt. Ohne Beziehungen – die sie nicht hatte – eine Stelle zu bekommen, schien nach Ausbildungsbeginn chancenlos. Sie wollte ans Theater. Als nur Absagen kamen, entschied sie, das nicht zu akzeptieren: Weil sie ahnte, dass der ganze administrative Teil des Betriebs am Freitagnachmittag nach Hause will, setzte sie sich kurzerhand in das Büro des Personalchefs der Münchner Kammerspiele und nervte den so lange, bis er sie in Kostümabteilung brachte. Ihr Angebot: Arbeit ohne Geld. Eine Zeit lang musste sie nachts kellnern, um sich über Wasser zu halten. „Ich wusste, es tut sich immer eine Lücke auf, und wenn du dann nicht da bist, füllt jemand anderes die aus.“ Sie sollte recht behalten.

Zwei Jahre absolvierte sie hier ihre Gesellenzeit und ging danach nochmal für vier Semester an der Meisterschule für Mode in München. 1990 hatte sie dann auch den Schneidermeister in der Tasche.

In dem Moment, in dem du dich mit den Menschen ernsthaft beschäftigst und deine ganzen Vorurteile zu Hause lässt, eröffnen sich dir unglaubliche Welten

Lisy Christl, Kostümbildnerin

Noch in der Gesellenzeit wurde ein Stück der Kammerspiele verfilmt, Goethes Faust, eine riesige Produktion, die in den Bavaria Filmstudios verfilmt wurde. Dort kam sie erstmals mit Filmleuten in Kontakt. Zunächst nur ein Ausflug, der sich aber 1995 mit Michael Hanekes „Das Schloss“ wiederholte. Ihr erster Job als Kostümbildnerin für einen Film. Wieder dachte sie, dies sei eine einmalige Sache. Erfahrenen Kollegen warnten sie bereits: „Wenn man einmal in dem Zug drinsitzt, gibt es keinen Weg zurück“. Und tatsächlich, mit Michael Hanekes „Funny Games“ ging es direkt weiter. Fürs Theater arbeitete sie nicht mehr.

Heute sei der Einstieg in den Beruf ungleich viel komplizierter, sagt sie. Selbst bei kleinen Produktionen von jungen Regisseuren würde von den verantwortlichen Studios und Produktionsfirmen eine umfangreiche Vita erwartet. „Jung und enthusiastisch“ sei keine ausschlaggebende Qualität mehr. Auch Lisy Christls Auftragslage habe sich trotz des internationalen Erfolgs – 2012 wurde sie für ihre Arbeit in Roland Emmerichs „Anonymous“ erstmals für einen Oscar nominiert – nicht groß verändert.

Sehen und gesehen werden

Kurzfristig sah es durch den Hype der Streamingdienste besser aus. Dann kamen Corona, der Autorenstreik, der Schauspielstreik und die Brände in Los Angeles. Es gibt relativ sicher ein Projekt ab Herbst. Ein anderes Projekt, was zeitlich gut davor passen würde, ist im Gespräch. Hinzu kommt eine Anfrage für das kommende Jahr. „Diese drei Bücher liegen auf meinem Schreibtisch“, sagt sie, „mehr nicht“.

Über die internationale Anerkennung freut sich natürlich trotzdem – oder gerade deswegen: „Im Filmgeschäft sind die Oscars eine der größten Ehren, die dir zuteilwerden kann“, beantwortet sie die Frage, ob man sich an solcherlei Rummel irgendwann gewöhnt. Sie denke gleichzeitig aber darüber nach, ob Preise wichtig sind. „Ich würde das am liebsten mit ‚Nein‘ beantworten, weil es so viele Kollegen gibt, die so großartige Arbeiten machen, aber nicht gesehen werden“. 

Bildkompositionen und damit auch die Kostüme machen den Vatikanthriller „Konklave“ zu einem überzeugenden Film.

© imago/Landmark Media

Ja, sehen und gesehen werden, darum geht es nun mal. Und, das hatten wir bereits, um Respekt. Immer wieder kommt Christl darauf zurück. Passenderweise ist es ihre Arbeit, die ihr die Wichtigkeit dieses Aspekts lehrt. „In dem Moment, in dem du dich mit den Menschen ernsthaft beschäftigst und deine ganzen Vorurteile zu Hause lässt, eröffnen sich dir unglaubliche Welten“.

Früher hätte sie es etwa wütend gemacht, wenn sie verschleierte Nonnen sah. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema für unter anderem „Konklave“ hätte sie gelernt, dass das Warum über die Entscheidung, einen Schleier zu tragen, vielfältig ist und dass es keine Rolle spielt, was man als Außenstehender darüber denkt.

Immer wieder sei ihr Beruf eine Übung im Ablegen von Vorurteilen. „Es ist bestimmt kein Spaß, einen Kriegsfilm zu drehen“, sagt sie zum Beispiel über ihre Arbeit für den Film „Im Westen nichts Neues“. „Ich wollte das aus unterschiedlichen Gründen trotzdem machen: Zum einen wollte ich mit Edward Berger zusammenarbeiten, zum anderen ist mein Großvater mit 16 Jahren in diesen Krieg gezogen und ich wusste viel zu wenig über diese Zeit. Außerdem steckt hinter jeder Uniform ein Mensch mit einer Geschichte, die es wert ist, sich mit ihr zu beschäftigen“. Eine Geschichte, die bestimmt nicht oberflächlich ist, sich aber über die Oberfläche erzählen lässt.

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