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Eltern müssen Fotos ihrer Kinder nicht aus dem Netz verbannen. Experten raten jedoch, beim Posten bestimmte Regeln zu befolgen.

© Getty Images/iStockphoto

Kinderfotos im Internet: Mama macht mich lächerlich

Eltern teilen gerne Bilder ihrer Kinder im Netz. Dem Nachwuchs ist das später oft peinlich. Mehr noch: Die Fotos können sogar gefährlich werden.

Brians Körper steckt in einem Kürbis. Die Unterlippe umgestülpt zu einem Schmollmund, die Augen rot geheult, auf dem Kopf eine Mütze mit Fledermausflügeln. Elf Monate alt ist dieser Junge, sein richtiger Name ist unbekannt. Für seine Beine sind Löcher in das Gemüse geschnitzt, so sitzt er auf einer Wiese, und flennt. Neben dem Foto steht: #assholeparents. Gefällt 117-mal.

Das Foto von Brian ist einer von rund 8 800 Beiträgen unter dem Hashtag, der übersetzt „Arschlocheltern“ heißt und ein Trend auf der Fotoplattform Instagram ist. Unter dem Stichwort verbreiten und veralbern Eltern besonders peinliche Bilder aus dem Familienleben. Das Lieblingsmotiv: der Wutanfall. Es wird geplärrt, geschrien und gestampft, bis die Augen verquollen und der Mund ausgetrocknet ist.

Brian im Kürbis, das mag nicht die Regel sein. Doch das Bild zeigt einen Trend, der sich seit Jahren weiterentwickelt und dessen Folgen kaum absehbar sind. Früher ließen Eltern auf Familienfeiern ein Album herumgehen. Badewannenbilder waren Kindern damals schon oft unangenehm. Doch heute werden die Bilder auf Facebook, Instagram oder über Whatsapp mit der ganzen Welt im Internet geteilt – und bleiben ein ganzes Leben lang dort. „So ein Foto kann Anlass für Mobbing sein“, warnt Kristin Langer. Sie ist Mediencoach bei „Schau hin!“, einem Familienratgeber für Mediennutzung.

Im Teenageralter können die Fotos Anlass für Mobbing sein

Wenn Brian ein Teenie ist, findet das Halloween-Bild vielleicht ein Mitschüler, und schon hat Brian seinen Spitznamen weg. „Der Verbreitungsgrad solcher Bilder ist durch das Internet sehr hoch und provoziert Mutproben und Streiche“, sagt die Medienberaterin.

In den USA gibt es für das Verhalten der Eltern, die das Leben ihrer Kinder im Internet abbilden, einen Namen: „Sharenting“. Teilhabe-Erziehung wäre eine mögliche deutsche Übersetzung. Menschen, die heute Eltern werden, sind selbst „Digital Natives“. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen. Persönliches nicht nur beim Abendessen mit der Familie, sondern im Internet mit der ganzen Welt zu teilen, ist für sie Alltag.

„Das Grundkonzept ist digitaler Narzissmus“, erklärt Thomas-Gabriel Rüdiger. Der Kriminologe ist Experte für digitale Straftaten und Lehrbeauftragter an der Fachhochschule der Polizei in Brandenburg. Seine Themen sind die Polizeiarbeit im Internet sowie Belange des Kindermedienschutzes. „Die Selbstdarstellung im Netz verleiht Menschen Bestätigung“, sagt er. Das gilt auch für die Kinder. Eltern wollen Freunde und Familie an ihrem Stolz teilhaben lassen. Doch wie viel Nachwuchs im Netz ist angebracht und wo ist die Grenze?

„Nie im Leben würde ich den Wutanfall eines meiner Kinder abbilden“, sagt Nina Massek aus Berlin, „ich bin als Mutter verantwortlich und muss die Privatsphäre meiner Kinder respektieren.“ Nina Massek ist „Frau Mutter“. Sie schreibt einen Mama-Blog. Pfannkuchen backen mit der fünfjährigen Tochter, paddeln mit dem 10-jährigen Sohn – Nina Massek kommentiert fast alles, was ihr Leben mit den Kindern ausmacht. Der Untertitel des Blogs: „Eine Mama am Rande des Nervenzusammenbruchs.“ Rund fünf Artikel schreibt sie pro Woche, auf Instagram postet sie mehrmals täglich. Ihre Beiträge sind lustig, oft ironisch und vor allem lebensnah. Für ihre Kinderfotos gilt: niemals frontal. Die Gesichter der Kinder versteckt sie zum Beispiel am Küchentisch hinter einer Blumenvase, oder die Köpfe sind nur im Profil zu sehen. „Manchmal ist es schwer,“ sagt Nina Massek, „die Kinder sind süß, und ich bin stolz, aber ich frage mich vor jedem Post: Ist das nicht zu privat?“ Ihr Sohn sieht das lockerer als sie, sagt sie: „Für ihn wäre es nicht schlimm, wenn ich ihn vollständig zeigen würde“, sagt Massek. Über den Gebrauch und die Gefahren sozialer Netzwerke sprechen sie regelmäßig, sagt die Bloggerin.

Kinderfotos gehören ins Netz, sagt die Bloggerin

Eltern hätten zwar das Recht, Fotos ihrer Kinder zu publizieren, sagt der Kriminologe Rüdiger. Doch er warnt davor, das Recht unüberlegt einzusetzen oder an Kindergärten und Schulen weiterzugeben. Denn Persönlichkeitsrechte gelten auch für Kinder. Doch sie werden prinzipiell durch die Veröffentlichungen angegriffen. Viele Kinder haben schon einen digitalen Fußabdruck hinterlassen, bevor sie ihre erste E-Mail getippt haben. In den USA tauchen neun von zehn Kleinkindern unter zwei Jahren bereits im Netz auf, rund die Hälfte der Bilder ist mit dem Vornamen versehen. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie der University of Michigan und der University of Washington.

Im vergangenen Jahr warnte die Polizei Hagen auf Facebook davor, Kinderfotos im Internet zu publizieren. Der Post gefiel, er wurde mehr als 300 000-mal geteilt. Theoretisch wäre es gut, wenn Polizisten im Netz noch präsenter wären, sagt Kriminologe Rüdiger. Doch mehr als Aufklärungsarbeit, wie die Polizei Hagen sie betreibt, sei unrealistisch: „Der Aufwand wäre gigantisch.“

Henriette Zwick hat sich dazu entschieden, die Gesichter ihrer Töchter im Internet sichtbar zu machen. Die „Super-Mom“, so heißt ihr Blog, hat keine Bedenken, ihre Kinder auch von vorne zu fotografieren. „Kinder gehören ins Netz, weil sie in die Gesellschaft gehören“, sagt die Berlinerin, „Ich verhülle sie ja auch nicht, wenn sie auf der Straße sind.“ Zwicks jüngste Tochter ist fünf Monate alt, die älteste fünf Jahre. Ein Waldspaziergang, ein Sonntagsfrühstück mit der Familie – die Fotos von Zwick und ihren Kindern sind freundlich. Kein Filter, kein Weichzeichner, keine Peinlichkeiten. Sie achte darauf, keine Fotos zu veröffentlichen, die ihren Töchtern später unangenehm sein könnten: „Ich kann nicht wissen, wie meine Kinder später damit umgehen. Deshalb suche ich Fotos aus, die meine Kinder nicht lächerlich machen oder bloßstellen.“ Dass die Fotos von ihnen auch Jahre später noch im Netz kursieren, findet sie ganz normal. Doch auch Zwick hat eine Grenze: „Süße Po-Fotos finde ich schwierig.“

Was die Eltern als Nackedei-Bild verbreiten, kann für Menschen mit pädophilen Neigungen erregend sein, bestätigt Thomas-Gabriel Rüdiger. „Nacktbilder, Badevideos und Co. sind ein absolutes No-Go“, sagt der Kriminologe. Täter würden im Netz gezielt nach Bildmaterial dieser Art suchen. Sind die Bilder mit zusätzlichen Informationen wie Ort oder Zeit versehen, könnten potenzielle Täter darüber hinaus Bewegungsprofile des Kindes erstellen und es so ausfindig machen.

Außerdem sollten Eltern nicht unterschätzen, wie sie selbst das Nutzungsverhalten ihrer Kinder prägen: „Eltern haben eine Vorbildfunktion im Umgang mit sozialen Medien.“ Je normaler die Verbreitung von Privatem für die Eltern ist, desto üblicher würde das Teilen von Intimitäten im Netz später auch für die Kinder.

„Alltägliche Bilder in geschützten Gruppen beispielsweise zu Oma und Opa zu schicken, das ist in Ordnung“, sagt Rüdiger. Aber auch bei privaten Messengerdiensten wie Whatsapp ist Vorsicht geboten. Als Profilbild sollten sie die Kinderfotos nicht einstellen, denn dann sei es eben doch wieder öffentlich, rät der Kriminologe. Kristin Langer von „Schau hin!“ sieht das genauso: „Am besten ist es, einfach beim Familienalbum zu bleiben“, sagt sie. Und Privates wie Privates zu behandeln.

Dieser Text erschien auf der Familienseite des Tagesspiegels, immer mittwochs in der Printausgabe. Weitere Artikel zum Thema Familie finden Sie hier.

Lisa McMinn

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