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Tüdelüt am Hinterkopf. In Berlin wird ein grausliches Körpermodeaccessoire immer angesagter: der Männerdutt.

© Marcel Kusch/dpa

Man-Bun - der Herren-Dutt: Männer, lasst euer Haar herab!

Männer, die ihre weiblichen Anteile zelebrieren, auf Stöckeln, in Röcken, mit wallenden Mähnen – wunderbar. Aber Herren mit Dutt? Bitte nicht! Wider die Infantilisierung durch die grassierenden Hipster.

Gestern Abend im Konzert: Der Tenorsaxofonist trägt Dutt. Vergangenen Sonntag in der U1, auf der kurzen Strecke zwischen Warschauer Straße und Görlitzer Bahnhof: Gleich vier Männer mit Dutt steigen ein, zwei davon sind hörbar Schweden, drei davon tragen Bierflasche zum Kopfschmuck. Neulich bei der Premiere von „Dummy Lab“ im Chamäleon. Die Show ist cool, ist berlin. Die männlichen Artisten sind betont lässig auf Hipster gestylt. Turnschuhe, Jeans, T-Shirt und – Dutt. So weit reicht die Verduttisierung schon, dass sie auf Showbühnen zitiert wird. Keine Frage: Der Männerdutt, das ist nach Skinny Jeans, Beutel, Brille und Bart das angesagte Körpermodeaccessoire. „Man-Bun“ nennen ihn die in Lifestyle-Fragen weiterhin führenden New Yorker.

Eins ist nach ausführlicher Inaugenscheinnahme klar: Der neue Männerhaarknoten ist kein fescher Damendutt, wie ihn meine Handarbeitslehrerin in der Schule getragen hat – also eine vertikal am Hinterkopf fixierte, kunstvoll eingeschlagene Haarrolle. Auch gleicht er nicht dem würdigen Bauerndutt, der meine seligen Großmütter zierte – also einem zur Schnecke gedrehten Flechtzopf, der akkurat mit Haarnetz und Nadeln festgesteckt wird. Der betont uneitel gezwirbelte Männerdutt ist vielmehr ein locker geschlungenes Nest, das hoch oben auf dem Hinterkopf thront. Für saisonal aktive Eier legende Hasen schlecht zu erreichen, aber gut für Vögel ansteuerbar, die noch keinen kuscheligen Nistplatz gefunden haben.

Komisch nur: Im Gegensatz zum Frauendutt, der der Trägerin heute wie vor hundert Jahren eine stolze, manchmal herbe Aura und bei entsprechendem Gesicht und passender Statur gelegentlich geradezu königliche Silhouette verleiht, sieht der Männerdutt ganz fürchterlich affig aus. So sehr, dass ich schwer an mich halten muss, nicht jedem dritten Kerl „Rapunzel, lass dein Haar herab!“ durch die Straßen von Nord-Neukölln hinterherzurufen. Ein Impuls, der einer grundsedierten Großstädterin wir mir eher selten durch die toleranzverkalkten Adern wallt.

Nicht, dass ich was gegen androgyne Männer hätte. Im Gegenteil. Nur zu, rein in die Röcke! Steigt in die Pumps! Zelebriert eure weiblichen Anteile! Und Frauen, lebt ihr eure männlichen, zieht euch die Lederhosen an! Damen mit Bart, Herren enthaart – prima.

Schon Jesus trug langes - aber offenes! - Haar

Nicht, dass ich was gegen lange Haare hätte. Das dürfen zugereiste Preußen ja auch gar nicht. Nicht umsonst prägte der Alte Fritz schon im 18. Jahrhundert den berühmten Ausspruch „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“. Das gilt selbstredend auch für die, die einen guten Fassonschnitt scheuen.

Auch Christen wissen traditionell eine schicke Männermatte zu schätzen, und das seit Tausenden von Jahren. Schließlich trug schon unser Messias, der Sohn Gottes, Jesus – wie alle einschlägigen historischen Abbildungen belegen –, langes, aber eben offenes Haar. Außerdem kennt die Bibel Samson, genau, den von Samson und Delilah. Dieser haarige Held ist ein im Alten Testament verewigter Israelit aus dem Stamme Dan, der als Auserwählter Gottes für die Israel unterdrückenden Philister unbezwingbar war, solange sein Haupthaar nicht geschoren wurde. Jaja, die im Haar wohnende und mit dem Haar zu schwinden drohende Manneskraft, die hat schon manchen Ängstlichen um einen Termin bei der Haarverpflanzung nachsuchen lassen.

Eine Sorge, die den Duttträger nicht drückt. Jedenfalls noch nicht. Dieser Eitle unter den Uneitlen, dieser Ha(a)re Krishna der Selbstinfantilisierung, dieser urbane Dschinn ist sich seiner selbst so sicher, dass selbst die Oma-Frisur seiner Lässigkeit keinen Abbruch tun kann. Oder so unsicher, dass er die Locken da verstaut, wo ganz bestimmt kein Philister mit der Schere dran kann. David Garrett und Jared Leto, um mal zwei prominente Vertreter der Bewegung ganz direkt anzusprechen: Was treibt euch um? Und ihr, Namenlose, wenn ihr die Zotteln aus dem Gesicht haben wollt, um das Bier oder die Bühne besser sehen zu können, wie wär’s mit dem guten alten Zopf? Der ist sophisticated. Den trägt außer Bülent Ceylan nicht jeder. Also: bloß weg mit dem Tüdelüt am Hinterkopf.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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