
© Benjamin Lassiwe
„Mehr Herzlichkeit und weniger Tradition“: Wie Bischof Stäblein und Ex-Fußballer Arne Friedrich die Kirche retten wollen
Der evangelischen Kirche laufen die Mitglieder davon. Das ist in Berlin nicht anders. Ein Bischof, ein ehemaliger Fußball-Nationalspieler und eine Digitalpfarrerin wollen dies ändern.
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In der Berliner Grunewald-Kirchengemeinde gibt es eine Liste. Jedes Mal, wenn sich die Gemeindeleitung, der Gemeindekirchenrat, trifft, wird sie verteilt. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die neu in die Gemeinde eingetreten sind. Auf der anderen Seite die Austritte. „Bei den Eintritten ist ab und zu mal ein Name“, sagt das Gemeindekirchenratsmitglied Heike Pfaff. „Bei den Austritten stehen immer viele Namen.“ Das entspricht dem Trend in der Evangelischen Kirche: Ende 2023 hatte die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) noch 823.487 Gemeindeglieder. Zehn Jahre zuvor, Ende 2013, waren es noch 1,044 Millionen.
Wie also soll es in der Kirche künftig weitergehen? „Das Wichtigste sind nicht die Zahlen“, sagt der evangelische Bischof Christian Stäblein. „Das Wichtigste ist, dass wir vermitteln können, dass der Glaube an Jesus Christus etwas mit dem Leben der Menschen zu tun hat.“ Am Dienstagabend war Stäblein in die Grunewald-Gemeinde gekommen, um mit dem ehemaligen Fußball-Nationalspieler Arne Friedrich und der Digitalpfarrerin Theresa Brückner über die Zukunft der Kirche zu diskutieren. Und auf dem Podium war man sich überraschend einig.
Es brauche „mehr Herzlichkeit und weniger Tradition“, sagt Friedrich. Der frühere Hertha-Spieler besucht heute eine evangelische Freikirche. Schon als Spieler traf er sich mit Mannschaftskollegen zu einem Bibelkreis. „Damals wurde mir gesagt, ich sei in einer Sekte.“ Seiner Meinung nach würden sich Menschen in einer Kirche wohlfühlen, wenn sie merkten, dass es dort Empathie und Menschlichkeit gebe. „Der Pastor steht nicht auf einem Podest, sondern nimmt dich in den Arm und bietet dir einen Kaffee an.“ Schlimm sei es dagegen, wenn in einem Gottesdienst nur „Musik von vor 100.000 Jahren“ gespielt werde. „Wenn wir Veränderung wollen, müssen wir auch mit Traditionen brechen“, sagt Friedrich.
Wenn wir Veränderung wollen, müssen wir auch mit Traditionen brechen.
Arne Friedrich, ehemaliger Fußball-Nationalspieler und gläubiger Christ
So sieht das auch die evangelische Digitalpfarrerin Theresa Brückner, deren Instagram-Account „theresaliebt“ bundesweit Beachtung findet. „Man muss an jedem Ort gucken, wovon Abschied genommen werden muss, damit Transformationsprozesse überhaupt stattfinden können.“ Die Kirche sollte schauen, welche Zielgruppen sie mit ihren Angeboten erreichen will. Sie sollte von dem Gedanken wegkommen, es allen recht machen zu wollen. „Dazu gehört dann auch dazu, dass man manche Menschen eben nicht mitnimmt“, sagt Brückner. „Ich bin eher dafür zu gucken: Was braucht mein Kiez, was braucht meine Nachbarschaft und wie können wir uns einbringen.“
Ganz ähnlich äußerte sich auch Bischof Stäblein. Auch aus seiner Sicht müsste die Kirche ihre Angebote stärker konzentrieren. „Wir haben an manchen Stellen ein Überangebot an gleichen Formaten, in die relativ wenig Menschen gehen, die sich aber gleichzeitig darüber beschweren, dass so wenig Menschen kommen“; sagte der Bischof. Man erlebe keine Gemeinschaft, wenn „sieben Leute in einer großen Kirche und in großer Entfernung voneinander ein Lied aus dem 17. Jahrhundert singen.“ Gemeinden, die nur zwei Kilometer voneinander entfernt liegen, sollten nicht zu ähnlich sein: „Da brauche ich dann andere Gottesdienste, die für andere Menschen attraktiv sind.“
Aber wie kann die Kirche denn nun wieder auf Menschen zugehen? Stäblein hatte am Dienstag eine alte, bewährte Idee, die aber vielerorts in Vergessenheit geraten ist. Aus seiner Sicht sollte es in jeder Kirchengemeinde Menschen geben, die alle Gemeindeglieder alle paar Jahre zu Hause besuchen. „Das Besuchen und miteinander ins Gespräch kommen, gehört zu den aller ältesten Formen unseres Glaubens und unserer Gemeinschaft“, sagt Stäblein. „Wenn es uns gelingt, in drei bis vier Jahren alle Kircenmitglieder einmal zu besuchen, würde uns das als Kirche stärken.“
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