
© Stefan Jacobs
„Mein Puls war bestimmt bei 200“ : Berliner Tramfahrerin tritt bei Wiener Straßenbahn-WM an
Sandra Probst von der BVG und ihr Leipziger Kollege Thomas Langkopf haben sich mit Kollegen aus aller Welt gemessen – bei einem ungewöhnlichen Volksfest.
Stand:
An Selbstbewusstsein hat es dem deutschen WM-Team nicht gemangelt. Beim Abschlusstraining in der Zentralwerkstatt der „Wiener Linien“ am Freitag hatten sie den Gastgebern bereits signalisiert, dass man nicht nur einen Weltmeisterpokal benötige, sondern zwei. Denn Deutschland ist als einzige Nation mit Teilnehmern aus zwei Städten bei der ersten „Tram-WM“ in Wien angetreten, der Weltmeisterschaft der Straßenbahnfahrer: Sandra Probst von der BVG und Thomas Langkopf von den Leipziger Verkehrsbetrieben.
Wie die meisten ihrer Kollegen aus aller Welt hatten sich die beiden vorab in internen Wettbewerben für diese Weltpremiere qualifiziert. Deren Vorgeschichte reicht bis 2012 zurück, als Dresden das 140. Jubiläum seiner Straßenbahn mit einer „Tram-EM“ feierte. Die fand seitdem fast jährlich statt, 2016 in Berlin. Gewonnen hatten bisher allerdings nur Teams aus anderen Ländern. Probst und Langkopf haben viel geübt, um das zu ändern.
Das Wiener Tramnetz ist fast so groß wie das der BVG
Da in diesem Jahr die „Bim“ in Wien – sechstgrößtes Netz der Welt, kaum kürzer als im doppelt so großen Berlin – 160. Jubiläum feiert, beschlossen Bürgermeister und Verkehrsbetriebe, die erste Weltmeisterschaft auszurichten, mit 25 Teams von sechs Kontinenten, finanziert von Stadtwerken und Sponsoren aus der Branche. Es wurde ein Volksfest mit vielen tausend Besuchern.

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Es herrscht schon Gedränge an den Absperrungen zwischen Rathaus und Burgtheater, als das Team der „Wiener Linien“ am Samstagvormittag den Wettbewerb eröffnet. Zuerst muss dreimal so gefühlvoll gestoppt werden, dass möglichst wenig Wasser aus einer am Bug montierten Schüssel schwappt. Die Waage unter der Schüssel misst grammgenau.
Nun rennt die Fahrerin zum Führerstand am anderen Ende des Zuges: Bei abgedecktem Tacho muss sie eine Radarfalle mit möglichst exakt 25 Kilometer pro Stunde passieren, gefolgt von einer Zielbremsung: Der Bremshebel darf nur einmal gezogen und dann nicht mehr nachjustiert werden. Markierungen am Boden zeigen die Punkte; bis zu 500 pro Disziplin sind erreichbar. Außerdem zählt die Zeit.

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Die weiteren Disziplinen: punktgenaue Rückwärtsfahrt anhand von Pfeifsignalen des Teamkollegen. Bowling durch Anstoßen einer mannshohen Kugel, die bis zu fünf Kegel umstoßen kann. Dann Sprint zu einer anderen Bahn, die mit möglichst knappem Abstand an einem Walzertanzpaar aus Pappe vorbeifahren soll, das der Teamkollege platziert.
Dann ohne Kamera und Spiegel mit der zweiten Tür möglichst präzise an einer Markierung stoppen. Und schließlich eine Draisine gerade so stark anschubsen, dass sie bis zu einer Markierung weiter vorn am Gleis rollt. Die Menge fiebert mit.
Die Kegel taumeln, aber fallen nicht
Die Deutschen sind als achte an der Reihe, zunächst mit Sandra Probst am Steuer und Thomas Langkopf als Assistent. 23,86 km/h sind gut. Aber die Zielbremsung passt nicht. Die Kegel taumeln, aber fallen nicht. Dafür gelingt die Bremsung nach Pfeifsignal perfekt. Rennen zur anderen Tram. Das Tanzpaar steht zu dicht – null Punkte. Dasselbe, weil die Tür zu weit vorn ankommt und die Draisine zu wenig Schwung hat. Mist!
Sandra Probst, noch außer Puste vom Sprint zum Zielbuzzer, ärgert sich: Trotz des Trainings am Vortag seien die Wiener Bahnmodelle nicht so vertraut wie die Berliner. Außerdem „ist die Aufregung natürlich extrem. Mein Puls war bestimmt bei 200.“ Langkopf sagt: „Wir kommen ja aus einem Beruf, wo man sonst nicht so beachtet wird.“

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Genau darin liegt der Charme dieser WM: Maximale Aufmerksamkeit für einen weithin unterschätzten Beruf. Hier stehen Tausende an der Strecke. Wiener Familien sowie Pulks von Fans aus aller Herren Länder. Die Stimmung ist irgendwo zwischen ESC-Finale und Fanmeile, also bestens. Ein Strike wird ebenso frenetisch bejubelt wie eine zentimetergenaue Bremsung. Die richtig platzierte zweite Tür sowieso, denn an der scheitern fast alle.
Dinner mit dem Team aus Rio
Nach dem ersten Durchgang am Mittag führt das Team aus Posen vor denen aus Oslo und Wien. Für die als „unsere Lieblingsnachbarn“ anmoderierten Deutschen reicht es nur für Platz 21. Aber nun folgt der zweite Durchgang mit getauschten Rollen.
Trainer Sebastian Templiner, der sonst bei der BVG den Betriebshof Köpenick leitet und von Public Viewing dort mit 500 Leuten berichtet, verbreitet Optimismus, schwärmt von der perfekten Organisation und der einmaligen Chance, Kollegen aus aller Welt zu treffen. Gestern Abend beim Driver’s Dinner hätten sie mit dem Team aus Rio de Janeiro zusammengesessen.
Am Nachmittag kommt man kaum noch durch auf dem Rathausplatz, wo die Wiener Linien Fahrsimulatoren, Experimentierstände und eine Jobmesse aufgebaut haben. Jetzt rennt Thomas Langkopf zum Führerstand. Stark bei Tempo und Zielbremsung, zu vorsichtig beim Tanzpaar aus Pappe. Aber Strike beim Bowling, fast zentimetergenaue Türplatzierung und enorme 400 Punkte beim Draisinencurling.
Vollsprint zum Buzzer. Die Menge johlt, Deutschland springt kurzzeitig auf Platz eins. Sandra Probst fällt ihrem Leipziger Kollegen um den Hals und lässt so schnell nicht wieder los. Atemlos dankt Langkopf den Fans, während die Beach Boys bereits das Team aus San Diego ankündigen.
Kurz vor 17 Uhr kocht die Stimmung über, als Florijan Isaku die starke morgendliche Vorlage seiner Kollegin Elisabeth Urbanitsch zur Wiener Gesamtführung ausbaut. Weil auch die Budapester und die Kyjiwer Kolleginnen stark waren, haben die Deutschen keine Chance mehr aufs Siegertreppchen.
Als um 16.57 Uhr die Draisine von den in der ersten Runde siegreichen Polen etwas zu früh ausrollt, steht der Wiener Heimsieg fest. Die Deutschen sind siebte in der Teamwertung. In der Einzelwertung wird Thomas Langkopf sogar Weltmeister. Am Montag werden sie wieder im Führerstand sitzen – Sandra Probst in Berlin, Thomas Langkopf in Leipzig. Die Party von Wien fährt in Gedanken mit.
Transparenzhinweis: Die Reise zur Tram-EM erfolgte auf Einladung von Wien-Tourismus.
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