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Messerangriff auf Beamten in Neukölln: Polizei entließ Verdächtigen selbst – und ermittelt gegen Verletzten
Der Fall löste Empörung aus: In Neukölln wird ein Beamter mit einem Messer verletzt, Stunden später kommt der Täter frei. Doch das entschied zuerst nicht die Staatsanwaltschaft.
Stand:
Nachdem am Freitagabend gegen 22 Uhr ein Polizist vor dem Abschnitt 55 mit einem Küchenmesser und neun Zentimeter langer Klinge verletzt worden ist, werden nun neue Details bekannt – zum Beamten selbst, aber auch zur Rolle der Staatsanwaltschaft. Die geriet in die Kritik, weil der 28-jährige Täter wenige Stunden nach der Tat wieder freikam und kein Haftbefehl beantragt wurde.
Tatsächlich traf die Polizei, konkret die 5. Mordkommission beim Landeskriminalamt, zunächst selbst die Entscheidung, dass der 28-Jähriger, der einen festen Wohnsitz hat und nicht vorbestraft ist, wieder freigelassen wird. „Für die Beantragung eines Haftbefehls haben die Ermittlungsbehörden den Beweis für den dringenden Tatverdacht einer Straftat zu führen, die so schwer wiegt, dass zum Beispiel mit Flucht des Beschuldigten zu rechnen ist“, sagte Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) am Mittwoch im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses.
Deswegen hat die Mordkommission samstagfrüh um 2:15 Uhr die Entlassungsanordnung erteilt.
Felor Badenberg (CDU), Justizsenatorin
Nach bisherigem Stand „lagen diese Voraussetzungen nicht vor“. Offen sei auch, ab wann der Beschuldigte sein Gegenüber überhaupt erstmals als Polizisten erkannt hat. „Deswegen hat die Mordkommission Samstagfrüh um 2:15 Uhr die Entlassungsanordnung erteilt und damit die Freilassung des Beschuldigten veranlasst“, sagte Badenberg.
Die Staatsanwaltschaft sei darüber dann um 5 Uhr informiert worden. In der Pressemitteilung von Sonnabend hieß es noch, dass der 28-Jährige „in Absprache mit der Staatsanwaltschaft nicht einem Ermittlungsgericht vorgeführt“ worden sei, weil „kein dringender Tatverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt besteht“.

© Bernd von Jutrczenka/dpa
Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft erst nachträglich der Entscheidung der Mordkommission zugestimmt. Wörtlich sagte die Justizsenatorin: „Nach der noch am Samstag erfolgten Auswertung der Videoaufzeichnung durch die Staatsanwaltschaft wurde die Einschätzung der Polizei bestätigt.“
Auch ein anderes Detail hielten die Behörden bislang zurück: Nach Tagesspiegel-Informationen wird nun auch gegen den Beamten selbst ermittelt. Es geht um den Verdacht der Körperverletzung im Amt.
Nach den bisherigen Ermittlungen wollte ein 28-Jähriger eine Anzeige auf der Wache an der Rollbergstraße erstatten, worauf er vom Diensthabenden um Geduld gebeten wurde. Daraufhin verließ er das Gebäude wieder und beschädigte den Angaben zufolge mit einem Messer ein Polizeifahrzeug.
Wie ein Video aus der Überwachungskamera nach Tagesspiegel-Informationen zeigt, ritzte der Mann mit dem Messer an einem Einsatzwagen herum. Währenddessen trat der Beamte von hinten an ihn heran und überraschte ihn. Der 28-Jährige drehte seinen Kopf nach hinten, der Beamte schlug ihm sogleich mit der Faust ins Gesicht. Deshalb wird gegen den Beamten ermittelt. Er ist inzwischen außer Lebensgefahr und wieder zu Hause.
Bei der Auswertung des Videos kamen die Ermittler nach Tagesspiegel-Recherchen auch zum Ergebnis, dass der Polizist anscheinend die übliche Eigensicherung vernachlässigte, als er offenbar auf den Mann zuging, ohne ihn vorher aus einer gewissen Entfernung angesprochen zu haben.
Die Justizsenatorin bestätigte dies im Rechtsausschuss. „Er packte ihn, woraufhin es zu einer Rangelei kam, in deren Folge der Beamte leider verletzt wurde, ohne dass man eine Stich- oder Schnittbewegung des Beschuldigten auf dem bislang vorliegenden Beweismaterial erkennen kann“, sagte sie.
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