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Auf den Getreidefeldern des Schlossguts Alt Madlitz in Ostbrandenburg sind die Folgen der Trockenheit zu spüren.

© Emanuel Finckenstein

Landwirtschaft in Brandenburg: Mit Nachhaltigkeit gegen trockene Böden

Brandenburgs Bauern leiden unter der Trockenheit. Der Landwirt Benedikt Bösel sucht mit nachhaltigen Anbaumethoden nach Lösungen.

Benedikt Bösel läuft über sein Feld in der Mark Brandenburg. Der schnelle Schritt des hochgewachsenen Mannes verrät, dass er es gewohnheitsmäßig eilig hat. Plötzlich kniet Bösel, und zieht eine Pflanze aus dem Boden. Sie hat lange, erdige Wurzeln. Bösel nickt zufrieden. „Wurzeln sind das, was wir wollen“, sagt er und eilt weiter, um nach seinen frisch angepflanzten Bäumen zu schauen.

Bevor er mit den Händen im märkischen Sand wühlte, war Bösel Investmentbanker. Manchmal merkt man es ihm noch an. Als das Handy mal wieder klingelt, erkennt Bösel einen Namen auf dem Display, unterbricht das Gespräch abrupt: „Sorry, ich muss da jetzt mal rangehen.“ Es geht um Heu.

„In der Landwirtschaft sprechen wir immer über Ertrag pro Hektar. Aber das ist eigentlich nicht die entscheidende Kenngröße“, sagt Bösel. „Das aktuelle System wird früher oder später in eine Sackgasse führen. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir über das Thema Landnutzung die großen Probleme unserer Zeit lösen können.“ Er meint die Klimakrise, soziale Ungleichheit, Bildung und die schleppende Entwicklung auf dem Land.

Ein Problem ist in Brandenburg nicht zu übersehen: die Trockenheit. Die vergangenen beiden Sommern waren heiß und trocken. Auch in diesem Jahr kündigt sich Dürre an. Der Mai zeigte sich laut Deutschem Wetterdienst (DWD) „deutlich zu trocken und sonnenscheinreich“. Hinzu kamen kalte Nächte, was das Wachstum der Pflanzen stört. Trockenheit führt zu schlechten Ernten - und damit zu Futtermangel. Die Preise für Heu und Stroh sind deutlich gestiegen.

Gerade für kleine Betriebe gefährdet das die Existenz. „Das Thema Dürre kann man nicht vom Thema Boden trennen“, sagt Bösel. „Ein gesunder Boden speichert deutlich mehr Wasser als ein sandiger, trockener.“ Bösel glaubt, dass man die Bodenqualität durch nachhaltige Formen der Bewirtschaftung deutlich verbessern kann. „Bodenbeunruhigung“ müsse vermieden werden, sagt er. Deshalb pflügt er seine Felder nicht um.

Denn durch die Sonneneinstrahlung verdampfe nicht nur das Wasser, die Hitze zerstöre auch wichtige Bakterien, Pilze und andere Organismen. Bösel hat den Betrieb 2016 von seinem Vater übernommen. Aufgewachsen ist er in Westdeutschland. Als Kind verbrachte er seine Ferien in Madlitz, in der Natur. Nach dem Militärdienst bei den Gebirgsjägern studierte er Business Finance an der University of Durham.

Vom Banker zum Bauer

Als 22-jähriger Investmentbanker bei Sal. Oppenheim in Frankfurt erlebte er die Finanzkrise hautnah mit und sah, „wie dieses ganze System zusammenbrach“. Bösel absolvierte einen Master in Agrarökonomie an der Humboldt-Universität, arbeitete danach eine Weile in der Immobilienbranche und im Venture-Capital-Bereich. „In den ersten Jahren hatte ich Existenzängste, vor allem wegen der Dürre“, sagt der ungewöhnliche Landwirt.

Damals habe er geglaubt, dass die Digitalisierung die Antworten auf die Fragen der Landwirtschaft sei, dass Drohnen und Blockchains die Zukunft in die Provinz bringen könnten. Doch dann habe er gemerkt, dass die Probleme tiefer lägen. „Wir müssen in komplexen Ökosystemen denken.“ Nun stellt er seinen Betrieb auf Agroforstwirtschaft um, eine Verbindung von Landwirtschaft mit Bäumen und Sträuchern.

Landwirt Benedikt Bösel setzt auf nachhaltige Agroforstwirtschaft
Landwirt Benedikt Bösel setzt auf nachhaltige Agroforstwirtschaft

© Christoph M. Kluge

Baumstreifen auf den Anbauflächen schützen den Boden vor Wind und verringern die Bodenerosion. Außerdem bieten sie Tieren Schutz. Langfristig soll diese Bewirtschaftung sogar die Bodenqualität verbessern. Bösel möchte die Agroforstwirtschaft mit Weidehaltung verbinden. Deshalb hat er 70 Rinder gekauft. Die Herde soll in Zukunft auf Wiesen weiden, die mit Baumstreifen durchzogen sind.

Die Koppelzäune würden dann jeden Tag umgestellt, erklärt er, so dass die Rinder immer frisches Futter finden könnten. Den Rindern soll ein mobiler Hühnerstall folgen. Das Geflügel scharre im Boden und verteile dabei den Rinderkot, ein wichtiges Düngemittel. Letztlich werde die Fläche wieder als Acker genutzt und der Kreislauf beginne von vorn, sagt Bösel. Sein Betrieb hat eine lange Geschichte.

Das Schlossgut Alt Madlitz wurde Mitte des 18. Jahrhunderts von den ostpreußischen Grafen Finck von Finckenstein erworben. Friedrich Ludwig Karl Finck von Finckenstein, ein hoher preußischer Beamter, baute das einfache Herrenhaus zu einem Schloss aus und lud Gelehrte wie die Humboldts sowie zahlreiche Dichter und Musiker der Romantik zum Feiern und Philosophieren nach Madlitz ein.

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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Adelsfamilie vertrieben, das Gut enteignet nach dem Motto „Junkerland in Bauernhand“. Das Herrenhaus wurde zu einem staatlichen Kindergarten, die Felder und Wiesen bewirtschaftete nun eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) kollektiv. Nach der Wende kehrte der 1923 hier geborene Karl Wilhelm Graf Finck von Finckenstein zurück nach Madlitz, restaurierte die inzwischen maroden Gebäude und modernisierte den Betrieb.

Nach seinem Tod vererbte der Graf das Anwesen an seinen Stiefsohn, den Vater von Benedikt Bösel. Und der gab es wiederum an den Sohn weiter. Heute ist das Schlossgut ein ökologischer Modellbetrieb, zu dem auch Waldflächen und eine Jagd gehören. Die Schlossbäckerei bäckt ohne chemische Zusatzstoffe nach traditionellen Verfahren. Es gibt ein Bed & Breakfast und eine Event-Location, in der zum Beispiel Seminare stattfinden.

Mit Agroforst gegen die Trockenheit

Für Bösel ist die Agroforstwirtschaft am wichtigsten. Er orientiert sich an den Methoden des gebürtigen Schweizer Landwirts Ernst Götsch. Dem ist es in Brasilien gelungen, Kakao auf Land anzubauen, das als unfruchtbar galt. Das gibt Bösel Hoffnung, im märkischen Sand ein ähnliches Wunder vollbringen zu können. Im vergangenen Jahr lud er Götsch nach Madlitz ein. Der stellte bei der Gelegenheit den Prototyp einer neuartigen Landmaschine vor, die er gemeinsam mit dem Schweizer Maschinenbauer Rhenus TEK entwickelt hat.

Doch ist Agroforstwirtschaft eine Antwort auf die Dürre? Professor Tobias Cremer von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) ist vorsichtig optimistisch. „Wir werden die Trockenheit damit nicht verhindern können, aber durch mehr Artenvielfalt wird das gesamte Ökosystem widerstandsfähiger.“ Bislang werde allerdings nur ein kleiner Teil der Flächen in Deutschland auf die Weise bewirtschaftet.

Der ökonomische Nutzen müsse noch nachgewiesen werden, sagt Cremer, der ein langfristig angelegtes Forschungsprojekt an der HNEE leitet. Auf momentan etwa sieben Hektar im Norden Berlin pflanzen Studierende Bäume, Gras und Feldfrüchte an und messen die Auswirkungen.

Auch Rinder fühlen sich wohl auf dem Schlossgut Alt Madlitz. Die Weiden bieten ihnen frisches Futter, die Bäume spenden Schatten.
Auch Rinder fühlen sich wohl auf dem Schlossgut Alt Madlitz. Die Weiden bieten ihnen frisches Futter, die Bäume spenden Schatten.

© Christoph M. Kluge

Benedikt Bösel ist schon jetzt fest davon überzeugt, dass eine nachhaltige Landwirtschaft auch produktiver sein kann. Der Ex-Investmentbanker beruft sich auf die Theorie des „True Cost Accounting“, das auch verborgene Effekte auf Mensch und Umwelt einbezieht. Als Beispiel nennt er die Zwischenfrucht, die der Landwirt nicht erntet, sondern in den Acker eindrillt, um den Boden zu düngen.

Gezielte Förderung statt Gießkannenprinzip

Nach gängiger Sichtweise sei das ein bloßer Kostenfaktor. Beziehe man aber den Wert des Bodens ein, der sich durch so etwas dauerhaft verbessere, dann könne man das Eindrillen als Investition in die Zukunft betrachten, sagt Bösel. Die europäische Agrarpolitik sollte seiner Ansicht nach nicht auf grobe Subventionen setzen, sondern gezielt Maßnahmen fördern, die der Umwelt und der Gesellschaft zugutekommen.

„Manche Prognosen gehen davon aus, dass wir in 30 Jahren in Brandenburg kein Getreide mehr anbauen können“, sagt Bösel. „Wenn du aber das Land langfristig deine Heimat nennen willst, wenn du mal Kinder haben willst, dann musst du auch Verantwortung übernehmen für die Region, und fragen: Wie geht es weiter?“

Seine Hoffnungen liegen auf der kommenden Generation. „Die Fridays-for-Future-Generation wird alles verändern“, glaubt er. Unternehmen seien in Zukunft gezwungen, mehr soziale und ökologische Verantwortung zu übernehmen, weil immer mehr Verbraucher das verlangten. Die Agrarwirtschaft der Zukunft müsse traditionelle Anbaumethoden und innovative Hightech zusammenbringen.

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