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Die mehr als 150 Wohnungen dieses Gebäudes in Schöneberg sind seit Tagen ungeheizt. Auch darüber hinaus gibt es Probleme.

© Robert Kiesel

Nach Ausfall der Heizung: 200 Mieter der Gewobag frieren in ihren Wohnungen

Seit Tagen ist die Heizung kaputt, in den Wohnungen sinkt die Temperatur auf unter 15 Grad. Die landeseigene Gewobag reagiert nicht, Mieter sind empört.

Heißer Tee mit Ingwer, Kleiden nach dem Zwiebelprinzip und möglichst viel Zeit im Bett verbringen: Was klingt wie ein sicheres Rezept zur Genesung nach heftiger Erkältung, ist für Erich Jäger und Ingrid Gärtner erzwungener Alltag. Seit dem 28.Dezember und damit beinahe einer Woche harren die beiden Bewohner des Mietshauses Bülow- Ecke Frobenstraße unweit des U-Bahnhofs Bülowstraße in Schöneberg ohne Heizung aus. In Gärtners Räumen hatte sich die Temperatur am Samstag bis auf 14,5 Grad Celsius abgekühlt.

Während sich die beiden und einige Nachbarn selber halfen und dank eines Nachbarschaftsportals im Internet mehrere Heizstrahler besorgt hatten, fehlte vom Vermieter - der landeseigenen Gewobag - jede Reaktion. Selbst einen Aushang im Hausflur gab es nicht. Mit Blick auf die rund 200 zumeist älteren und entsprechend gebrechlichen Mieter des Hauses, das Gewobag-intern als „Seniorenheim“ bezeichnet werden soll, spricht Jäger von einer „absoluten Katastrophe“.
Der Vorgang wiegt umso schwerer, weil es sich bei der Gewobag mit ihren 70.000 Wohnungen um einen der größten Vermieter der Stadt handelt. 2019 verbuchte die zuletzt wegen des Ankaufs zahlreicher Wohnungen in der Karl-Marx-Allee in die Schlagzeilen geratene Gewobag einen Umsatz von etwas mehr als 450 Millionen Euro. Unter dem Strich blieben 18,5 Millionen Euro Gewinn übrig.

„Man sollte annehmen, dass ein Unternehmen dieser Größenordnung ein Krisenmanagement hat und dieses auch zwischen Weihnachten und Silvester funktioniert“, sagt Gregor Selle, Sprecher des Mieterbeirats der Gewobag im Quartier Bülowstraße West. Das Gegenteil scheint der Fall.

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Weder für die Kälteklagen der Anwohner oder deren Angehörigen, noch für Selle selbst war das Unternehmen auf offiziellem Wege zu erreichen. Eine auf sämtlichen Kanälen platzierte Tagesspiegel-Anfrage vom Samstagsvormittag blieb bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet.

Frust über fehlendes Krisenmanagement

Immerhin: Über einen zufällig gemachten Kontakt in die Führungsebene der Energiedienstleistungssparte des Unternehmens hinein erhielt Selle am Samstagnachmittag Auskunft. Dem Mitarbeiter zufolge waren „Kommunikationsprobleme“ mit dem von der Gewobag beauftragten Nachunternehmer dafür verantwortlich, dass zuvor tagelang nichts passiert war. Die Störungsbeseitigung laufe und er sei „optimistisch“, dass die Heizungen noch im Laufe des Tages wieder anspringen würden, zitierte Selle den Mitarbeiter.

Dem kürzlich wiedergewählten Mieterbeirat zufolge hatte dieser im Gespräch außerdem auf die „ungünstige zeitliche Konstellation“ zwischen dem Auftreten der Probleme und den Feiertagen hingewiesen. Selle selbst schwankte daraufhin zwischen dem Verständnis für die besondere Situation auf der einen und der Frustration über das Fehlen eines Krisenmanagement der Gewobag auf der anderen Seite.

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Stellvertretend für die Bewohner der über 150 inzwischen vollkommen ausgekühlten Wohnungen äußerten sich Jäger und Gärtner deutlich frustrierter. Von einem „Versagen auf ganzer Linie“ sprach Jäger und ärgerte sich unter anderem darüber, dass die Gewobag binnen fünf Tagen nicht in der Lage gewesen war, eine für alle verständliche Information zur aktuellen Lage in den Hausflur zu hängen.

Hausflure werden von Obdachlosen als Schlafstätte genutzt

Klar ist: Zum Ärger über das akute Problem des Heizungsausfalls gesellen sich strukturelle, langlaufend und – das zu betonen, ist vor allem Selle wichtig – nicht allein von der Gewobag zu lösende Probleme in Kiez und Gebäude. Als „vollgekotet und vollgepinkelt“ beschreibt die Angehörige einer Mieterin die Zustände auf den zuletzt häufig von Obdachlosen als Schlafstätte genutzten Hausfluren des verwinkelten Gebäudes.

In den Kellerräumen nächtigten Sexarbeiterinnen vom angrenzenden Straßenstrich, zuletzt habe eine der jungen Frauen dort beinahe ein Kind zur Welt gebracht. „Die Mieter trauen sich zum Teil nicht mehr aus ihren Wohnungen vor lauter Angst“, sagt Jäger. Und auch Selle kommentiert, diese Schilderungen seien „nicht überspitzt“.

Immerhin: Seit kurzer Zeit wird das Haus regelmäßig von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes bestreift, ungebetene Gäste mithilfe der Polizei entfernt. Die Situation vor ihren Wohnungstüren habe sich seitdem verbessert, sagen Jäger und Gärtner. Dahinter war es auch am Samstagabend noch kalt.

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