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Katrin Lompscher (Linke) besichtigt 2017 am ehemaligen Flughafen Tempelhof den Tower.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Nach Rücktritt der Berliner Bausenatorin: Stadtentwicklung ist mehr als die Höhe der Mieten

Auch ohne ideologische Brille fallen beim Blick auf die Lompscher-Jahre Versäumnisse auf. Viel wäre jetzt möglich – wenn die Politik mutig ist. Ein Kommentar.

Politiker sind schon trotz größerer Verfehlungen im Amt geblieben, andere wegen kleinerer gegangen. Solche generellen Maßstäbe helfen deshalb auch selten weiter, die Wahrheit ist immer konkret. Im Fall von Katrin Lompscher spielt die Höhe der zu viel einbehaltenen und nicht versteuerten Vergütungen kaum eine Rolle.

Allein die Tatsache, dass eine Senatorin der Linken bei den eigenen Finanzen den Überblick verliert, um das Mindeste anzunehmen, ist in einer Partei, die für diejenigen zu kämpfen verspricht, die mit jedem Cent rechnen, eine zu große Belastung. Das ist die Kehrseite einer Politik, die auf moralische Emotionalisierung setzt: Wenn die Empörung umschlägt, ist sie verloren.

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Die Schadenfreude der Opposition und der Wirtschaft wirkt dennoch schal. Immerhin hat Lompscher, anders als frühere Berliner Bausenatoren von CDU, FDP und ja, auch der SPD, ihre Amtszeit ohne Fachskandal überstanden – es sei denn, man sieht ihre gesamte Politik als Skandal an.

Tatsächlich zog mit Lompscher die Systemfrage in der Verwaltung ein: „Wir stecken bis zum Hals im Kapitalismus, das ist das Problem“, hatte sie zu Beginn ihrer Amtszeit gesagt. Dass Wohnen kein Markt ist, zog sich als roter Faden durch Lompschers Politik.

Aber auch den klügeren Köpfen in der Opposition ist klar, dass die Lage auf dem Wohnungsmarkt einer anderen, vielfältigeren Antwort bedarf als nur eines Hinweises darauf, dass der Nachfrage schon das Angebot folgt. In der Mieterstadt Berlin, wo die Eigentumsquote niedriger ist als überall sonst, der Druck aber schneller steigt, verfängt das nicht.

„Bauen, bauen, bauen!“ reicht nicht

Sollte das Verfassungsgericht den Mietendeckel kassieren, hat auch die Opposition ein Problem, das sich mit der Parole „Bauen, bauen, bauen!“ alleine nicht lösen lässt. Eine effektivere Regulierung der Mieten wird es geben, so oder so – wenn nicht auf Landesebene, dann über den Bund.

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Doch auch ohne ideologische Brille fallen beim Blick auf die Lompscher-Jahre Versäumnisse auf, die zum Teil ihr selbst, zum Teil der Verwaltung, zum Teil aber auch der Koalition und dem Senat anzulasten sind. Das Bemühen, es den Glücklichen recht zu machen, die eine Wohnung haben, war weit ausgeprägter als das, mehr Wohnraum für alle zu schaffen, am Stadtrand und im Zentrum.

Denn auch eine Nachverdichtung ist möglich, wenn die Politik mehr Mut aufbringt gegenüber den Besitzstandswahrern. „Not in my backyard“ kann keine akzeptable Parole sein in einer Stadt wie Berlin, die als ihre obersten Werte Weltoffenheit und Freiheit verspricht.

Viel wäre jetzt möglich

Der Senat, dessen Selbstgefälligkeit weitaus größer ist, als es die Zustimmungswerte sind, könnte den Rücktritt Lompschers also zum Anlass nehmen, ein gutes Jahr vor der nächsten Wahl noch einmal durchzustarten, personell und politisch. Es wissen doch alle, wo die Schwachstellen sind, nicht nur im bisherigen Lompscher-Ressort, und auch, dass ein großer Wechsel mit dem Abgang von Michael Müller ohnehin kommt.

Warum nicht das Jahr noch nutzen? Warum nicht Prioritäten setzen und pragmatisch entscheiden, anstatt sich immer mehr zu verzetteln mit nebensächlichen Themen. Wie wäre es mal mit Pop-up-Politik statt der täglich gleichen Tristesse zwischen Behördenpingpong und Amtsmikado? „Gewobag verschenkt Bastel-Boxen zum Tag der kleinen Bauprofis“ ist als wichtige Meldung mit Lompscher-Foto auf der Website der Stadtentwicklungsverwaltung ein nicht ganz zufälliger Ausdruck dieser Orientierungsschwäche.

Und ja, es heißt wirklich so: Stadtentwicklung. Das ist viel mehr als der Kampf um einzelne Häuser und die Höhe der Miete, und mehr auch als die banale Zahl neu gebauter Wohnungen. Stadtentwicklung – was wäre da alles möglich und nötig! Doch der Senat denkt weder Verkehr und Wohnen zusammen, noch Stadt und Land. Er scheitert ja schon am gemeinsamen Überwinden des S-Bahnrings. Genau hier aber, in der Stadtentwicklung, hat Politik für Berlin ihre erste Aufgabe – und ihre größte Chance.

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