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Nachruf auf Dorrit Maier-Götze: „Die Lösung bin ich“
Ihr Laden: „ein Hausfrauen-Traum von Romantik und Rüschen, von Sehnsucht und Spitze“
Stand:
Da stand sie nun mit ihrem dreijährigen Sohn und fragte sich, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Ihr Mann, ihre große Liebe, hatte sich das Leben genommen. Erst fuhr sie für ein halbes Jahr mit dem Sohn nach Kreta, in Ruhe und Einsamkeit. Als sie einigermaßen laufen konnte, ohne gleich wieder umzufallen, kehrte sie nach Berlin zurück und machte einen Laden in der Motzstraße 58 auf. Es musste doch weitergehen.
Aus alten Paradekissen mit Klöppelspitze, Ziertüchern, Divandecken und vergilbten Spitzennachthemden schneiderte sie altmodisch-modische Blusen – „ein Hausfrauen-Traum von Romantik und Rüschen, von Sehnsucht und Spitze“, wie eine Zeitung zur Eröffnung des Ladens 1971 berichtete. Die Stoffe fand sie samstags auf den Flohmärkten.
Zwölf Quadratmeter groß war ihr Laden, 75 Mark Miete im Monat, Toilette im Hinterhof. Früher wurden hier Bonbons verkauft. „Pupi“ nannte sie das Geschäft, das war auch ihr Spitzname. Freunde halfen ihr beim Einräumen und Streichen, ein Baumstamm ersetzte die Garderobenständer, an ihm hingen die Kleider. Im Sommer setzte sich Dorrit mit der Nähmaschine vor den Laden, damit die Kinder der Nachbarschaft was zum Gucken hatten.
Schüchtern und still war sie als Kind
Am Anfang machte sie alles allein: Schneidern, Verkaufen, Buchhaltung; sie war vom früh bis spät im Laden. Dazu der Sohn und der Haushalt – Dorrit war stark und gut gelaunt. Nach ein paar Monaten brummte ihr Geschäft.
Ihr Vater hatte im KaDeWe dekoriert, ihre Mutter hatte dort in der Konfektionsabteilung gearbeitet. Der Krieg war aus, der Vater galt als verschollen, die Mutter zog Dorrit allein groß. Als sich herausstellte, dass der Vater sich woanders in Deutschland ein neues Leben aufgebaut hatte mit neuer Frau und Kindern, traf das die Mutter tief. Sie war überfordert, Dorrit bekam das hin und wieder mit Ohrfeigen zu spüren. Schüchtern und still war sie zu dieser Zeit. Später, als Dorrit selbst Mutter war, tat sie so, als gäbe es keine Oma. Als ihr Sohn die Mutter seiner Mutter dann doch einmal kennenlernte, fast erwachsen, konnte er mit ihr nichts anfangen.
Mit 16 ging Dorrit auf die Hochschule der Künste und machte eine Modedesign-Ausbildung, Abitur hatte sie nicht. Ihre Zeichnungen und Skizzen hob sie in vielen Mappen auf. Mit 19 wurde sie von einer Modekette angeworben, um eine Kollektion für junge Leute zu entwerfen. 30 Schneiderinnen nähten, was Dorrit sich ausgedacht hatte.
Im Jazzclub Eierschale lernte sie Roland kennen. Er war der Lebemann, hatte diesen selbstbewussten, männlichen Charme und war eben erst aus den USA zurückgekehrt mit jeder Menge Jazz-Schallplatten im Gepäck. Er hatte reiche Freunde, im Luxusschlitten ging es ins West-Berliner Nachtleben.
Sie war die Stille, er laut und donnernd und im Mittelpunkt. Dafür sah sie besser aus mit ihrer zarten Figur und ihren braunen Mandelaugen. Die beiden wurden ein Paar, zogen zusammen, heirateten. Und sie besorgte ihm eine Stelle – beim Mann der Tante, der einen Großhandel für Gasrohre hatte.
Es war eine schwierige, sonderbare Beziehung. Sie liebte ihn, er liebte sie. Und er betrog sie nach Strich und Faden. Eine wunderschöne Stimme hatte er. Als Kind hatte Roland in einem Knabenchor gesungen, dort soll er missbraucht worden sein.
Bestimmt 30 Mal hat er versucht, sich das Leben zu nehmen. Immer wieder fuhr Dorrit mit ihm ins Krankenhaus, Rettung in letzter Sekunde. Sie schaffte die Tabletten aus dem Haus, drehte das Gas ab, versteckte die Messer. 1969 kam ihr Sohn auf die Welt. 1971 schaffte Roland es schließlich.
Für Dorrit brach eine Welt auseinander, Stück für Stück setzte sie sich eine neue wieder zusammen, bestehend aus ihrem Geschäft und ihrem Sohn selbstverständlich. „Ich habe ihre volle Aufmerksamkeit bekommen. Egal, was passierte, auf Mama konnte ich mich verlassen“, sagt er. Als es auf dem Gymnasium nicht gut lief, meldete sie ihn auf einer Privatschule an.
Das war immer wieder ein Zähneklappern
Dorrit zog in einen größeren Laden, stellte einen Schneider ein, machte eine weitere Filiale auf, später übernahm ihr Sohn die Buchhaltung. Als sie bayerische Trachtenmode in ihr Sortiment mit aufnahm, kaufte Hannelore Kohl bei ihr. Ein Kleid für den Bundespresseball konnte schonmal 1000 Euro kosten.
Dorrit hatte einen großen Kreditrahmen bei der Bank, kaufte am Anfang des Monats teure Waren ein, und am Ende des Monats ging es darum, dass alle Rechnungen bezahlt werden mussten, da kamen um die 30.000 DM laufender Kosten zusammen. Das war immer wieder ein Zähneklappern, aber irgendwie schaffte sie es.
Auf einen Zettel schrieb sie: „Die Lösung bin ich. Es gibt nur eine Lösung: Ich.“
Dorrit hatte einen Freundinnenkreis, sie trafen sich regelmäßig zu Kaffee, Kuchen und Lebenskunde. Es waren alles gestandene Frauen, vorlaute Schauspielerinnen darunter. Obwohl Dorrit sich nie in den Vordergrund drängte, nie besonders witzig oder laut war, wurde sie bewundert für ihre Unabhängigkeit und für ihren eisernen Willen.
Der Sohn wurde älter, Dorrit fühlte sich einsam. Einmal noch band sie sich an einen Mann, 1986 war das. Sie zog zu ihm nach Gatow. „Der war nicht so dolle“, sagt ihr Sohn. Als der Mann starb, war Dorrit wieder allein.
2006 machte sie Schluss mit ihrem Geschäft und kaufte sich eine kleine Datsche an einem See in Ungarn, ein kleines Paradies, auf das sie sehr stolz war. Mehrmals im Jahr reiste sie dorthin.
800 Euro Rente hatte sie zur Verfügung, ihr Sohn unterstützte sie, doch viel mehr brauchte sie gar nicht. Sie ging noch zum Thai Chi, unterstützte sogar einen mittellosen Künstler, von dem sie viele Bilder kaufte. „Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden“, sagte sie.
Im Januar war sie mit ihrem Sohn verabredet, sie wollten zum Grab des Vaters gehen, doch sie war einfach eingeschlafen.
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