
© Stephan Napieralski
Nachruf auf Franz Scholz: Priester im Blaumann
Die DDR sah ihn als Rinder- und Schweinezüchter, er sich als Pfarrer. Zweifel? Hatte er nie
Stand:
Wo war denn nur Franz abgeblieben? In seinem Büro – nein. Im Gemeindesaal – nein. Der katholische Studentenpfarrer vom Prenzlauer Berg steckte im Gully. Der Abfluss war verstopft. Das Klo lief über. Also musste Franz ran.
Ein paar Jahre später, Franz war inzwischen in Köpenick, lief er im Blaumann rum, reparierte die Heizung, verlegte die Elektrik. Erst als er das erste Mal seine Predigt hielt, wurde allen klar, dass das der neue Pfarrer war. Und es blieb dabei, Schneeschieben vor der Kirchentür, Unkrautjäten im Pfarrgarten, was getan werden musste, musste getan werden.
Vater, Mutter, Oma, Tante und Franz – sie flohen aus Schlesien und landeten in Alexanderdorf in Brandenburg. Dort lebten 30 Nonnen in einem Kloster. Der Vater war Verlader am Bahnhof, eine harte Arbeit, doch es war keine Zeit, in der man sich beschwerte, Franz‘ Vater sowieso nicht.
Franz war von den Benediktinerinnen fasziniert. Diese Frömmigkeit, Ruhe, Warmherzigkeit, da war etwas, das ihn tief berührte. Er besuchte den katholischen Kindergarten, machte Erstkommunion und besuchte die Nonnen, wann immer er konnte. Und wusste bald, was er werden wollte, Pfarrer natürlich!
Ein Giftschrank mit Westliteratur, die der Priester besorgte
Die DDR hatte andere Pläne. An ein Abitur war für Franz, Sohn einer Kirchengänger-Familie nicht zu denken. Stattdessen sollte er mit 14 eine Lehre als Rinder- und Schweinezüchter beginnen. Franz probierte es, für ein paar Monate. Aber gab es nicht doch einen Weg an sein Ziel? In Schöneiche befand sich das bischöfliche Vorseminar, wo selbst jene ein Abitur ablegen konnten, für die die DDR andere Pläne hegte, wenn auch nur ein „Kirchenabitur“. Dorthin ging Franz und büffelte vier Jahre Latein und Altgriechisch. 1962: Theologie-Studium in Erfurt. 1967: Pastoralseminar und Diakonatsweihe.
Zweifel? Hatte er nicht. Nie. Er spürte die Berufung. „Wenn Franz sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, blieb er dabei“, sagt seine Cousine Christa. In Berlin wurde Franz zum Priester geweiht. Das Wesen der Seelsorge sei es, die Welt und die Menschen mit den Augen des Vaters zu sehen, so heißt es. Franz war gerade einmal 24.
„Er war nicht abgehoben, sondern einer von uns, durch und durch geschwisterlich“, sagt ein Ehemaliger aus der katholischen Studentengemeinde, die Mitte der 1970er in der Kirche Corpus Christi im Prenzlauer Berg untergekommen war. Für sie gab es eine eigene Wohnung in dem Haus, das zur Kirche gehörte. Hier gab es Tee und Schmalzstullen, Lieder und Diskussionen, Vorträge von Gastrednern und einen Giftschrank mit Westliteratur, die Franz besorgte. Woher die Bücher genau kamen, durfte niemand wissen. Wie er den Kontakt in die Westgemeinden organisierte, auch nicht. Immer wieder kam Besuch aus dem Westen, der Unterschlupf bei Franz fand.
„Die Wohnung war unser geistiger Freiraum. Hier konnten wir denken und reden, und zwar nicht in den vorgefertigten Stanzen“. Wer neu dazu kam, wurde erst einmal abgeklopft: Welche Gemeinde? Wer war da Priester? So glaubten sie, einigermaßen sicher vor der Stasi zu sein. Es war auch ein Freiraum, in dem sich junge Leute ineinander verliebten. Franz traute ehemalige Studenten, taufte ihre Kinder, kam Jahrzehnte später noch zu ihren Festen. „Franz war unser Vertrauenspfarrer, wir blieben befreundet“.
Nur waren private Kopierer in der DDR verboten
Franz‘ Cousine Christa hatte genug von der trockenen Arbeit als wissenschaftliche Bibliothekarin an der Ingenieurshochschule in Cottbus. Ob Franz nicht eine Stelle für sie hätte. Hatte er, also zog sie nach Berlin und begann als pastorale Mitarbeiterin. „Streng konnte er sein: Wenn etwas fertig gemacht werden musste, konnte hundertmal eine Familienfeier anstehen.“ Gleichzeitig unterstütze er sie darin, ihre Fortbildungen zu machen, ihre Karriere zu verfolgen. Als Franz in die St. Josef-Gemeinde nach Köpenick wechselte, 1984 war das, ging sie mit und wurde dort Gemeindereferentin.
Ob Franz einen Kopierer haben wolle, fragten ihn Freunde aus dem Westen. Selbstverständlich wollte er, nur waren private Kopierer in der DDR verboten. Also verabredeten sie sich zu einer Nacht- und Nebelaktion. Auf einem Parkplatz nahe der Transitroute, wuchteten sie das Gerät, Papier und Toner von einem Kofferraum in den anderen. Wenn Franz erwischt worden wäre, nicht auszudenken. Für so etwas hätte er ins Gefängnis kommen können. In seiner Pfarrwohnung versteckte er den Kopierer im Kleiderschrank. Und vervielfältigte von nun an diverse Oppositionspapiere und verteilte sie.
Ab 1989 geriet alles in Bewegung, alte Sicherheiten brachen weg und das in einem irren Tempo: „Franz‘ Gemeinde war ein Ort der Stabilität. Hier bekam ich Orientierung, und Franz war einfach da und hörte zu. Daraus hat sich dann eine Freundschaft entwickelt. Heute fehlt er mir“, sagt ein damaliges Gemeindemitglied.
Jahrzehnte voller Hochzeiten, Beerdigungen, Taufen und Kommunionen, Kirchenchor aufbauen und das Band zur evangelischen Kirche knüpfen. Franz kümmerte sich auch um den aufwändigen Umbau der Pfarrkirche St. Josef, organisierte Geld und Baugenehmigungen, eine Sisyphusarbeit. Seine Gemeinde packte mit an, grub das Fundament aus, dichtete die Kirchenfenster ab.
Bis 2013 blieben Franz und Christa in Köpenick, danach zogen sie nach Schöneiche, dorthin, wo für Franz mit dem Kirchenabitur alles begonnen hatte. 2025 wurde sein Herz schwächer, der Tod rückte näher, doch Franz, der immer allen zugehört hatte, wollte nicht darüber reden. Was sollte er auch groß sagen? 2007 hatte er bereits seine Traueranzeige formuliert, hatte seine Abschiedsfeier durchgeplant, alles war vorbereitet.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: