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Nachruf auf Guido Holtkamp: „Immer noch dieses Kind“
Eine Idee jagte die nächste, doch nur wenige brachte er wirklich zu Ende. Und auf Kompromisse ließ er sich nur selten ein
Stand:
Es gab eine Zeit, da lebte Guido mit seinem Wohnwagen in der Neuköllner Oderstraße am Rande des Tempelhofer Feldes. Morgens die Tür aufmachen, den Hund Arthus rauslassen, einen Kaffee aufbrühen, einen Joint drehen und dann aufbrechen zu einer gemütlichen Runde über das weite Feld, den Wind in den Haaren, die ihm bis zu den Schultern hingen. Arthus kam natürlich mit, Arthus kam immer mit. 300 Euro sollte er damals für den kleinen Welpen zahlen, Geld das er nicht hatte, also renovierte er der Besitzerin die Wohnung.
Arthus flitzte übers Tempelhofer Feld, selbstverständlich ohne Leine. Wenn Guido eine Regel als unsinnig erachtete, befolgte er sie auch nicht. Schließlich hörte der Border-Collie aufs Wort und tat niemanden etwas zuleide. Da konnte kommen wer wollte, Polizei, Security, aufgeregte Bürger. Nur wenn Kinder Angst hatten, hielt er seinen Hund am Halsband, setzte sich auf den Boden und zeigte, wie man Arthus streicheln konnte. Guido hatte seinen eigenen Kopf, ließ sich selten auf Kompromisse ein. Einmal, als er noch eine Wohnung hatte und morgens um sieben ein BSR-Mann mit Laubbläser einen Riesenkrach vorm Fenster machte, stürmte Guido raus und schimpfte los, eins kam zum anderen, und am Ende lag der Laubbläser auf der Straße.
Im Wohnwagen gab es Bett, Herd und Kühlschrank, das Tempelhofer Feld bot fließend Wasser und öffentliche Toiletten, zum Duschen ging Guido in den Sportverein um die Ecke. Irgendwie hatte er es hier in die erste Tennis-Herrenmannschaft geschafft, brauchte keine Mitgliedsbeiträge zu bezahlen und durfte umsonst duschen. Guido konnte Leute ganz gut um den Finger wickeln. Der Wohnwagen war auch gar nicht sein Wohnwagen, sondern der eines Freundes. Erst wollten sie ihn gemeinsam nutzen, dann er Schritt für Schritt in Guidos Besitz über.
Formelle Höflichkeiten waren ihm zuwider
Doch ihm deswegen böse sein? Guido war etwas Besonderes, ein Unikum, sagen seine Freunde. Dieser federnde Schritt, mit dem er auf Wildfremde zuging und sie in ein Gespräch verwickelte. Oder wie er einfach den Daumen rausstreckte, um von Neukölln nach Friedrichshain zu trampen. Formelle Höflichkeiten waren ihm zuwider, er sagte das, was er für die Wahrheit hielt. Besuchte er jemanden und ihm wurde langweilig, stand er auf und ging. Oder er stellte unangenehme Fragen, um zu testen, wie die Menschen darauf reagierten, ob sie „authentisch“ waren.
Dann waren da seine vielen Ideen und die Begeisterung, mit der er sie anging. Er entwarf einen Laptopkoffer, richtig gut das Ding. Oder eine Fernbedienung aus einer Wii-Konsole, mit der ein DJ sein Pult bedienen kann. Ein andermal ein ferngesteuertes Flugzeug, das von Hunden gefangen werden sollte. Oder er baute eine Art Videobox, stellte sie in der Bibliothek vom Kottbusser Tor auf, damit Jugendliche hier ihre Botschaften loswerden konnten. Eine Idee jagte die nächste, doch nur wenige brachte er wirklich zu Ende.
Guido kam aus Hessen, sein Vater war Manager, Geld und Erfolg waren wichtig. Guido entsprach überhaupt nicht den Erwartungen. Dass er auch ständig herumzappeln musste, überall mit den Gedanken war, nur nicht bei der Schule. Dann war er auch noch schlank, hatte lange Haare, sah gut aus, auf eine feminine Art. In der Schule wurde er zur Zielscheibe von Prügel und Häme. Er legte sich ein dickes Fell zu, vergrub Angst und Unsicherheiten tief in seinem Unterbewusstsein. Mit 15 kaufte er sich ein Motorrad, fuhr Motorcross, sprang über Schanzen und ließ den Schlamm spritzen.
Von hier gehen die Erzählungen etwas auseinander. Auf seiner Webseite steht, dass er Philosophie studiert habe, Freunden berichtete er von einer Ausbildung als Mediengestalter. Seine erste langjährige Freundin weiß, dass er das alles gern erzählte, aber nur wenig davon stimme. Sie waren Mitte 20, als sie sich auf einem Bauwagenplatz in Darmstadt kennen lernten. Sie fuhren zusammen mit dem Motorrad nach Griechenland, tanzten Nächte durch. „Bis ich merkte, dass ich älter wurde und Guido irgendwie immer noch dieses Kind war, das mit großen Augen durch die Welt lief.“
Sie vermittelte ihm einen Job in einer Filmfirma, er lernte Videoschnitt, und wie man eine Kamera bedient. Durchaus talentiert, wie sein damaliger Chef findet. Doch Guido zog es nach Berlin, ein neues Kapitel, neue Freunde, neue Projekte. Er fand Arbeit als Medienpädagoge mit Jugendlichen. Respekt war ihm wichtig, er gab sich Mühe, also sollten sich die Jugendlichen auch benehmen, nicht rumlümmeln, nicht dazwischen quatschen. Die Jugendlichen verstanden seine klaren Ansagen, die Lehrer fanden ihn zu hart und beschwerten sich über ihn.
Am meisten Spaß machten ihm die Workshops für Kinder. Wellentanz nannte er einen, in dem es darum ging, Töne und Rhythmen mit Loopstation, Beatbox und Sampleplayer herzustellen und dazu zu tanzen. Die Kinder liebten es, Guido konnte begeistern. Geld gab es dafür nur wenig. Doch egal, wie knapp es war, gut kochen und Freunde einladen, musste drin sein.
2013 bekam er Mandelkrebs, die OP verlief gut, dann die Strahlentherapie. Guido litt unter Platzangst. Jedesmal wenn sie ihm die schwere Schutzmaske aufsetzten und ihn in das Strahlentherapiegerät schoben, wurde er fast wahnsinnig vor Panik. Etwas lief hier aus dem Ruder, Guido ließ sich Tabletten verschreiben, von denen er nicht mehr loskam. Die Dosen wurden immer höher, dazu kamen unsägliche Schmerzen, für die es keine Ursachen zu geben schien. „Hätte ich das gewusst“, sagte er, „dann hätte ich das mit der Strahlentherapie gelassen. Vielleicht wäre mein Leben kürzer gewesen, aber immerhin hätte ich gelebt.“
Erst fand er Zuflucht bei seiner Mutter, bei Freunden in Spanien und Portugal. Dann versuchte er es mit Therapien, die er immer wieder abbrach. Nach einer Odyssee hatte er dann endlich einen Ort gefunden, eine Entzugsklinik, in der Ärzte und Psychologen behutsam mit ihm umgingen. „Hier kann ich gesund werden“, sagte er. Doch nach einer Woche fanden sie seine Haschpfeife. „Ich bin doch wegen der Tabletten hier und nicht wegen Hasch.“
Guido war am Ende, sein Körper war am Ende. Am 3. Juli war er das letzte Mal online.
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