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Jörg Trempler

© privat

Nachruf auf Jörg Trempler: Der Herr der Vorstellung

Nicht glauben, erkennen, was man sieht. Denn Bilder führen oft auf eine falsche Fährte

Stand:

„Before Turner there was no fog in London.“ Erst die Maler, so die Pointe Oscar Wildes, lehren uns, was wir sehen. Ohne die Bilder William Turners hätten wir keine so einprägsame Vorstellung davon, was Nebel ist und Gischt, Licht und Atmosphäre, Glück und Unglück. Denn auch das Schreckliche verlangt nach Darstellung. Was sich uns als Katastrophe einprägt, sind meist Bilder. Die rauchenden Trümmer des World Trade Center. Die weit offenen Augen des afghanischen Flüchtlingsmädchens auf der Titelseite von „National Geographic“. Die Qualen der neunjährigen Vietnamesin Thi Kim Phúc, berühmt geworden als „Napalm-Girl“.

Wie sich Katastrophen im Bild gestalten, wie Bilder Katastrophen gestalten und uns zu Sehenden machen, beschreibt Jörg Trempler in seinem Buch „Katastrophen - Ihre Entstehung aus dem Bild“. Ein Thema, das vordergründig gar nicht seinem Naturell entsprach, denn viele Katastrophen waren ihm nicht widerfahren bis zu dem Tag, da er die tödliche Diagnose erhielt.

Der Bruch seiner Angel bei der Pirsch auf Moby Dick war eine seiner wenigen Unglücksgeschichten gewesen, die er zur Freude seiner Freunde gern erzählte, denn er hatte das Talent aus kleinen Missgeschicken grandiose Unterhaltung zu machen. Jörg war ein großer Angler insofern, als seine Ambitionen groß, die geangelten Fische in der Regel aber eher klein waren. Zur Veranschaulichung dieses Missverhältnisses hielt er den Wobbler in Ehren, den größten künstlichen Köder, der für Geld zu kaufen war, das Geschenk eines Anglerfreundes, daheim auf dem Fensterbrett als Kunstwerk präsentiert.

„All die Schönheit von Kunst – und noch viel mehr davon“

Sein ironischer Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens zeigte sich auch bei seinem legendären Fernsehauftritt in einer namhaften Kultursendung, für die er über Schinkel interviewt worden war. Am Tag der Ausstrahlung lud er die Freunde zum gemeinsamen Fernsehen. Der Beitrag über Schinkel lief, aber ausgerechnet sein Auftritt war herausgeschnitten worden. Was ihn gleichermaßen erstaunte und amüsierte, denn über Schinkel hat er mehrere Bücher geschrieben, darunter auch eine Biografie „Karl Friedrich Schinkel: Baumeister Preußens“, die den Architekten nicht als kühl kalkulierenden Staatsdiener, sondern als „enthusiastischen Weltverschönerer“ präsentiert.

Über das Schöne nachzudenken, und wie es aus dem Unförmigen zu gestalten ist, das war in Unna, wo Jörg geboren wurde, nicht gerade Tagesthema. Eher schon im nahegelegenen Dortmund, im Westfalenstadion nämlich, dem Tempel, wo der BVB auftrat, dem Jörg lange die Treue hielt, noch länger allerdings dem Schachbrett. Denn Schach, da stimmte er Marcel Duchamp zu, „hat all die Schönheit von Kunst – und noch viel mehr davon.“ Jörg spielte sehr gut Schach, weil er die Fähigkeit hatte, immer neue Szenarien zu imaginieren. So hielt es ihn auch nicht lange zuhause, obwohl er da wohl behütet war, von der Mutter, den drei Schwestern, und einem Vater, der ihn lehrte, was Umtriebigkeit vermag, wenn sie von lebenslanger Neugier gespeist wird.

Jörg wollte nach dem Abitur nach Berlin und kam zunächst nach Passau, weil er dort einen Studienplatz für Kunstgeschichte bekam, was sein Glück war, denn er traf Juliane, die Frau seines Lebens. Von da an lief alles gut. Die beiden zogen nach dem Studium gemeinsam nach Berlin und praktizierten eine Geselligkeit, die anderen schnell das Herz wärmte. Jörg hatte das Talent genau die Leute zu finden, mit denen er über alles sprechen konnte, was ihn interessierte. Er unternahm all die Reisen, die ihn zu den Kunstwerken führten, über die er anderen erzählen wollte. Er war unglaublich findig darin, diese freien Momente zu gestalten, in denen der Betrachter und das Kunstwerk so in Dialog treten, dass ein Stück Glück erkennbar wird.

Katastrophen sind Wendepunkte der Wahrnehmung

Und ließ das Glück ein wenig zu lange auf sich warten, so zündete er eine Kerze an, in Florenz, in der Basilika Santissima Annunziata. Der himmlische Beistand, sein kunstwissenschaftlicher Sachverstand sowie ein gewisses Bewegungsgeschick im akademischen Haifischbecken bescherten ihm eine Professur in Passau, wo er die Studenten das lehrte, was Schinkel ihm eingeprägt hatte: „Unser Geist ist nicht frei, wenn er nicht Herr seiner Vorstellung ist …“

Nicht glauben, erkennen, was man sieht. Denn Bilder führen oft auf eine falsche Fährte, weil sie Emotionen hervorrufen, noch bevor sie begriffen sind. Wir tapsen umher als Erkennende, im Nebel, aus dem wir erst dann heraustreten können, wenn wir ihn wirklich gesehen haben. Nebel, das wird das Thema der Ausstellung sein, die er im nächsten Jahr im „Bucerius Kunst Forum“ in Hamburg so gern selbst präsentiert hätte.

Die Krankheit kam ihm zuvor. Die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs verhieß den baldigen Tod. Jörg zögerte das Ende geschickt hinaus, indem er dem Leben noch mehr Bedeutung gab als zuvor.

Katastrophen sind Wendepunkte der Wahrnehmung. Ein Berg wird zum Vulkan, ein Schiff zum Wrack, eine Nebelwand zum Wandelgang ins Jenseits. Aber nicht eine Sekunde hat er der Krankheit Macht über sich gegeben. Die Tage, die ihm blieben, versuchte er so zu leben, als ob das Leben all die Versprechungen, die es ihm in glücklicheren Zeiten gemacht hatte, vielleicht doch noch einhalten würde. Er zumindest tat alles dafür, und so wurde aus den wenigen Monaten, die ihm prognostiziert worden waren, ein ganzes Jahr. Noch einen Tag vor seinem Tod hielt er seine Vorlesung, online.

Ein Bild muss einen Rahmen haben und das Leben eine Form, und da er darüber nicht mehr in Kneipen räsonieren konnte, praktizierte er täglich eine chinesische Teestunde daheim. Er war mit Freunden und sie waren mit ihm, so selbstverständlich, dass man diese Art des Umgangs fast für selbstverständlich hätte halten können. Aber das ist sie nicht. Es war sein Geschick der Geselligkeit. Ein seltenes Geschick. Auch deshalb ging er ungern. Obwohl er wusste, dass sein Bild in der Erinnerung bleibt: das Bild eines Menschen, der andere stets ein wenig verliebter ins Leben machte.

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