
© privat
Nachruf auf Kay Shah Zareh: Gerade noch auf der Baustelle
Er fand Erfüllung in der Genügsamkeit und in der Arbeit. Und dachte folglich gar nicht daran, in Rente zu gehen
Stand:
Jedes Kind bringt die Botschaft mit auf die Welt, dass Gott sich von den Menschen noch nicht hat entmutigen lassen.“ Den Dichter Rabindranath Tagore legte ihm die Mutter ans Herz. Mit den Lehren Zarathustras machte ihn der Vater vertraut. Die Mutter war Spandauerin, der Vater Perser. Der war anlässlich der Olympischen Spielen 1936 nach Berlin gereist und war geblieben, des Studiums und der Liebe wegen. Im Kriegswinter 1943 auf ein glückliches Leben für ihren Sohn zu hoffen, erscheint verrückt, aber die Eltern sollten recht behalten. Sie überlebten den Krieg und zogen 1948 in den Iran, weil es in Deutschland so trostlos schien.
Der Vater arbeitete als Architekt für den Schah, ein Bruder wurde geboren und eine Schwester. Aber Kay gefiel es nicht in Teheran, ihm schien das Leben dort viel trostloser, als das Leben in Deutschland, und so war er nicht traurig, als sein Vater ihn zur schulischen Ausbildung zurückschickte, auch wenn es der Mutter das Herz brach, wie sie in vielen Briefen beteuerte.
Kay fand mit 13 ein neues Zuhause bei der Familie von Massow in Gauting und ging in München zur Schule, was er als großes Glück empfand. Das war sein Geschick: Er blickte stets freundlich auf die Menschen und die Welt, und so erstaunte es ihn auch nicht, dass die Menschen meist freundlich zurückblickten.
Im Kabinenroller zur „Dicken Wirtin“
Kay wollte Architekt werden wie sein Vater und zog für das Studium nach Berlin, wo er seine große Liebe fand. Ruth Golan war in Jerusalem geboren und ebenfalls zum Studium der Architektur nach Berlin gekommen. Im Messerschmitt Kabinenroller rollten die beiden häufig zu ihrem Lieblingslokal „Dicke Wirtin“, und auf dem Weg dorthin hat ihm Ruth ihren ganz persönlichen Antrag gemacht: Sie teilte ihren Kaugummi mit ihm. Es wurde eine innige Liebe daraus und eine lebenslange Arbeitsgemeinschaft.
Gebt den Menschen ein Zuhause, in dem es sich gut zusammen sein lässt, sei es als Wohnhaus, als Schule, als Kirche oder als Synagoge, darum ging es den beiden. Über 80 Bauten haben sie verwirklicht, darunter das Jüdische Mahnmal am Lindenufer in Spandau. Vor dessen Erweiterung starb Ruth, was Kay zu Boden warf. Sie war stets die Tonangebende gewesen, die Organisierende. Er hingegen verstand sich als Arbeiter, als Handwerker, bescheiden, ohne Allüren. Sie konnte sehr aufbrausend sein, er war der Moderate. Sie war sein Stern, ohne sie war er im Dunkel. Aber Ruth wäre nicht Ruth gewesen, wenn sie nicht auch an die Zeit nach ihrem Tod gedacht hätte.
„Kümmer dich um Kay, wenn ich nicht mehr da bin“, hatte sie die gemeinsame Freundin Angelika gebeten. Und Kay ließ es gern geschehen, auch wenn manche Formen der Ermunterung für ihn gewöhnungsbedürftig waren. So nahm ihn Angelika jeden Morgen mit zum Schwimmen im Schlachtensee, 13 Jahre lang, ein festes Ritual bei Wind und Wetter, auch wenn es kälter wurde. So viel Grad das Wasser, so viel Zeit verbrachten sie darin. Er im Herbst mit Handschuhen und dem festen Willen vor Angelika und den anderen Kältetrotzenden der kleinen verschworenen Gemeinschaft nicht als Drückeberger dazustehen. Zum Dank für diesen Durchhaltewillen brachten die Mitschwimmer nach seinem Tod an einer Bank am Schlachtensee ein kleines Messingschild ihm zum Gedenken an.
Es gab viele Rituale des Beieinanderseins. Jeden Morgen lasen Angelika und er gemeinsam Gedichte. Anfangs Celan, was auf Dauer eher niederdrückend wirkte, weshalb sie zu Ernst Jandl wechselten. Sie lasen gemeinsam in der Bibel und im Koran, denn Zarathustra lehrt Toleranz gegenüber allen Religionen. Es ist nicht wichtig, welchen Glauben ein Mensch hat, wichtig ist, ob er ein guter Mensch ist.
Der Glaube der Zarathustrier
„Gut denken, gut reden, gut handeln“, das ist für Zarathustrier der einzige religiöse Imperativ von Belang. So einfach und klar dieses Denken auch ist, so schwindend die Zahl der Anhänger Zarathustras. Einst waren es Millionen, heute sind es weltweit nurmehr 150.000, in Deutschland allenfalls einige hundert.
Sie haben hierzulande weder Tempel noch Priester, dennoch war Kay sein Glaube im Alltag wichtig. Er war nicht laut, schon gar nicht missionarisch, aber seine Gewissheiten waren auch nicht angreifbar. Er wollte sich den freundlichen Blick auf die Welt und das Jenseits nicht nehmen lassen. Und er hasste es, wenn Menschen ihrer religiösen Überzeugung wegen angefeindet oder gar getötet werden. Im Iran wurden die Zarathustrier jahrhundertelang verfolgt, deswegen empfand Kay für jede religiöse Minderheit auf der Welt Mitgefühl. Denn, wenn es einen Gott gibt, dann ist er der Gott aller. Und wenn es einen rechten Glauben gibt, dann nur, wenn dieser Glaube nicht zur Herabwürdigung anderer dient.
Im Frieden mit sich und mit anderen sein, fällt vielen Menschen schwer. Was für Kay verwunderlich war. Er kam mit Angelika wunderbar aus, weil sie immer alles gemeinsam angesprochen haben, was zum Problem zwischen ihnen hätte werden können. Und was er nicht direkt aussprechen konnte, das brachte er in seinen Bildern zum Ausdruck. Oder in der Küche, wenn er für alle persisch kochte. Kay hat gern gelebt, im Stillen. Er fand Erfüllung in der Genügsamkeit und in seiner Arbeit. Denn er dachte gar nicht daran, in Rente zu gehen, jetzt, da er gerade das 50-jährige Berufsjubiläum gefeiert hatte.
Eine Woche vor seinem Schlaganfall war er noch auf der Baustelle. Fünf Wochen zuvor hatte er die Diagnose erhalten: Lungenkrebs im Endstadium, keine Aussicht auf Heilung. Der Schlaganfall bewahrte ihn vor längerem Siechtum. Eine Woche lag er im Krankenhaus, dann starb er.
Er hatte es in den Monaten zuvor gespürt, dass er immer schwächer wurde. Es blieb ihm die Zeit, mit seinem Leben abzuschließen, es blieb ihm die Zeit, Abschied zu nehmen. „Es kann jetzt auch Schluss sein“, befand er. Sein letzter Wille war es, auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beerdigt zu werden, obwohl er nicht jüdischen Glaubens war, aber er wollte wieder vereint sein mit Ruth. Und er wusste, der Tod nimmt alle gleichermaßen in seine Obhut.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: