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Nachruf auf Mie-Rha Kim Dittwald: Endlich einmal stillsitzen
Es fiel ihr schwer, sich in Deutschland zu behaupten – anfangs. Doch mit ihrem Lachen steckte sie alle an.
Stand:
Nun ist sie ein Schmetterling, an Sonntagen, und unter der Woche eine fleißige Biene, das weiß Romy, ihre jüngste Enkelin, ganz genau, denn untätig hat sie Halmorny nie erlebt. Halmorny heißt Oma auf Koreanisch. In Romys Kita wurde sie auch Harmonie gerufen. Ihr Herz war groß genug für alle, für die Familie in Berlin wie die in Südkorea, die ohne sie ein viel ärmeres Leben hätten führen müssen. Für sich selbst allerdings sorgte sie nie so gut wie für die anderen.
Zehn Geschwister, drei starben, wenig zu essen, denn Mie-Rhas Vater verdiente als Lastwagenfahrer selten genug. Ihre Mutter hatte Sängerin werden wollen, musste aber dazuverdienen, und sang nur noch daheim. Mie-Rha war gut in der Schule, aber für Bücher und Studium reichte das Geld nicht, und so lernte sie Krankenschwester, in Südkorea ein angesehener Beruf.
In Deutschland war das anders, wie sie schmerzhaft erfahren musste, als sie im Sommer 1970 mit zehntausend anderen frisch angeworbenen Krankenschwestern ankam. Dazu war vieles fremd, die Sprache, das Essen, die unnahbaren Menschen. Mit ihrer schüchternen Art fiel es ihr schwer, sich zu behaupten, anfangs.
Drei Jahre in West-Berlin waren vorgesehen, dann sollte sie zurück in ihre alte Heimat. Doch sie traf Manfred, der hartnäckig um sie warb. Mie-Rha musste sich in diese Liebe erst hineinfinden. Sie brachte eine Tochter zur Welt, kaum dass sie geheiratet hatten und nannte sie Liane. Auf keinen Fall ein koreanischer, auffälliger Name! Mie-Rha war hin- und hergerissen zwischen den Kulturen und überfordert mit dem Schichtdienst in der Klinik, der gleichzeitigen Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin, der Tochter, dem Haushalt und mit den Ansprüchen an sich selbst. Denn es galt weiterhin, auch die Familie in der Heimat zu unterstützen.
Viel Gemüse, das hielt jung und schön
Mie-Rha wirtschaftete mit ihrem Gehalt so umsichtig, dass ihre Brüder studieren konnten und ihre Mutter im Alter eine eigene Wohnung besaß. Daneben blieb genug, um eine eigene kleine Wohnung zu kaufen und ihren Mann und ihre Tochter lecker und gesund zu ernähren. Viel Gemüse, frisch, oder gut gewürzt als Kimchi, das hielt jung und schön.
Denn nicht nur die innere Schönheit war ihr wichtig, sondern auch die Äußere. Als Kind war ihr mal gesagt worden, sie habe ein schönes Gesicht, aber die Augen seien zu klein! Darunter hat sie lebenslang gelitten. Und machte anderen umso lieber Komplimente. An Manfred mochte sie seine Augen, seinen Bart und die Frisur, die fand sie „sexy“, wie sie ihrer pubertierenden Enkelin unverlangt gestand. Sie hatte zuweilen den Hang zu einer verblüffenden Direktheit. „Du hast so schöne, große Brüste!“, entfuhr es ihr beim gemeinsamen Abendessen mit Freunden über den ganzen Tisch hinweg. Oft kicherte sie hinter der Hand wie ein junges Mädchen, erzählte lustige Anekdoten, lachte dann lauthals – meist über sich selbst – und steckte alle damit an, je nach Größe des Fettnäpfchens, in das sie gerade getreten war.
Einen Heimaturlaub leistete Mie-Rha sich nur alle zehn Jahre, aber als das Internet aufkam, rückte sie mit ihrer Familie in Südkorea virtuell viel näher zusammen. Sie machte einen Computerkurs, um fit in der Technik zu sein, und einen Englischkurs und einen Deutschkurs. Klavier lernte sie auch, und weil Manfred nicht mittanzen wollte, machte sie Linedance, zweimal in der Woche. Mie-Rhas Tag hatte geheimnisvollerweise mehr Stunden als die Tage aller anderen. Die brauchte sie auch, denn da war noch ihr Garten in Buckow. Mie-Rha heißt schönes wildes Feld, aber sie hat einen kleinen Paradiesgarten daraus gemacht, der all die Früchte trug, die sich hervorragend zu Marmelade oder Kuchen verarbeiten ließen.
So würde sie uralt werden, dachten alle
Die drei Enkelkinder verbrachten viele Sommer dort, sie ernteten gemeinsam, sammelten zusammen die Nacktschnecken ein und wilderten sie fernab auf einem Parkplatz wieder aus. Manfred brachte ihr geduldig das Schwimmen und das Radfahren bei, wobei sie beim Schwimmen stets das Gefühl haben musste, mit einem Bein den Boden berühren zu können, sonst drohte Ertrinken. Deshalb wanderte sie lieber. Und sie verreiste gern. Auf einer großen gemeinsamen Reise Anfang der 90er nach Australien verliebten sie und Manfred sich nach schwierigen Ehejahren wieder ganz neu ineinander, ein kleines Wunder.
Wo Halmorny all die Liebe hernahm, die sie zu verschenken hatte, weiß kein Mensch. Übertrieben sparsam war sie nur mit ihren Witzen, drei Fritzchen-Witze, über die konnte sie immer lachen, wenn sie ihre müde Enkelin Fabia nach der Ballettstunde auf dem Rücken, weit nach vorn gebeugt, nach Hause trug. Streng sein lag ihr nicht, was ihre Enkel natürlich zu nutzen wussten. Wenn Romy mit ihren sechs Jahren drei große Eiskugeln wollte, dann bekam sie die auch. „Sie hat so lieb gefragt.“
Ansonsten bekamen auch die Enkel nur Gesundes von ihr zu essen, wie all die Freunde auch, für die sie so gern kochte, bevor es dann ans Kartenspielen ging. Für sich selbst hatte sie ebenfalls ein diszipliniertes Fitness-Programm: jeden Morgen Gymnastik mit den Vorturnerinnen vom Bayrischen Fernsehen, viel koreanischen Tee, und ab und an ein Bier mit dem Schwiegersohn, so würde sie uralt werden, dachten alle.
Denn mit den Jahren lernte sie, langsam aber spürbar, zufriedener mit sich und ihrem Lebensweg zu sein, Liebe zu empfangen. Endlich einmal stillsitzen, hoffnungsfroh genießen. Doch das Schlimmste geschah. Drei Tage nach ihrem Geburtstag war sie auf dem Weg zur Bushaltestelle, weil sie zum Garten fahren wollte. Sie überquerte den Fußgängerüberweg. Ein Auto, das von links kam, hielt. Der Bus von rechts bremste zu spät.
Nun ist da diese Leere. Die sich langsam füllt mit all den Erinnerungen an sie, wie ihr kleiner Paradiesgarten in Buckow im Frühling sich wieder füllen wird mit Kräutern, Blumen, Früchten. Und die Schmetterlinge werden fliegen und die Bienen.
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