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Siegfried Kleimeier

© privat

Nachruf auf Siegfried Kleimeier: In Sachfragen gesprächiger

Small Talk mochte er nicht, solange es noch was zu tun gab in der Stadt 

Stand:

„Einen Finger kann man brechen, aber fünf Finger sind eine Faust.“ Ernst Thälmann, der mit dieser Parole die Solidarität der Arbeiterschaft beschwor, wurde im KZ Buchenwald ermordet. Sigis Vater, Sozialdemokrat, wurde in Dachau interniert, kam frei, musste in den Krieg. Wurde mehrfach verwundet, verlor ein Bein, was ihn nicht hinderte in Friedenszeiten mit der Hauskatze auf der Schulter durch Sonthofen zu radeln, um im Dienst der Stadt die Kleingärten neu zu ordnen.

Sigi war das Jüngste von sechs Geschwistern, ungetauft wie alle, was im katholischen Allgäu einiges Kopfschütteln hervorrief. Viel Geld gab es nicht im Haus, aber der Blick nach vorn war Pflicht, und der kämpferische Zusammenhalt. Als der Vater sah, dass der Sohn mehr wollte, als nur seine Maurerausbildung zu Ende zu bringen, ließ er ihn nach Berlin ziehen. So blieb Sigi der Dienst an der Waffe erspart und die kleinstädtische Tuschelei.

Ursula ging mit ihm in die große Stadt, seine Jugendliebe, mit der er einen Sohn bekam, Anatol, und nach dem Studium sein erstes Architekturbüro gründete. Aber in der Folge trennten sich die Wege. Sigi hatte für das Getue mancher Stararchitekten wenig übrig, „diese Spinnerebene brauch‘ ich nicht, will ich nicht“. Er wollte Häuser für Menschen bewohnbar machen und bezahlbar. Ihm imponierten die Hausbesetzer in Kreuzberg, junge Leute, die in den 80er Jahren eine Menge Mut brauchten, sich den Spekulanten und Ordnungshütern entgegenzustellen. Wenn die Häuser zu einem Zuhause werden sollten, mussten sie instandgesetzt werden. Das war genau Sigis Ding. Er gründete 1983 gemeinsam mit anderen die Stadtentwicklungsgesellschaft „Stattbau“. Ziel: eine behutsame Stadterneuerung, legal, in Abstimmung mit dem Senat. Zum Dank verwüsteten dickköpfige Spontis sein Büro, weil sie Sigi und Kollegen für Handlanger des Kapitals hielten. Falscher Argwohn, denn bis 1990 wurden 60 besetzte Häuser saniert, und zwar nicht mit Profitgier und Pfusch, sondern nach ökologischen Standards, die Maßstäbe setzten.

Lasst die mal spielen

Sigi konnte gut mit Punks und Pastoren, auch wenn erstere nicht mit Geld umzugehen wussten. Einen Punk zur Kontoeröffnung zu überreden war schwerer, als den Senat zu überzeugen, Geld für die Befriedung von Kreuzberg bereitzustellen. Genossenschaftliche Modelle wurden entwickelt, Selbsthilfeprogramme ins Leben gerufen, alternative Wohnformen mit neuen Grundrissen erprobt. Was die Studenten erdachten, setzte Sigi bautechnisch um. Ersatz der Ofenheizungen, Photovoltaik, Wiederverwertung des Brauchwassers, Fassadenbegrünung, Begrünung der Höfe und der Dächer. Lasst die mal spielen, dachten die beamteten Stadtentwickler und staunten dann, dass diese Art des Bauens nicht nur billiger war, sondern einen ganz neuen Zusammenhalt im Kiez stiftete.

Amtskirchen und Stiftungen wurden aufmerksam. Die Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg wurde erneuert mit der Idee, sie für alle zu öffnen, nicht nur für die Gläubigen. Die Koepjohann´sche Stiftung für Witwen und Waisen, 1792 gegründet, stand 200 Jahre später vor der nahezu unlösbaren Aufgabe, ihre Häuser zu sanieren, um sie wieder für Bedürftige öffnen zu können. Ein Projekt in Sigis Sinn, weil er Tag und Nacht daran arbeiten konnte. Das war für ihn kein Stress, sondern ein Energiebeschaffungsprogramm. Sport? Der lief im Fernsehen, abwechselnd mit Politiksendungen.

Soziale Einrichtungen brauchen ein Dach über dem Kopf und einen Haushalt, beides muss wasserdicht sein. Das waren die Häuser im Holländischen Viertel in Potsdam nicht, da drohte vielen nach der Wende der Abriss. Wäre nicht Sigi mit seiner schnellen Eingreiftruppe vor Ort gewesen.

Viele Baustellen auf einmal, das liebte er, da konnte er sich verausgaben, bis ein Tumor in der Brust ihn bremste, mit Mitte 40, gutartig. Sigi hielt dennoch kurz inne, bedachte, was ihm wichtig war im Leben, trat in die Evangelische Kirche ein – und initiierte noch mehr Projekte.

Die Friedhofsentwicklungsplanung in Berlin war eine Herzenssache. Die Toten finden auf dem Friedhof immer ein Zuhause, aber auch für die Lebenden sollte ein Platz sein, um zur Besinnung zu kommen. Und eine Tasse Kaffee zu trinken. Sigi ging gelegentlich gern ins Kino, da lag es nahe, ein Baufälliges zu sanieren. Er ging gern Paddeln, als er noch mehr Zeit hatte, und gründete einen Paddelbootverleih. Er sah Menschen ohne Obdach und kümmerte sich um die Sanierung von Flüchtlingsunterkünften. Auf Partys hielt er es allenfalls zwei Stunden aus. Small Talk mochte er nicht, solange es noch was zu tun gab in der Stadt. In Sachfragen war er gesprächiger, auf eine ruhige und umgängliche Art. „Ich bin jemand, der nicht Schuld sucht, sondern Ursachen“, betonte er in seinen Mitarbeitergesprächen. Denn nicht jedes Bauvorhaben konnte mit seiner neuen Baugesellschaft „Perspektive“ umgesetzt werden, da mussten die Kollegen immer mal wieder neu eingeschworen werden. Es ging ihm dabei nie um die Gewinnerwartung, sondern darum, dass etwas Gutes passiert. Selbstbestimmte Arbeitsplätze in einem Friedhofscafé wie dem auf dem Alten St. Jacobi Friedhof schaffen. Solidargemeinschaften gründen, die dauerhaft bestehen. Thälmanns Faust-Parole zitierte er dann gern. Oder Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.“ Volles Tempo bei allen Vorhaben.

Wieder bremste ihn ein Tumor, diesmal bösartig. Sigi wollte mit der Krankheit kooperieren, ihre Ansprüche geschickt moderieren, wie er das in vielen Verhandlungsrunden mit Bauträgern immer wieder geschafft hatte. Das ging drei Jahre gut. Dann war er am Ende seiner Kraft. Wie das Leben ohne ihn weitergehen konnte, leuchtete ihm nicht recht ein, aber seine Botschaft war klar: „Haltet zusammen und passt aufeinander auf!“ Damit das nicht mit hungrigem Magen geschah, wünschte er sich zum Abschied für alle eine Allgäuer Brotzeit, mit Schinkenspeck und Käse und reichlich Getränken. „Macht es euch nicht so schwer, versucht beim Abschied auch ein bisschen fröhlich zu sein.“

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