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Wenn genug Platz vorhanden ist, stört es niemanden, wenn Sie Ihr Fahrrad schieben. Aber drängeln Sie sich bitte nicht durch Menschenmengen!

© Lukas Schulze/dpa

Nervige Fahrradbesitzer in Berlin: Schieb ab!

Früher fuhr man mit Rad von A nach B. War kein Durchkommen, ging es ohne Rad zu Fuß weiter. Heute drängen Faulpelze ihre Mühlen in die Bahn und Hipster ihre Superbikes über den Markt. In einer hasserprobten Stadt wie Berlin geht das nicht lange gut.

Sogar die Sonne hat ihre Schattenseiten. Draußen wird es wärmer, das ist schön. Findet ja jeder. Es wird voll. Auch auf dem Markt am Maybachufer, Neukölln. Tomaten, das Kilo ein Euro, Mangosenf für vier, Musik umsonst. Die Sonne knallt. „Why does it always rain on me?“, jammert einer mit Akustikgitarre. Aha, soso. Doch plötzlich versiegt der Strom der Passanten. Alles staut sich wie an einem Wehr, an einer Stelle, die nicht einmal besonders eng ist. Von hinten quäkt noch immer der Mann mit Gitarre. Nichts geht mehr, weder vor noch zurück.

Der Grund: ein Fahrrad. Eines dieser schlanken Dinger ohne Bremsen und Gangschaltung, das zwar nach wenig aussieht, dafür aber viel kostet. Dieses Rad, vom bärtigen Besitzer über den Markt geschoben, hat sich zwischen Stand und Passanten verhakt. Statt jetzt den Kopf einzuziehen, sich für seine Rücksichtslosigkeit zu entschuldigen, sagt der Schieber zum Passanten: „Können Sie nicht aufpassen, ich muss hier durch.“

Äh, Bimmelimmelimm?

Ein Fahrrad ist ein Gebrauchsgegenstand, der das Leben leichter machen soll. Radfahren ist umweltschonend, man ist schneller unterwegs als zu Fuß, und gesund ist es auch. Für den Bärtigen auf dem Markt droht der Gesundheitspunkt gerade ins Gegenteil umzuschlagen. Der Standbesitzer sagt ihm sehr bestimmt und Neukölln-nett, dass er doch bitte sein „Scheißdrecksrad“ einfach vor dem Markt anketten soll wie alle anderen auch.

Kann er aber nicht. Die Angst verbietet es ihm. Er hat das falsche Fahrrad in der falschen Stadt. Der Schieber aber sieht das nicht, er pocht auf das Recht, sein Superbike über den Markt zu schieben. Der Standbesitzer wiederum pocht auf sein Standesrecht. Und so ist die Situation verfahren.

Ich fahre selbst viel. Nur: Die Betonung liegt auf „fahren“. Nicht auf rumstehen, dranlehnen, den Flur vollstellen

Ich finde das neue Selbstbewusstsein der Berliner Pedalisten gut, ob sie nun auf dem Fixie sitzen oder auf dem Lastenrad. Ich fahre ja selbst viel. Nur: Die Betonung liegt auf „fahren“. Nicht auf schieben, nicht auf rumstehen, dranlehnen, den Flur vollstellen oder an die Wand hängen.

Letzteres macht mein Nachbar von gegenüber, ich kann ihn dabei beobachten. Ein junger Kerl ohne Gardinen vor den Fenstern, dafür aber mit 2000-Euro-Rad, um das er eine solche Angst zu haben scheint, dass er es jeden Abend auf den schmalen Schultern in seine Wohnung trägt, Vorderhaus, dritter Stock. Dann putzt er es mit einem Lappen und hängt es an die Wand.

Die Angst, sie eint meinen Nachbarn mit dem Rad an der Wand und den Typen mit dem Rad auf dem Markt. Die Angst, dieses teure Gefährt nirgends stehen lassen zu können. Weil es sonst, natürlich, geklaut würde. Meinen Nachbarn will ich noch in Schutz nehmen, es ist seine Wand, sein Rad, und wenn er findet, dass diese beiden Dinge zusammengehören, wer bin ich, es ihm auszureden? Der Markt-Rad-Schieber ist eine andere Geschichte. Seine Angst behindert andere Menschen. Menschen, die mit seinem Fahrrad wirklich nichts zu tun haben und an diesem Frühlingstag dennoch von ihm gebremst werden, in der Angst mitgefangen sind.

Anderer Tag, noch engerer Raum: Weniger aus Angst denn aus Faulheit schieben ganz stolze Radbesitzer ihr Zweirad gerne in den hintersten Wagen von S- und U-Bahn. Zuletzt in der U7, am Mehringdamm steigt ein Schieber ein, Helm um den Lenker, Rechtschaffenheit im Gesicht, „das ist hier für Fahrräder“. Sein Rad streift eine Mitreisende an der hellen Hose, ein Fleck, sie schaut ihn an, vorwurfsvoll. Er sagt: „Tja!“, prüft den Reifendruck und streicht zärtlich über den Rahmen, als wäre der eine schöne Frau.

Als der Velo-Verliebte an der Yorckstraße aussteigt, klingelt er, weil zwei Jungs ihm nicht fix genug aussteigen. 1,4 Kilometer Strecke waren das jetzt, keine zehn Minuten hätte er mit dem Rad gebraucht, es regnet nicht. Nun hassen ihn zwei Dutzend Menschen. Nach Rollkoffern, schwäbischen Aussiedlern und Airbnb-Touris könnten Schieber generell das nächste große Hassding werden in einer Stadt, die so gerne verachtet wie kaum eine andere. Frei nach dem Motto: „Die Sonne ist warm und die Lüfte sind lau, gehn wir Radschieber vergiften auf dem Markt!“

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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