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„The Ballery“ zeigt vor allem Kunst, dienstags treffen sich in den Räumen aber auch Neu-Berliner aus den verschiedensten Ländern.

© Dale Grant/promo

Kunstraum in Schöneberg: Neue Träume im alten Westen

In Schöneberg will eine Galerie an die Vergangenheit des Bezirks anknüpfen.

„Kunst ist mir eigentlich egal“, sagt Simon Williams, ausgebildeter Tänzer und Choreograph, gebürtiger Brite, Wahlberliner seit fünf Jahren. Er sitzt im Erdgeschoss eines Hauses in der Nollendorfstraße. Ein Galerieprojektgründer, der kein Interesse an Kunst hat – wie passt das zusammen? „The Ballery“ liegt mitten im Schöneberger Regenbogenkiez – dort, wo in den dreißiger Jahren der britische Schriftsteller Christopher Isherwood die Nächte durchfeierte, seine Homosexualität auslebte, und die Vorbilder für die Figuren seiner Berlin-Romane kennenlernte. David Bowie und Nick Cave hatten hier ein paar wilde Jahre, doch längst ist ein Großteil der jungen Kreativen- und Schwulenszene weiter nach Osten gewandert. Simon Williams hingegen hat sich in den alten Westen verliebt und glaubt, dass Schöneberg als Szenebezirk noch eine große Zukunft vor sich hat. Zur Erfüllung dieser Vision möchte Williams als Gründer und Kurator des Kunstraums „The Ballery“ beitragen.

Es begann damit, dass er die Bekanntschaften, die er während seiner ersten Monate in Berlin machte, regelmäßig in seine Schöneberger Wohnung zum Brunch einlud. Die Sonntagsgesellschaft war bald so groß, dass sie in ein nahegelegenes Café umziehen musste. Vor etwa drei Jahren hörte Williams von dem freigewordenen Laden in der Nollendorfstraße und sah die Gelegenheit, seinen Salons ein festes Zuhause zu geben.

Dienstags kommen die Expats zum "Speak Easy"

Wenn Menschen, die einander fremd sind, zusammenkommen, braucht das in seinen Augen einen Hintergrund, einen Raum, der Geist und Gespräche anregt und in dem sich jeder wohlfühlt. Simon fand, dass eine Kunstgalerie genau dies erfüllt. Mit „The Ballery“ inszeniert Simon nun diesen Austausch. Für ihn geht es bei Kunst um die Geschichte, die hinter einem Werk steckt, und um die Botschaft, die der Künstler kommuniziert.

Womit die weiträumige Ladenfläche mit den Bogenfenstern gefüllt wird, bleibt dem Zufall überlassen, der Simon und seinem kubanischen Kollegen Otto Hernandez Themen und Künstler in die Hände spielt. Der Name des Projekts entstand aus einer Vermischung der englischen Worte für Ballett und Galerie, und so umfasst das Programm alles, was man sich unter bildender und performativer Gegenwartskunst vorstellen kann. Es gibt Klavierkonzerte, Lesungen, Talks und Ausstellungen.

Dienstags versammelt man sich in der „Ballery“ zum „Speak Easy“ – Künstler, Durchreisende, Geflüchtete. Es kommen zwar auch Ur-Berliner, aber vor allem „Expats“, also Neu-Berliner, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Die Kommunikation funktioniert trotzdem, denn die Tische sind mit Landesflaggen gekennzeichnet und so nach Sprachen aufgeteilt. Neben Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch und Italienisch gibt es meistens auch eine russische oder portugiesische Tischgesellschaft. Etwa 15 Sprachen werden hier gesprochen.

Oft verteilt Simon am Ende Briefumschläge, die die Teilnehmer mit ihrer Adresse beschriften, um per Post über kommende Veranstaltungen auf dem Laufenden zu bleiben. Williams mag das Analoge, Nostalgie spielt für ihn eine wichtige Rolle. Die Reminiszenzen an Christopher Isherwood und seine Zeit sind zahlreich: „Speakeasys“ hießen die illegalen Bars in den USA, in denen während der Prohibition leise gesprochen werden musste, damit niemand auf die trinkende Zusammenkunft aufmerksam wurde. Der Schriftsteller wohnte selbst in der Nollendorfstraße und das Café, in dem Williams’ Sonntagssalons zeitweise stattfanden, ist nach einer Figur aus Isherwoods „Berlin Stories“ benannt: Sally Bowles.

„Berlin Stories“ heißt auch die Reihe, zu der Simon Williams Persönlichkeiten der Berliner Szene für Vorträge und Interviews einlädt. Vor einiger Zeit war Mark Reeder zu Gast, der die achtziger und neunziger Jahre in Berlin als Labelgründer, Musiker und Schauspieler erlebte und dessen Erfahrungen der Film „B-Movie“ dokumentiert. Dass der hier gezeigt wurde, passt ja nur zu gut zu diesem Ort, der vom Traum des alten Schönebergs lebt.

Nollendorfstraße 11-12, „Speak Easy“ findet dienstags, 18-22 Uhr. statt. Infos unter www.theballery.com

Julian Goldmann

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