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Eine Wanderausstellung "Opfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland" in Berlin im Juni 2011

© TSP/Kai-Uwe Heinrich

Rechtsextremismus: Nur zaghafte Anerkennung für die Opfer rechter Gewalt

In den Statistiken von Bundesregierung und Länder ist die Zahl der Opfer rechter Gewalt weitaus geringer als in Dokumenationen von Journalisten oder Initiativen. Die offizielle Anerkennung erweist sich als schwierig.

Ein 55-jähriger Mann aus Ruanda, der am 23. Oktober 2014 in einer Unterkunft für Wohnungslose in Limburg (Hessen) getötet wurde, könnte nach derzeitigen Stand das vorerst letzte von mindestens 153 Todesopfern rassistisch und rechts motivierter Gewalt seit 1990 in Deutschland sein.

Das Landgericht Limburg verurteilte Ende Juni zwei Männer wegen Mordes zu Haftstrafen von zwölf und zehn Jahren. Die beiden Angeklagten hatten ihr Opfer rassistisch beleidigt und so massiv mit Tritten und Schlägen misshandelt, dass der 55-Jährige an inneren Blutungen starb. Sowohl das Gericht als auch die Staatsanwaltschaft gingen von Fremdenfeindlichkeit als niederen Beweggrund aus. Im Verlauf des Prozesses hatten Zeugen zudem bestätigt, dass die Angeklagten sich vor dem Tat gegenseitig mit dem Hitler-Gruß posierend fotografiert hatten.

Ob der namenlose Mann aus Ruanda in den offiziellen Statistiken als Todesopfer rassistischer bzw. rechts motivierter Gewalt anerkannt wird, ist noch ungewiss. Das Landeskriminalamt Hessen müsste dafür den Fall als "Politisch Rechts Motivierte Kriminalität" (PMK-Rechts) ans Bundeskriminalamt melden, damit er Eingang in die gemeinsame Statistik der Länder und des Bundesinnenministeriums findet.

Doch bislang gibt es erhebliche Unterschiede zwischen der Anerkennungspraxis in den einzelnen Bundesländern - trotz der seit dem Jahr 2001 bundesweit geltenden Kriterien, wonach eine Tat als politisch rechts motiviert zu werten ist, „wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung der Täter darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status‘ richtet.“

Große Diskrepanz

Ohnehin erkennt die Bundesregierung – und mit ihr die jeweiligen Bundesländer - lediglich ein Drittel aller bislang bekannt gewordenen Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt seit 1990 an. Während Tagesspiegel und ZEIT online 153 Tötungsdelikte seit 1990 dokumentieren, gehen Initiativen und die Amadeu Antonio Stiftung sogar von 184 Fällen für den gleichen Zeitraum aus.

Demgegenüber hatte die Bundesregierung ihre eigenen Zahlen zuletzt im November 2014 auf 64 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 erhöht, nachdem das sächsische Innenministerium aufgrund von Recherchen von antifaschistischen Initiativen den gewaltsamen Tod eines 16-jährigen Schülers durch einen bekennenden Rechten in Leipzig-Wahren am 4. Oktober 2003 nachträglich anerkannt hatte. Die „rechte Motivlage“ habe sich erst aus dem Urteil ergeben und sei der Polizei „bislang nicht bekannt“ gewesen, so dass sächsische Innenministerium.

Mit gleichlautender Begründung hatte Sachsen schon im Jahr 2013 einen syrischen Asylsuchenden und einen jungen Punk, die 1996 bzw. 1999 von Neonazis getötet worden waren, nachträglich anerkannt. In Sachsen-Anhalt waren die Fälle von Tagesspiegel und ZEIT online sogar schon im Jahr 2012 überprüft worden. Hier hatten Innen- und Justizministerium – anders als in Brandenburg – allerdings auf eine unabhängige Instanz. Das Ergebnis war die nachträgliche Anerkennung von drei weiteren Tötungsdelikten, darunter auch der gewaltsame Tod des 21-jährigen Matthias Lüders aus dem Jahr 1993, der bei einem Überfall von Neonazis auf eine nicht-rechte Diskothek getötet wurde.

Seit zwei Jahren prüft nun auch eine so genannte „AG Fallanalyse“ des Bundeskriminalamtes (BKA) als Konsequenz aus der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) alle von Tagesspiegel und ZEIT online veröffentlichten Fälle. Darüber hinaus untersuchen das BKA und die Landeskriminalämter auch 745 weitere Fälle auf mögliche rechte Hintergründe.

Noch liegt das Ergebnis nicht vor. Es ist jedoch zu befürchten, dass sich die seit über fünfzehn Jahren herrschende große Diskrepanz zwischen den offiziell anerkannten und den von Journalisten und Initiativen dokumentierten Todesopfern rechter Gewalt kaum verringern wird. Es sei denn, andere Bundesländer folgen dem Beispiel von Brandenburg und geben ebenfalls unabhängige Überprüfungen von strittigen Altfällen in Auftrag.

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