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Ein reaktivierter S-Bahn Viertelzug vom Typ 485 in Schöneweide.

© picture alliance / dpa

Berliner S-Bahn: Oldies auf Achse

Am Tag der Einheit rollen Ost- und West-Veteranen der S-Bahn ein letztes Mal auf der Stadtbahntrasse.

Wer die deutsche Einheit schnell und trotzdem intensiv erleben will, kann das auf der Stadtbahntrasse. Die führt quasi im ersten Obergeschoss vom Ostbahnhof zum Westkreuz – mit Blick auf Wesentliches: East Side Gallery, Alex, Reichstagufer, Spreebogen, Bahnhof Zoo. Alltägliche Berliner Weltgeschichte eben. Wobei nur Eingeweihten bewusst ist, dass es diese besondere Tour sowohl mit Ost- als auch mit West-Fahrzeugen gibt. Genauer gesagt: gab. Denn wie Bahnfans in Onlineforen munkeln und die S-Bahn auf Anfrage bestätigt, werden die Ossis und die Wessis am langen Einheitswochenende letztmalig zwischen Ost und West unterwegs sein – als S 5 und S 75. Um dann das Feld den Nachwendekindern zu überlassen. Ein historisches Ereignis für manche Bahnfans, die für alle anderen gut an ihren Kameras erkennbar sein dürften. Oft werden sie auch „Stoffbeutelträger“ genannt, sind aber als solche keinesfalls mit den technisch eher unbedarften Hipstern zu verwechseln.
Wer jetzt nur Bahnhof versteht: Das lässt sich erklären (Achtung: Jetzt kommt Jungskram). Die Ossis bei der S-Bahn tragen Nummern, die mit 485 beginnen. Sie sind in der DDR entwickelt und um die Wendezeit gefertigt worden. Erkennungszeichen: Mittig geteilte Frontscheibe, außen vorgesetzte Türen, deren Kanten bei der ersten Schneeflocke garantiert bombenfest vereisen, sodass man dann vergeblich auf dem quadratischen Öffnungstaster herumdrückt.
Wie im richtigen Leben sind auch bei der S-Bahn die Ossis schon mal voreilig ausgemustert worden, was später bereut wurde: Die 485er waren teils schon auf dem Schrottplatz angekommen zu jener Zeit, als der Vorstand der S-Bahn aus Juristen und Kostendrückern bestand, die ohne Reserven auszukommen glaubten und den Laden 2009 vor die Wand fuhren. Dann folgte die große Wiederbelebung von rund 80 Doppelwagen.
Die Wessis dagegen heißen alle was mit 480 – romantischer wird’s bei der S-Bahn leider nicht – und wurden ab 1984 für die BVG entwickelt, nachdem die die West-Berliner Rudimente der DDR-Reichsbahn-betriebenen S-Bahn übernommen hatte. Die 480er sind die mit den trapezförmigen Frontscheiben und den mordslauten Motoren, in deren Innenräumen es kein vernünftiges Gepäckabteil gibt, sondern nur jene Nische mit den zwei Klappsitzen und dem Längsparkplatz für ein Fahrrad, das beim Beschleunigen und Bremsen fast unvermeidlich wegrollt.
Auch die Wessis müssen übers geplante Rentenalter hinaus durchhalten, weil neue Züge erst ab 2021 geliefert werden. Nur dürfen sie ab Ende Oktober die Stadtbahntrasse nicht mehr befahren, weil sie nicht mit dem elektronischen Sicherungssystem ausgerüstet sind, das dort die Notbremsmechanik aus den 1920ern ersetzen wird. Nur die Nachwendebaureihe 481 – das ist die, bei der der Fahrer durch die gelb gerandete Taucherbrille schaut – ist entsprechend ausgerüstet. Sie bilden mit 500 Doppelwagen die Mehrheit im Bestand. Insofern ist die S-Bahn wie Berlin: In der Innenstadt sind Ost und West kein großes Thema mehr, die Spuren verwischt, die Erinnerungen verblasst, die Anwesenden mehr oder weniger neu in Berlin. Die Ossis und die Wessis dagegen sind eher in der Peripherie anzutreffen. Was für die Berliner schon lange gilt, trifft nach dem Wochenende dann auch auf ihre S-Bahn-Wagen zu.

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