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 „Zugriff verweigert“: Damit das nicht passiert, soll die öffentliche Verwaltung in Zukunft stärker auf Open Source setzen.

© Gestaltung: Tagesspiegel

Open Source? Nicht bei uns: Berliner Behörden setzen weiter auf Software von US-Konzernen

Ob Mails, Messenger-Dienste oder E-Akten: Die Verwaltung nutzt immer noch IT-Infrastruktur von Drittanbietern – die ihr zum Verhängnis werden könnte. Dabei gäbe es Alternativen.

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Man stelle sich vor, Berlins Staatsanwälte könnten von einem Tag auf den anderen nicht mehr auf ihre Mailaccounts zugreifen. Informationen zu anstehenden Gerichtsverfahren, die Mails der Kollegen, der Kalender – all das wäre verloren. Die Berliner Justiz könnte vermutlich erst wieder vernünftig arbeiten, wenn man Ersatz herangeschafft und auf allen Rechnern installiert hätte.

Was wie ein absurdes Szenario klingt, wurde für Karim Khan im Februar dieses Jahres Realität. Khan, damals Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, verlor den Zugriff auf sein Mailkonto, nachdem Microsoft auf Druck von US-Präsident Donald Trump seinen Account gesperrt hatte.

In Europa führte die Mailsperre vor Augen, wie sehr man sich von US-amerikanischen Tech-Konzernen abhängig gemacht hatte. Bundesdigitalminister Karsten Wildberger kündigte daraufhin im Mai an, einen „Deutschland-Stack“ eigener Software aufzubauen. Stichwort: „Digitale Souveränität“.

Mit der Souveränität ist es bisher allerdings nicht weit – auch nicht in Berlin. Recherchen des Tagesspiegels zeigen, dass die Berliner Verwaltung weiterhin auf IT-Infrastruktur von Dritten setzt. Und dass sich das auf absehbare Zeit nicht ändern wird.

Innenverwaltung: Auf vier Rechnern ist „Libre Office“ installiert

Der Tagesspiegel hat alle zehn Senatsverwaltungen gefragt, in welchem Umfang sie Open Source verwenden. Das ist Software, deren Quellcode von außen einsehbar ist. Sie setzt in der Regel auf offene Standards, was die Kontrolle und den Wechsel zu einem anderen Anbieter leichter macht – weshalb sie vom IT-Beauftragten des Bundes explizit für den Einsatz in der öffentlichen Verwaltung empfohlen wird.

Die Antworten der Berliner Behörden sind ernüchternd. So teilt die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz auf Anfrage mit, dass sie für den Mailverkehr keine Open-Source-Software verwendet. Das Gleiche gilt demnach für interne Messenger-Dienste, wie sie in Unternehmen und Behörden oft benutzt werden, für Office-Programme, E-Akten, die Speicherung der Daten und das Betriebssystem. „In der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz werden in den genannten Bereichen keine Open-Source-Produkte eingesetzt“, schreibt die Pressestelle auf Anfrage.

Von der aktuellen Regierung wird das Thema Open Source ignoriert.

Stefan Ziller, Digitalpolitiker der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus

In den anderen Behörden fällt die Antwort meist ähnlich aus. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung schreibt, man verwende keine entsprechende Software und plane das auch in Zukunft nicht. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport verweist darauf, dass genau vier Rechner das quelloffene „Libre Office“ nutzen würden – der Rest also nicht. Einige Häuser betonen, dass zumindest ihre Server mit dem quelloffenen und kostenlosen Betriebssystem Linux laufen.

Es gibt auch Ausnahmen. Die Senatsverwaltung für Finanzen nutzt nach eigenen Angaben tatsächlich quelloffene Messenger und Office-Programme. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe verschickt ihre Mails mit Open Source. Dasselbe gilt für den Schulbereich der Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie.

Wenn man einmal tief bei einem Anbieter verwurzelt ist, kommt man da nicht wieder weg.

Bianca Kastl, IT-Expertin beim Chaos Computer Club

In den meisten Fällen wird die Frage nach Open Source aber mit Nein beantwortet. Drei Senatsverwaltungen wollen aus Sicherheitsgründen keine Angaben machen. Das gilt auch für die Generalstaatsanwaltschaft, die der Tagesspiegel ebenfalls angefragt hatte. „Aus IT-Sicherheitserwägungen heraus können wir keine Auskünfte zu der in den Strafverfolgungsbehörden eingesetzten Hard- und Software erteilen“, teilt eine Pressesprecherin mit. Ob das Khan-Szenario auch in Berlin möglich wäre, bleibt damit offen.

Abhängigkeit von US-Techkonzernen bleibt hoch

Insgesamt zeichnen die Antworten ein durchwachsenes Bild. Von einer flächendeckenden Unabhängigkeit in der IT-Infrastruktur der Berliner Verwaltung kann keine Rede sein. Auffällig ist zudem, wie unterschiedlich die Ausstattung der Häuser ist – denn nicht alle setzen auf die Expertise des kriselnden IT-Dienstleistungszentrums (ITDZ) des Landes.

Das passt zur Zwischenbilanz, die das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zuletzt zog. „Wenn es um die digitale Souveränität geht, also die Nutzung europäischer oder deutscher Hersteller und Dienstleister – auch für Satelliten oder KI-Anwendungen – dann muss man sich auch mal ehrlich machen“, sagte BSI-Präsidentin Claudia Plattner der Deutschen Presse-Agentur Mitte August. Deutschland habe an vielen Stellen technologische Abhängigkeiten, die man kurzfristig kaum beseitigen könne.

Bianca Kastl vom Hacker- und Digitalverein „Chaos Computer Club“ sieht das kritisch. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit digitalen Infrastrukturen in der öffentlichen Verwaltung. Die Abhängigkeit speziell von US-amerikanischen Diensten habe auch mit Bequemlichkeit zu tun, sagt sie.

Die IT-Expertin Bianca Kastl sieht die Abhängigkeit von US-Dienstleistern kritisch.

© privat

Denn die Mail- und Office-Programme der großen US-Anbieter seien eng miteinander verzahnt. Das erleichtere die Arbeit – mache den Wechsel aber umso schwerer. „Wenn man einmal so tief bei einem Anbieter verwurzelt ist, kommt man da eigentlich nicht wieder weg“, sagt Kastl dem Tagesspiegel.

Kastl sieht hier auch ein Problem für den Datenschutz. Denn US-Dienstleister unterlägen auch dem sogenannten Cloud-Act, der den Zugriff von US-Behörden auf Daten regelt, die bei US-Unternehmen gespeichert sind. „Wenn dort ein amerikanischer Geheimdienst auf die Idee kommt, Daten auswerten zu wollen, dann muss Microsoft sich dem fügen“, sagt Kastl.

Dabei geht es auch anders, wie man in Schleswig-Holstein sieht. Dort soll die Verwaltung laut Landesdigitalminister Dirk Schrödter schon bald nur noch auf Open Source-Lösungen setzen. Die Staatskanzlei benutzt demnach bereits das quelloffene Mailprotokoll Open-Xchange. Auf den Computern der Ministerien und der Landesverwaltung läuft mittlerweile „LibreOffice“, das Microsofts Office-Programme wie Word oder Excel ersetzen soll. Und statt Windows soll in den kommenden Monaten Linux als Betriebssystem installiert werden.

Grünen-Digitalpolitiker Ziller fordert mehr Tempo

In Berlin bewegen sich die zuständigen Behörden bisher langsamer. Immerhin will sich der Senat am Dienstag mit einer Open-Source-Strategie befassen, wie die Senatskanzlei – bei der die IT-Gesamtsteuerung liegt – auf Anfrage mitteilte. Man sei zudem dabei, einen sogenannten „BerlinPC“ auszurollen: Einen standardisierten Arbeitsplatz für die Verwaltung, der stark auf Open-Source-Software setzen soll. Dafür habe man im vergangenen Jahr erste Tests mit der Plattform „OpenDesk“ durchgeführt.

Der Grünen-Abgeordnete Stefan Ziller fordert mehr Tempo bei der Umstellung auf Open Source.

© Vincent Villwock / Grüne Fraktion Berlin

Dass es bisher nur bei Tests geblieben ist, kann sich der Grünen-Politiker Stefan Ziller nicht erklären. Der Digitalpolitiker, der für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt, fordert seit Jahren, das Tempo bei der Umstellung auf Open Source zu erhöhen. „Berlin könnte den Open Desk in einigen Wochen für alle Behörden zur Verfügung stellen“, sagt Ziller. „Von der aktuellen Regierung wird das Thema Open Source aber mehr oder weniger ignoriert.“

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