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Berlin: Peter Malik (Geb. 1944)

Die alte Garde diffamiert ihn als „Jungtürke“

Ruhm und Ehre, politische Träumereien, Ränkespiele und Karrierismus – damit hatte er nicht viel zu tun. Zeitlebens stand er für den verschwindenden Typus des pragmatischen Lokalpolitikers, der zäh und in kleinen Schritten das Leben in seiner Umgebung verbessern will – nicht für sich, sondern für alle. Kreuzberg war einmal ein Arbeiterbezirk, der nach dem Mauerbau im toten Winkel steckte, wo viele Leute wenig Geld verdienten, und wo die Türken hinzogen. Das war noch lange nicht das Kreuzberg der schrägen Typen und sozialen Utopien. Das war Peters Heimat.

Er stammt aus einfachsten Verhältnissen, wächst bei der strengen Großmutter auf. Der Vater ist überhaupt nicht da, die Mutter hat genug mit ihren eigenen Problemen zu tun. Wenn Peter schlechte Zensuren mit nach Hause bringt, gibt’s Ärger. Nach der Schule lernt er Maler und schließt sich den „Falken“ und den „Jusos“ an. Sein Blick auf die Welt wird ein weiterer. Den Bau der Mauer, die Abriegelung seines Bezirks nach drei Seiten, erlebt er als schweren Schlag. Der Kreuzberger SPD-Kreisvorsitzende Franz Meyer, der „Löwe von Kreuzberg“, verkörpert den Überlebenswillen der Abgeschnittenen, er wird zum Vorbild vieler junger Leute. In den unruhigen APO-Zeiten 1967/68 ist Peter Kreisvorsitzender der „Jusos“; gewaltsame Aktionen, die dort diskutiert werden, lehnt er ab.

Was nicht heißt, dass Peter mit seinen Vorstellungen alte Sozialdemokraten nicht auch provozieren würde. Er schreibt seit 1971 Artikel für die „Berliner Stimme“ und „Das Auge“, die „Zeitschrift junger kritischer Sozialdemokraten Kreuzbergs“. Darin fordert er, dass man die Einwanderer unterstützen muss, dass man sie einbeziehen muss in die Gesellschaft. Die alte Garde diffamiert ihn als „Jungtürke“. Aber der Generationswechsel in der SPD nimmt seinen Lauf. Walter Momper, Günter König und andere spielen nun eine Rolle, Bildung und Wohnen, zwei große Probleme in Kreuzberg, geraten in den Fokus der Politik. Peter ist überall dabei, ehrenamtlich natürlich, eher in der zweiten Reihe. Acht Jahre in der Bezirksverordnetenversammlung, bei der Arbeiterwohlfahrt und in etlichen Initiativen. Als Maler arbeitet er wegen einer Allergie schon lange nicht mehr. Er bildet sich fort, entwickelt einen unbestechlichen Blick auf Zahlen und wird im Baudezernat Tiergarten für die Rechnungsprüfung verantwortlich gemacht. Auch in der Lokalpolitik kümmert er sich an den verschiedensten Stellen um die Finanzen. Wie er das alles schafft, weiß niemand so genau.

Dann 1975 ein schwerer Schlag: Ein Auto fährt ihn an, er hat keine Schuld. Ein dreiviertel Jahr verbringt er im Krankenhaus, mit eisernem Willen gelingt ihm die Rückkehr in ein Leben ohne Rollstuhl. Zum Glück ist es nicht nur die Politik, die ihm Halt und Zuversicht gibt, sondern auch Marianne, Grundschullehrerin, Mutter von drei Kindern – und zwölf Jahre älter als er. Natürlich ist auch sie Sozialdemokratin mit langer Familientradition, arbeitet ehrenamtlich in Ortsgruppen und der AWO. Später wird sie Rektorin der Jens-Nydahl-Schule im schwierigen Quartier ums Kottbusser Tor. 1979 heiraten die beiden und Peter hat neben der Partei eine richtige Familie. Auf Bildungsreisen durch die ganze Welt genießen sie die kurze politikfreie Zeit.

So schön sich das Privatleben entwickelt, so schwer gestaltet sich das politische. Vor allem in der Wohnungspolitik. Peter engagiert sich gegen die Spekulanten, ein Richtungsstreit in der SPD um Abriss oder Einzelsanierung der Altbauten entbrennt. Peters Vorstellung wird von den Hausbesetzern sofort umgesetzt, ohne langwierige politische Abstimmungen, Gremiensitzungen, Kompromisse. Für Peters Position in den Gremien ist das nicht förderlich.

Der Einfluss seiner SPD in Kreuzberg schwindet ohnehin. Die Stammwähler verlassen den Bezirk, neue kommen – die linke Alternative Liste ist ihre politische Heimat. Der Arbeiterbezirk wird mit Ausnahme weniger Inseln bunt und wild. Die Otto-Suhr-Siedlung, wo Peters Familie lebt, ist so eine Insel: eine genossenschaftliche Wohnanlage aus den fünfziger Jahren mit Innenklos, Balkonen, Heizungen, Bibliothek und AWO-Café. Hier wohnen Arbeiter und Angestellte, die neue Mischung im Rest von Kreuzberg sieht anders aus. Ein Arbeiterbezirk? Ein ehemaliger.

1978 gründet Peter mit Weggefährten wie Walter Momper und Günter König den „Verein zur Erforschung und der Darstellung der Geschichte Kreuzbergs“. Natürlich ist er Schatzmeister. Mit wenig Geld erreichen sie sehr viel, die politischen Verbindungen sind entscheidend. Es entstehen Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen und schließlich das Bezirksmuseum. Wenn sie sich und ihr Bestehen hier nach Jahrzehnten weiterer Umwälzungen feiern, hält sich Peter zurück. Ruhm und Ehre ist was für die anderen.

Im März wird er am Herzen operiert. Im Krankenhaus klagt er nicht über seinen Zustand. Er sagt: „Marianne, ich mach’ mir Sorgen um dich!“ Die Operation überlebt er nur kurz. Erik Steffen

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