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Alle Berliner sollen ein Ticket für BVG und S-Bahn haben – ob sie wollen oder nicht. Diese Idee wird in einer Studie erörtert.

© Daniel Naupold/dpa

Pflichtticket und City-Maut für Berlin: Scharfe Kritik an Ideen zur Finanzierung des Nahverkehrs

Eine Studie für Rot-Rot-Grün empfiehlt ein obligatorisches Ticket für Berliner sowie eine Touristentaxe und eine City-Maut. Der Protest ist deutlich.

City-Maut für Autofahrer, Nahverkehrs-Taxe für Berlin-Besucher und ein obligatorisches „Bürger*innenticket“ zur künftigen Finanzierung der öffentlichen Verkehrsmittel – das sind die Instrumente, die eine von der Verkehrsverwaltung beauftragte Studie empfiehlt, um die Verkehrswende voranzubringen und das Angebot von Bussen und Bahnen zu verbessern.

Während die rot-rot-grünen Koalitionäre das am Mittwochabend intern präsentierte Konzept in Ruhe prüfen und nach ihren Vorstellungen weiterentwickeln wollen, hagelt es von außen bereits massive Kritik.

Der Ärger entzündet sich hauptsächlich am vorgeschlagenen verpflichtenden Ticket für alle Berliner. Die vom dänischen Unternehmen Ramboll – das auch die Berliner Radschnellwege konzipiert - erarbeitete Studie enthält beispielhaft drei Varianten.

Beim Modell „Freifahrt 24 Stunden“ würden alle Beitragspflichtigen – also in Berlin Wohnende mit Ausnahme von Kindern und Schwerbehinderten – die Öffentlichen im Tarifgebiet AB unbegrenzt nutzen, weil sie sie bereits bezahlt hätten.

Als Obergrenze legt Ramboll die heutigen Tarife zugrunde, also bis zu 761 Euro für die Jahreskarte, je nach Nutzergruppe. Dieses Modell würde gegenüber dem heutigen System rund eine Milliarde Euro jährliche Mehreinnahmen generieren, also 1,95 Milliarden statt zurzeit 916 Millionen Euro.

Eine Variante funktioniert wie die BahnCard

Politisch dürfte diese Variante allerdings nicht durchsetzbar sein. In einer als „Beispiel“ aufgeführten, wohl eher realistischen Rechnung mit jeweils 75 Prozent der heutigen Zeitkartentarife kämen 1,46 Milliarden Euro zusammen, also ein Mehrerlös von gut 500 Millionen Euro.

Die zweite Variante ist eine Flatrate, bei der etwa 60 Prozent der heutigen Zeitkartentarife fällig würden, aber in der Hauptverkehrszeit morgens von sechs bis neun Uhr noch zugezahlt werden müsste. Das brächte 371 Millionen Euro zusätzlich – wobei die Einnahmen je nach konkreter Tarifgestaltung stark variieren würden.

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Das gilt genauso für die dritte Variante, die nach dem Prinzip der BahnCard funktionieren würde: Inhaber bekommen die Tickets zum halben Preis. Die Mehreinnahmen wären bei dieser Variante allerdings deutlich geringer.

Allen Varianten gemein ist, dass Berliner verpflichtend beteiligt würden und Auswärtige weiterhin zahlen müssten.

Darüber wie die Gebühren bei den Berlinern erhoben werden sollen, macht die Studie keine Angaben.

City-Maut und höhere Parkgebühren empfohlen

Die Taxe für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) dagegen beträfe nur Gäste der Stadt, die pro Übernachtung beispielsweise fünf bis acht Euro zahlen müssten und dafür unbegrenzt mit BVG und S-Bahn fahren könnten. 40 bis 135 Millionen Euro Mehreinnahmen wären laut der Studie damit zu generieren. Die Ausfälle durch den dann wegfallenden Verkauf von Einzelfahrscheinen sind dabei berücksichtigt.

Außerdem empfohlen wird eine City-Maut für Autos, die ins Gebiet innerhalb des Rings fahren. Berechnet wurden verschiedene Varianten zur Höhe (fünf oder acht Euro pro Tag) und zum erwarteten Rückgang des Autoverkehrs (20 oder 40 Prozent).

Je nach Annahme und täglicher Dauer der Mautpflicht (6-18 oder 6-21 Uhr) kämen Mehreinnahmen von 337 bis 880 Millionen Euro zustande, die nach dem erklärten Willen von Rot-Rot-Grün zweckgebunden in den ÖPNV investiert würden.

Durch flächendeckende Parkraumbewirtschaftung in der City mit drei bis vier Euro pro Stunde für Gäste und 120 bis 240 Euro pro Jahr für Anwohnerparkausweise ließen sich laut der Studie 360 bis 500 Millionen Euro jährliche Mehreinnahmen generieren. Außerdem hätten Citymaut und höhere Parkgebühren den größten Effekt im Sinne der politisch beschlossenen Verkehrswende.

Kritik von Wirtschaft und Opposition an „aufgezwungenem“ Ticket

Die Kritik aus Wirtschaft und Opposition zielt kaum auf diese letzten Punkte, sondern ist klar aufs ÖPNV-Pflichtticket fokussiert. Geschäftsführer der Industrie und Handelskammer (IHK) Jörg Nolte erklärt: „Das Timing könnte nicht schlechter sein. Es ist völlig unstrittig, dass der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zwingend notwendig ist, um die Mobilitätswende zu schaffen.“

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Aber eine ÖPNV-Umlage für alle Bürger und Übernachtungsgäste belaste „ausgerechnet in der schärfsten Wirtschaftskrise seit 70 Jahren diejenigen, die zukünftiges Wachstum erwirtschaften sollen.“

Ähnlich äußert sich Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg: „Ein Belastungsmoratorium für die Unternehmen ist das Gebot der Stunde, nicht weitere Abgaben- und Ausgabenphantasien.“

CDU-Landeschef Kai Wegner und der Verkehrspolitiker der Abgeordnetenhausfraktion, Oliver Friederici, halten dem Senat vor, er habe lieber Radwege statt U-Bahnen gebaut und die BVG nicht auskömmlich finanziert. Das solle nun über ein Pflichtticket repariert werden. Wegner kritisiert außerdem die City-Maut: „Besserverdienende haben freie Bahn und sozial Schwache werden ausgespart.“

FDP-Verkehrspolitiker Henner Schmidt erklärt, ein obligatorisches Ticket für Nichtnutzer der BVG sei ebenso inakzeptabel wie die Variante, dass Pendler morgens noch draufzahlen sollten. „Der Umstieg auf den ÖPNV wird durch attraktivere Angebote, mehr Sicherheit, Sauberkeit und Komfort im ÖPNV gefördert, nicht durch ein aufgezwungenes Jahresticket.“

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