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Finja Sander bei ihrer Performance in der Gustav-Adolf Kirche.
© Robert Klages

Kunst-Performance in Berliner Kirchen: Plötzlich nackt im Hause Gottes

Die Performance-Reihe „Odem“ wird zwar weder angekündigt noch beworben, ist aber nicht nur für Gottes Auge vorgesehen. Zwei Berliner Kunststudierende bespielen Kirchen. 

Die Kirchturmglocken schlagen Mittag. In der Gustav-Adolf-Kirche in Charlottenburg ist es still. Auf dem Boden vor dem Altar wälzt sich eine nackte Frau mit schwarzer Farbe über einen Karton. Mehrere Stunden geht die Performance der Künstlerin Finja Sander mit dem Titel "Odem".

Der Karton wird zur Höhle, zur Bühne, zum Altar - Sander inszeniert Bilder mit ihrem Körper und einfachen Materialien. Wie zuerst 2018 beim jährlichen Tag der Offenen Tür an der Universität der Künste (UdK), als sie nackt auf einem Rollbrett lag und von den überforderten Sicherheitsleuten weggeschoben wurde. 

"Kunst sollte nicht um Erlaubnis fragen", sagte Sander 2018. Ihre Performance in der Kirche hat sie aber mit den Verantwortlichen abgesprochen.

Nackte Haut im Haus Gottes? Für die evangelische Kirchengemeinde kein Problem, solange es sich um Kunst handelt. Angekündigt oder beworben wurde die Akt-Kunst nicht, daher kamen auch keine Besucherinnen oder Besucher in die Kirche, die während der Performance geöffnet war. 

"Kunst sollte einfach stattfinden", sagt Daniel M.E. Schaal, der zwischen den Gebetsbänken kniet. Er studiert, ebenso wie Sander, Bildende Kunst an der UdK und hat das neue Projekt mit ihr geplant. "Kunst muss auch existieren ohne den Rahmen, der ihr zugesprochen wird." Also ohne Institutionen, ohne Geld, ohne Möglichkeiten. 

Akt-Performance in der Kirche. 
Akt-Performance in der Kirche. 
© Robert Klages

Sander und Schaal wollen "Odem" in zahlreichen, unterschiedlichen Kirchen in Berlin und Umgebung aufführen - stets unangekündigt und immer mit dem selben Faltkarton. Später auch deutschlandweit, international. Während Schaal durch seine Maske leise erzählt, bestreicht Sander den Karton weiter mit schwarzer Farbe. 

Eigentlich sollte die Performancereihe schon viel früher starten, wurde aber aufgrund der Corona-Pandemie immer wieder verschoben. Da Sander alleine performt, fällt es nicht schwer, Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Zahlreiche Ausstellungen und Projekte der beiden Kunstschaffenden mussten im Laufe des Jahre ausfallen, nun wollen sie zumindest "Odem" durchführen. 

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"Denn wir empfinden es als außerordentlich wichtig, dass die Kunst weiterhin Bestand hat - auch unter der Prämisse, dass sie nicht sofort sichtbar gemacht werden kann", sagt Sander nach ihrer Performance.

Schaal beschäftigt sich künstlerisch mit Verpackungsmaterialien. So verwendet er Kartonagen, die sich mit der Zeit in seinem privaten Umfeld angesammelt haben, als Druckstock für seine experimentellen Tiefdrucke. "Dreifaltigkeit" heißt sein Werk, dass über dem Altar in der Gustav-Adolf-Kirche schwebt. 

Die Performance "Odem" wird nicht angekündigt und soll in verschiedenen Kirchen stattfinden. 
Die Performance "Odem" wird nicht angekündigt und soll in verschiedenen Kirchen stattfinden. 
© Robert Klages

Kartons sind immer Teil des Warenkreislaufs, unzählige Verpackungen werden täglich verschickt. Was für die allermeisten zähle, sei der Inhalt, sagt Schaal. "Den Karton schmeißen wir weg, er ist Müll, wird allerhöchstens noch recycelt." In "Odem" wird er zum gleichwertiger Akteur, Symbol und Wertgegenstand.

Schaal lächelt und wendet sich wieder ab, als wolle er in Ruhe beten. Sander in der Kirchenmitte hat den schwarzgetränkten Karton unterdessen zu einer Art Sarg gefaltet und kriecht hinein.

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