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Der Künstler Pierre Granoux in den ehemaligen abhörsicheren Räumen im Bezirk Lichtenberg.

© Michele Galassi

Projekträume in Berlin: Die Kunst der Verdrängung

Vom Senat wurde Pierre Granoux für sein Projekträume-Konzept gewürdigt. Seither verlor er zweimal sein Atelier und kalkuliert Verdrängung ein.

„Künstlerbrause“ sagt Pierre Granoux, wenn er über Club-Mate spricht. In Paris würde das Getränk kaum jemand kennen. Granoux sitzt in einem 250 Quadratmeter großen Raum, der vollständig mit Kupfer verkleidet ist – abhörsicher. Hier in der Genslerstraße 13 hat die Stasi einst Abhörtechnik hergestellt, vermutlich Computerplatinen, und hier lief bis vor Kurzem eine vom Bezirk Lichtenberg geförderte Gruppenausstellung, die der Künstler Granoux kuratiert hat. Erstmals war der Raum für die Öffentlichkeit zugänglich. Das Gebäude gegenüber der Gedenkstätte Hohenschönhausen, genannt Studio-ID, ist ein Atelierhaus mit rund 270 ansässigen Künstlern und es werden immer mehr.

Bezahlbare Ateliers, in Paris ist das alles andere als selbstverständlich. Auch in Berlin ändert sich die Situation, sagt Granoux, der im Jahr 2000 an die Spree zog. „Du brauchst Geld, um mitzumachen.“ Auch der 54-Jährige wurde schon verdrängt, zuerst 2017 aus seinem Atelier- und Ausstellungsraum in Prenzlauer Berg, die Miete wurde angehoben – zu hoch für den Künstler. Kurz zuvor hatte er vom Senat ausgerechnet eine Projekträume-Auszeichnung erhalten, für sein Projekt „Lage Egal“, das Künstlern helfen soll, ihre Werke auszustellen.

Auf der Suche nach einer neuen Wirkungsstätte landete Granoux schließlich im HB 55, einem ehemaligen Margarinewerk in der Lichtenberger Herzbergstraße, das rund 200 Mietern Räume zur Kunstproduktion anbiete. Eine Zeitlang habe man dort tolle Ausstellungen machen können und gut gefeiert, sagt er, der selbst im Bötzowviertel in Prenzlauer Berg wohnt – hier ist die Verdrängung der alteingesessenen Mieter fast abgeschlossen.

Angst davor, dass die Kunst das Gewerbe verdrängt

Seit Mai dieses Jahres ist alles komplizierter geworden, dort in der Herzbergstraße. Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD) hatte dem dort ansässigen Atelierprojekt „Fahrbereitschaft“ des Kunstsammlers Axel Haubrok eine Strafe von einer halben Million Euro angedroht, sollte er dort noch einmal seine Kunstsammlung öffentlich ausstellen. Monteiro sagt, sie fürchte, dass das ansässige Gewerbe verdrängt werden könnte, wenn sich die Straße zur Kunstmeile entwickelt. „Man weiß nicht mehr, was man machen soll und was genau man dort noch machen darf“, klagt Pierre Granoux. „Seit Haubrok keine Ausstellungen mehr zeigen kann, ist die Stimmung in der Herzbergstraße schlechter geworden.“

Darum hat er seinen Vertrag nun gekündigt, die Ausstattung verkauft. Ein Nachmieter ist schon gefunden. Einer, der mehr zahlt.

Andere, wie die Künstlerin Karolin Schwab, bleiben im HB55 und hoffen darauf, dort bald wieder unbehelligt ausstellen zu können. Schwab ist Meisterschülerin von Ai Weiwei und stellt international aus. China, USA, Schweiz – doch gerne würde sie auch vor Ort in Lichtenberg ihre Kunst präsentieren. Der Bezirk und der Senat arbeiten derzeit an einem Rahmenplan für das Areal an der Herzbergstraße: Ausstellungen sollen in geringem Ausmaß und zu bestimmten Zeiten erlaubt sein. Doch Pierre Granoux findet, die ganze Diskussion sei der Kunst hinderlich. „Die Besucher reden nur noch über Politik.“

„Hohenschönhausen wird sexy"

Granoux fühlt sich wohl in Hohenschönhausen, wo er den zweiten Teil seiner Ausstellung vorbereitet, die im Februar in der „Villa Heinke“ gleich gegenüber von Studio-ID eröffnen soll: „Hohenschönhausen wird sexy. Man ist in Berlin, aber man hat Abstand.“ Er weiß, dass es etwas Besonderes ist, zumindest für eine gewisse Zeit an einem Ort bleiben zu können. Und noch ist die Lage für die Künstler hier einigermaßen entspannt.

Berlin verfüge über eine weltweit einmalige Dichte an Projekträumen, sagt Granoux. Diese seien der Nährboden für eine vitale und kritische Kunstszene. Doch: „Räume entwickeln sich schnell, sind flüchtig, und letztlich nicht einmal direkt an einen bestimmten Ort gebunden. Viele Projekträume besetzen temporär brachliegende Orte, verschwinden und tauchen plötzlich an anderer Stelle wieder auf.“

Solange es noch diese Bewegung gibt, sieht Granoux Hoffnung für die Künstlerstadt Berlin. Statt aufzugeben will er die Verdrängung nutzen, mit ihr arbeiten, sie in seine Arbeiten einbauen – aus der Raumbeschaffung eine Kunst machen. Doch der Optimismus, mit dem er vor 18 Jahren herkam, ist geschrumpft. Und manchmal denkt er darüber nach, zurück nach Paris zu gehen. Es wäre ein neues Abenteuer.

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