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Der Angeklagte Sebastian T. im Gerichtssaal.

© imago/Olaf Wagner / IMAGO/OLAF WAGNER

Update

Prozess zu rechtsextremen Anschlägen in Neukölln: Berliner Gericht verurteilt Hauptverdächtigen zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe

Der Neonazi Sebastian T. soll politische Gegner mit Schmierereien bedroht und bei Sozialleistungen betrogen haben. Wegen zweier Brandanschläge wurde er freigesprochen.

| Update:

Das Berliner Amtsgericht hat den Neuköllner Neonazi Sebastian T. am Dienstag zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren ohne Bewährung verurteilt. Verurteilt wurde er wegen Sachbeschädigung in 27 Fällen, Volksverhetzung in drei Fällen, Bedrohung und Störung des öffentlichen Friedens in zwei Fällen sowie wegen Betruges. Mit Blick auf zwei ebenfalls angeklagte Brandstiftungen wurde er freigesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

T. soll unter anderem gemeinsam mit einem weiteren Neonazi Morddrohungen mit Formulierungen wie „9 Millimeter für“ und „Kopfschuss“ an die Hauseingänge vermeintlicher politischer Gegner gesprüht haben. Einen dieser Fälle hatte eine Kamera des Bundeskriminalamtes aufgezeichnet. Mit dieser wollte der Sicherheitsdienst eigentlich den Betroffenen der Schmiererei als linken Gefährder im Rahmen einer sogenannten Gefahrenabwehrmaßnahme überwachen. Dass die Kamera am Ende statt linksextremer rechtsextreme Straftaten dokumentierte, sei „durchaus von gewisser Ironie“, sagte die Richterin.

Zudem hat T. aus Sicht des Gerichts in über 20 Fällen gemeinsam mit anderen Neonazis rechtsextreme Sticker geklebt, Parolen gesprüht und damit den NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß glorifiziert. Dabei hatten sie zum Teil die verbotenen SS-Runen verwendet. Außerdem soll er beim Bezug von Sozialleistungen und der Corona-Soforthilfe betrogen und damit einen Schaden von über 16.000 Euro verursacht haben. Diese Summe muss er nun an das Gericht zahlen.

Die vorsitzende Richterin sah bei T. keine günstige Sozialprognose: Einerseits sei er einschlägig mehrfach vorbestraft, sagte sie. Andererseits sei er weiterhin nachweislich in der rechtsextremen Szene aktiv. Daher komme eine Bewährungsstrafe nicht in Frage. Parallel hatte das Gericht keinen Zweifel daran, dass T. seine vermeintlichen Gegner:innen massiv ausspioniert hat.

Zuvor hatte die Generalstaatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von vier Jahren gefordert, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden dürfe. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hat der frühere NPD-Politiker T. in mindestens zwei Fällen die Autos vermeintlicher politischer Gegner angezündet, um diese einzuschüchtern: Die beiden Brandstiftungen an den Autos des Linken-Politikers Ferat Koçak und des Buchhändlers Heinz Ostermann Anfang 2018 gelten als Höhepunkt einer ganzen Reihe rechtsextremer Straftaten, die ab 2013 in Neukölln begangen worden sein sollen.

T. ist bereits mehrfach einschlägig vorbestraft

Bei ihrer Strafforderung verwiesen die Staatsanwältinnen auch auf T.s umfangreiches Vorstrafenregister: So saß er bereits zweimal eine Freiheitsstrafe ab. Unter anderem wurde er in der Vergangenheit zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, weil er mit einer pyrotechnischen Waffe auf einen Wahlstand der linken Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) gefeuert haben soll.

T.s Anwalt, der rechte Szene-Anwalt Carsten Schrank, hatte einen Freispruch in allen Anklagepunkten gefordert. Bereits im Dezember war T.s mutmaßlicher Mittäter, der frühere AfD-Kreisvorstand Tilo P., mit Blick auf die Brandanschläge aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Die Richterin hatte Tilo P. lediglich zu einer Geldstrafe wegen der Heß-Sticker und -Schmierereien verurteilt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in seinem Fall mittlerweile Berufung eingelegt.

Mein Vertrauen in Staat und Justiz ist schwer geschädigt.

Ferat Koçak, Linken-Politiker

Die Betroffenen der Anschläge reagierten ernüchtert auf das Urteil. Der Linken-Politiker Koçak, der auch Nebenkläger war, bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als „unerträglich“, da fünf Jahre nach dem Brandanschlag auf sein Auto jetzt niemand zur Verantwortung gezogen worden sei. Er sagte: „Mein Vertrauen in Staat und Justiz ist schwer geschädigt.“ Koçak warf dem Gericht vor, keinen ernsthaften Versuch unternommen zu haben, die Taten als Teil eines umfassenden Komplexes rechter Straftaten eines ganzen Neonazi-Netzwerkes untersucht zu haben.

Ähnlich äußerte sich auch der Buchhändler Heinz Ostermann, der im Prozess als Zeuge ausgesagt hatte. Er sagte: „Für die Ermittlungsbehörden ist der mögliche Freispruch eine Ohrfeige. Für die Betroffenen ist er eine Katastrophe. Die freigesprochenen Tatverdächtigen mit ihrer Kameradschaft fühlen sich logischerweise bestärkt, mit ihrem rechten Terror weiterzumachen.“

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