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Der Videoblogger und Rechtsextremist Nikolai Nerling (rechts) neben seinem Rechtsanwalt Andreas Wölfel (l) im Gerichtssaal.

© dpa/Annette Riedl

Update

„Zeigt keine Reue, bläst noch in das gleiche Horn“: Rechtsextremer „Volkslehrer“ Nikolai Nerling in Berlin verurteilt

Für eine Reihe von Straftaten ist der Videoblogger vor dem Amtsgericht Tiergarten zu neun Monaten Haft auf Bewährung und 3000 Euro Strafe verurteilt worden. Ein Prozessbericht.

Der ehemalige Berliner Grundschullehrer, der als „Volkslehrer“, rechtsextremer Videoblogger und Holocaust-Leugner bekannt wurde, begrüßte seine Sympathisanten in den Zuhörerreihen lächelnd. Er sprach lange, gab einige Vorwürfe der Anklage von ihren Abläufen her zu und relativierte in seiner eloquenten Art – „damals war ich noch nicht erfahren“.

Nach mehrstündigem Prozess dann am Freitag das Urteil gegen Nikolai Nerling: Neun Monate Haft auf Bewährung wegen Volksverhetzung in zwei Fällen sowie Hausfriedensbruchs, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Beleidigung und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes. Zudem entschied das Amtsgericht Tiergarten, dass er als Auflage 3000 Euro an die Amadeu-Antonio-Stiftung gegen Rassismus und Gewalt zahlen soll.

Bekannt wurde Nerling mit seinem Youtube-Kanal „Der Volkslehrer“, auf dem er regelmäßig seine rechte Gesinnung zur Schau stellte und gegen Minderheiten hetzte. Bis 2018 arbeitete der 42-Jährige als Lehrer einer Grundschule in Berlin-Gesundbrunnen.

Als der Tagesspiegel Nerlings rechtsextreme Netz-Aktivitäten öffentlich machte, entließ die Bildungsverwaltung ihn fristlos. Er habe sich „nach und nach zur rechten Szene gezählt“, sagt der Angeklagte. Er finanziere sich aber nicht durch Spenden von Fans – „ich bin bei einem Online-Versand tätig“.

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Um sechs Anklagepunkte ging es: Eine Versammlung habe er gestört, ein Interview mit einer notorischen Holocaust-Leugnerin im Internet veröffentlicht, einen Mann in seiner jüdischen Identität angreifen und lächerlich machen wollen, den Hitlergruß gezeigt und die Szene gefilmt, dann im September 2018 ohne Zustimmung seiner Gesprächspartner ein Telefongespräch per Video aufgezeichnet und auf seinem Kanal hochgeladen. Zuletzt ging es um ein Video, das ihn in Lüneburg an einer Informationstafel über NS-Verbrechen zeigte.

Nerling bemühte „Kunst und Satire“

Warum er ein Interview mit der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck im März 2018 auf seinem YouTube-Kanal veröffentlicht habe? Die 93-Jährige hatte damals wieder einmal rechtsextremistisch gehetzt. Nerling setzte auf Unwissenheit: „Mir war damals nicht bewusst, dass das, was sie sagte, strafbar sein könnte“, erklärte er dem Gericht.

[Holocaust-Leugner in Brasilien: Der „Volkslehrer“ auf der Flucht (T+)]

Inzwischen würde er so etwas nicht mehr hochladen, tönte er. Nur um wenig später vor der Saaltür in einem Gespräch mit Journalisten selbst wie Haverbeck zu klingen.

Vom Geschehen her gab der Rechtsextremist die Vorwürfe zwar im Wesentlichen zu, bemühte aber mehrmals „Kunst und Satire“. Einmal habe er sich lediglich „kritisch“ mit einem Plakat der Stadt auseinandergesetzt – er habe zwar den rechten Arm gehoben, „aber nicht, um den Nationalsozialismus zu glorifizieren“.

Staatsanwalt forderte höheres Strafmaß

Zu einem anderen Fall erklärte er, er habe „nicht per se Abneigung gegen Juden“. Der Betreffende aber habe dafür gesorgt, dass seine Bankkonten gekündigt worden seien.

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Der Staatsanwalt plädierte auf elf Monate Haft auf Bewährung – „er zeigt keine Reue, er bläst noch in das gleiche Horn“. Es gehe Nerling darum, antisemitische und völkische Ideologien zu verbreiten.

Sein Verteidiger hatte nur wenige Vorwürfe der Anklage bestätigt gesehen und auf eine Geldstrafe von 4000 Euro (100 Tagessätze zu je 40 Euro) plädiert. Doch auch der Richter sagte, Nerling sei geschichtsrevisionistisch unterwegs – „auf der Rasierklinge der Strafbarkeit“. Die habe er in den vorliegenden Fällen überschritten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Es ist auch nicht das erste. Das Amtsgericht Dachau verurteilte ihn wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe, weil er im Februar 2019 in KZ-Gedenkstätte Dachau vor einer Schülergruppe den Holocaust leugnete.

Enge Verbindungen in die völkische Szene

Seit Beginn der Corona-Pandemie berichtet Nerling von Querdenken-Demonstrationen für seinen Kanal beim Messengerdienst Telegram. Gleichzeitig bezeichnet sich Nerling selbst als „rechtsradikal“. Enge Verbindungen pflegt er in die völkische Szene und zu rechts-esoterischen Siedler- und Reichsbürgerprojekten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt.

Im August 2020 stürmte Nerling mit Hunderten weiteren Demonstranten im Rahmen einer Querdenken-Großdemonstration die Stufen des Reichstages. Aktuell taucht Nerling erneut regelmäßig bei rechten Protesten auf, zuletzt im brandenburgischen Neuruppin bei einer Demo gegen den Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

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