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Die Kreuzberger Buchhandlung Kisch & Co stand kurz vor dem Aus. Dann rettete sie ausgerechnet der Wohnungskonzern Deutsche Wohnen.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Rettung von Berliner Buchladen „Kisch und Co“: Nicht auf unternehmerische Gnade warten, sondern politisch handeln

Der Kreuzberger Buchladen wurde durch Eingreifen der „Deutsche Wohnen" gerettet. Das ist gut, löst aber das Problem nicht. Zeit, zu handeln. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Wenig steht so sehr für eine intakte deutsche Innenstadt wie ein gut sortierter Buchladen. Insofern ist die Rettung der Kiezbücherei „Kisch & Co“ in Berlin-Kreuzberg ein Grund zu großer Freude. Ein positives politisches Signal geht von der Rettung der 24 Jahre alten Kiezinstitution allerdings nur bedingt aus.

Ausgerechnet der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen hat dem Buchladen geholfen, nachdem dessen Vermieter durch Verkauf gewechselt hat, und er vom neuen Vermieter, einer luxemburgischen Vermögensverwaltung, keine akzeptable Vertragsverlängerung bekam.

Deutsche Wohnen bot eine alternative Bleibe, nur wenige Häuser weiter, etwas kleiner, dafür bezahlbar. Es scheint so, als würde der Konzern, zu dessen Enteignung ein Volksbegehren läuft, dem politischen Druck von Straße und Politik insoweit nachgeben, als er guten Willen beweist. Motto: Wer Buchläden rettet, kann doch kein Wolf sein. Sollte noch kein Stadtsoziologe den Begriff „Bookwashing“ erfunden haben: bitte schön.

Letztlich hängt das Bestehen der Buchhandlung aber auch so vom Entgegenkommen eines Vermietungskonzerns ab. Das verweist auf das eigentliche Problem: Kleine Gewerbemieter – ob Buch- oder Modeladen – haben am angespannten Mietenmarkt eine schwierige Position.

Für Gewerbemieten gibt es keinen Mietspiegel, keine Mindestvertragslaufzeiten, denn es fehlt in Deutschland schlicht ein Gewerbemietrecht mit ähnlichen Schutzvorschriften wie für Wohnungsmieter. Als ein Gericht im Fall „Kisch & Co“ zugunsten des Eigentümers entschied, dass der Buchladen weichen müssen, ergänzte der Richter explizit: Es sei Aufgabe der Politik, zum Schutz Gewerbetreibender tätig zu werden.

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Allein zwischen 2009 und 2018 sind die Berliner Gewerbemieten in den sogenannten 1 B-Lagen um 267 Prozent gestiegen. Wer damals 500 Euro zahlte, muss jetzt 1350 Euro überweisen. Es sind nahezu surreale Steigerungen in einer Zeit, in der gerade der Einzelhandel unter dem stetig wachsenden Onlinemarkt ächzt. Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich etwa der Anteil des Internetbuchhandels auf 24 Prozent des Gesamtumsatzes.

Dieser Trend dürfte sich durch die Pandemie beschleunigt haben und weiter beschleunigen. Ganze Innenstädte stehen vor Versteppung durch Leerstand – davor warnen Handelsverbände. Das mag sich für Berlin noch zu alarmistisch anhören. Gerade die kleinen Kiezläden sind vielerorts besser durch die Pandemie gekommen, als es erwartet wurde. Buchläden durften auch während des Lockdowns geöffnet bleiben: als geistige Tankstelle.

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Der Fall „Kisch & Co“ und die gnadenvolle Rettung zeigen jedoch im Kleinen, vor welcher gewaltigen Aufgabe Deutschland steht: Es geht um die Zukunft attraktiver Innenstädte. Die wird es nur mit mietpreisbegrenzenden Maßnahmen geben.

Darum war es richtig, dass der Berliner Senat 2019 im Bundesrat eine Gesetzesinitiative zur Regelung von Gewerbemieten angestoßen hat. Passiert ist seither kaum etwas – und das ist: zu wenig. Gerade ist Wahlkampf in Berlin und im Bund.

Die Rettung deutscher Innenstädte könnte ein Top-Thema sein, auch wenn es dabei letztlich um so etwas profanes wie Gewerbemietrecht geht. Dann können wir auch den Begriff „Bookwashing“ hoffentlich schnell wieder vergessen.

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