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Teilnehmer einer Kundgebung von Fridays For Future und einem großen NGO-Bündnis in Berlin (Archivbild).

© Christoph Soeder/dpa

Regelungen für Demos in Berlin: Rot-Rot-Grün legt Entwurf für neues Versammlungsgesetz vor

Schutz des Versammlungsgrundrechts ab zwei Personen, verankertes Deeskalationsgebot der Polizei: So sieht der Entwurf für das Versammlungsfreiheitsgesetz aus.

Von Sabine Beikler

Rot-Rot-Grün hat in Berlin nach längerem Verhandeln den Entwurf für ein Versammlungsfreiheitsgesetz vorgelegt. Die wesentlichen Inhalte sind: Der Schutz des Versammlungsgrundrechts gilt künftig ab zwei Personen. Bundesweit einmalig wird das Deeskalationsgebot für die Polizei gesetzlich verankert.

Die Behörde bietet Veranstaltern verpflichtend ein „Kooperationsgespräch auf Augenhöhe“ an, um Gefahrenlagen zu erörtern. Wenn Polizeikräfte auf Versammlungen anwesend sind, haben sie sich zu erkennen zu geben. Ort, Zeit, Thema und Streckenverlauf von Versammlungen werden auf dem Open-Data-Portal des Landes veröffentlicht.

Für Versammlungen auf öffentlichen Verkehrsflächen ist keine behördliche Erlaubnis mehr erforderlich. Die Bannmeile rund um das Abgeordnetenhaus läuft künftig von der Stresemannstraße bis zur Wilhelmstraße. Anders als bisher muss ein Demonstrationsverbot aktiv durch den Präsidenten des Abgeordnetenhauses ausgesprochen werden.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sei keine Selbstverständlichkeit gewesen bei den Gründern des Grundgesetzes.

„Man muss auch die Meinung des anderen aushalten. Diese stellt sich über die Versammlungsfreiheit, die wir ausdrücklich möglich machen“, sagte Geisel. „Wir dürfen es aber nicht zulassen, dass unsere Demokratie unter dem Deckmantel der politischen Meinungsfreiheit angegriffen wird. Wir wollen auch eine wehrhafte Demokratie sein.“ Demokratie müsse attraktiv sein, das heißt, sie dürfe Freiheitsrechte nicht einschränken.

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In Berlin gibt es jährlich etwa 5000 Demonstrationen. Das neue Gesetz soll „im Zweifel für die Versammlungsfreiheit“ ausgelegt werden, so Geisel. Dass das Deeskalationsgebot für die Polizei gesetzlich festgeschrieben werde, sei für ihn sehr wesentlich.

Ein Vermummungsverbot gilt weiterhin, werde aber erst dann strafrechtlich relevant, „wenn der zuständige Polizeiführer dies ausdrücklich erklärt“.

Eine freie Gesellschaft könne „einiges aushalten“. Aber es müsse auch klar sein, dass es Grenzen gebe. „Dies ist aber keine Polizeiaufgabe“, sagte Geisel bei der Vorstellung des Versammlungsfreiheitsgesetzes im Abgeordnetenhaus.

Schlüsselburg: Bundesweit eines der liberalsten Versammlungsgesetze geschaffen

Das Gesetz soll im Herbst vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden. Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, sagte, mit diesem Gesetz werde bundesweit „eines der liberalsten Versammlungsgesetze“ geschaffen.

Für die Linke sei in dem Gesetz von besonderer Bedeutung, dass Versammlungen per se keine Gefahren darstellen würden. Die Versammlungsbehörde sei jetzt beim Polizeidirektor angesiedelt. Bild- und Tonaufnahmen dürften künftig „nur noch offen vorgenommen werden“.

Künftig gibt den Tatbestand des „öffentlichen Friedens“. Laut Schlüsselburg kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn „gegen eine nationale, durch rassistische Zuschreibung beschriebene, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe“ zum Hass aufgestachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufgefordert wird.

Begriff der öffentlichen Ordnung gestrichen

Die Koalition hat sich darauf verständigt, ein „breites Fachgespräch“ mit Verbänden und Zivilgesellschaft zu führen. Das Gesetz wird im jeweiligen Innenausschuss besprochen und soll in zweiter Lesung beim Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden.

Für den SPD-Innenpolitiker Frank Zimmermann ist die Verhältnismäßigkeit der Polizei als Ausgleich wichtig. Der Begriff der öffentlichen Ordnung wurde im Gesetz gestrichen. Aber im Paragraph 14 des Gesetzes würden „präzise Eingriffsrechte“ genannt wie das Verbot von Demonstrationen bei rassistischen Zuschreibungen.

Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux sagte, unter den 5000 Demonstrationen sei nur eine „Handvoll“ gewalttätig. Es gelte der Grundsatz, von einer „friedlichen Versammlung“ zunächst auszugehen. Anders als in Hamburg, wo es regelmäßig zu Wasserwerfereinstätzen komme, sei das in Berlin schon lange nicht mehr vorgekommen.

Einschränkungen an verschiedenen Orten und Tagen

Das Bundesverfassungsgericht habe früher eher auf Polizeiaufgaben und -rechte abgezielt. Jetzt gelte es auf Augenhöhe im Vorfeld mit den Versammlungsanmeldern zu sprechen. Die Grünen wollen ermöglichen, dass auf öffentlichen Flächen, die auch von landeseigenen Unternehmen betrieben werden, und auf Verkehrsflächen demonstriert werden kann.

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Das „Berliner Gedenken“ werde geschützt. Auf einer Liste wird abgebildet, wo das Versammlungsrecht eingeschränkt wird. Darunter unter anderem das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die Neue Wache, der Bebelplatz, de Gedenkstätte Plötzensee, die Topographie des Terrors, das Haus der Wannsee-Konferenz, das Jüdische Museum, das Deutsch-Russische Museum in Karlshorst und der Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße.

Am 27. Januar (Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus), am 8. Mai (Tag der Befreiung), am 9. Mai (Tag des Sieges über den Faschismus) und am 9. November (Gedenken an die Reichspogromnacht 1938) soll das Versammlungfreiheitsgesetz ebenfalls eingeschränkt werden.

GdP "grundsätzlich gesprächsbereit"

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist "grundsätzlich gesprächsbereit", sagte Sprecher Benjamin Jendro. Allerdings müssten noch einige Details geklärt werden. Dass Video- und Tonaufnahmen offen erfolgen sollen, könne polizeiliche Maßnahmen behindern und "wird so nicht funktionieren".

Darüber hinaus sieht die GdP unter anderem Klärungsbedarf bei der Ermöglichung des ungehinderten Zugangs zu einer Versammlung, der gewünschten Auflistung der verbotenen Gegenstände zur Vermummung sowie der Erkennbarkeit der anwesenden Polizeikräfte.

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