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Hier läuft es schon rund. Die Wasserbetriebe gehören zu den größten Berliner Ökostrom-Produzenten, mit drei Windrädern, Solaranlagen und der Klärschlammverbrennung.
© dpa

Kommunaler Energieversorger: Rot-Schwarz gründet ein Berliner Stadtwerk

Die Koalition macht den Weg frei für ein Ökostrom-Unternehmen in Landesregie. SPD und CDU sind damit dem Energietisch weit entgegen gekommen. Sie hoffen damit, einer Blamage wie vor zwei Jahren zu entkommen.

Der rot-schwarze „Herbst der Entscheidungen“ endet stürmisch. Die Abgeordnetenhausfraktionen von SPD und CDU haben am Mittwoch ein Großprojekt beschlossen, das der Senat zwar verbal unterstützt, aber in ähnlicher Form erst vor wenigen Wochen als unrealistisch abgelehnt hat: Den Aufbau eines kommunalen Stadtwerkes sowie einer Gesellschaft, die sich um den Betrieb des Berliner Stromnetzes bewerben soll. Den entsprechenden Gesetzentwurf haben die Koalitionäre am Dienstagabend ausgehandelt – und damit zum letztmöglichen Termin, um das bereits angelaufene Volksbegehren der Initiative „Energietisch“ stoppen zu können.

In beiden Fällen geht es um ein Konstrukt mit zwei Säulen: Ein Stadtwerk soll die Kapazitäten von in Berlin erzeugtem Ökostrom bündeln, ausbauen und lokal vermarkten. Und eine kommunale Netzgesellschaft bemüht sich, die Ausschreibung für den Betrieb des Stromnetzes zu gewinnen, an dem bisher der Vattenfall- Konzern verdient. Die 20-jährige Konzession läuft Ende 2014 aus. Die Finanzverwaltung erarbeitet zurzeit die Kriterien für die Neuausschreibung. Dabei dürften neben den finanziellen Konditionen auch Qualitätskriterien eine Rolle spielen.

Im vorgeschalteten „Interessenbekundungsverfahren“ haben sich acht Interessenten gemeldet. Angesichts der renommierten Konkurrenz und der unbestrittenen technischen Zuverlässigkeit von Platzhirsch Vattenfall wird der Senat klotzen müssen, um das vom SPD-Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider am Mittwoch gegebene Versprechen einzulösen: Das noch zu gründende Unternehmen wolle man „wettbewerbs- und auch zuschlagsfähig ausstatten“. Das bedeutet, dass Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) die bisher nur als leere Hülle vorhandene Netzgesellschaft schnellstens füllen muss – mit Fachleuten ebenso wie mit einem Budget. Schneider geht davon aus, dass die Gesellschaft nicht unbedingt bares Startkapital braucht.

Dafür ist ein Finanzierungskonzept umso wichtiger, denn das Stromnetz ist teuer. Die Kosten bewegen sich je nach Gutachten und Berechnungsmethode zwischen 500 Millionen und drei Milliarden Euro, wobei die meisten Beteiligten knapp eine Milliarde Euro für realistisch halten. Das Geld soll über einen Kommunalkredit aufgebracht werden, der aus den Erträgen des Netzbetriebes abgestottert wird. Auch zur Rendite schwanken die Angaben. Die Größenordnung liegt um sechs Prozent, also deutlich über den aktuellen Kreditzinsen. Die Entgelte für den Netzbetreiber stecken im Strompreis und sind von der Bundesnetzagentur detailliert geregelt. Der Netzbetreiber wiederum zahlt eine Konzessionsabgabe ans Land. Berlin erhebt nach Auskunft von Vattenfall den zulässigen Höchstsatz – und kassiert so jährlich rund 130 Millionen Euro.

Mit ihrem Gesetzentwurf sind SPD und CDU dem Energietisch weit entgegengekommen. Sie wollen auch eine böse Überraschung wie vor zwei Jahren beim Wasser-Volksbegehren vermeiden. Zumal der Erfolg der damaligen Initiative für fast alle überraschend kam, während ein Triumph des Energietischs eine politische Blamage mit Ansage wäre.

Der größte Dissens zwischen Koalition und Energietisch besteht in einer Verwaltungsfrage: Der Energietisch will direkt gewählte Verwaltungsräte, was SPD und CDU für unrealistisch halten. Sie schlagen stattdessen einen 15-köpfigen Beirat vor, der gemäß der politischen Mehrheiten im Abgeordnetenhaus besetzt wird. Zu Fragen wie möglichen Mitgesellschaftern haben sich die Koalitionsfraktionen noch nicht positioniert. Dieser Punkt kann wichtig werden, weil parallel zur Arbeit des Energietischs bereits eine Genossenschaft Geld für ein Stromnetz in Bürgerhand sammelt. Die Genossenschaft schließt eine Zusammenarbeit mit großen Energiekonzernen aus.

Der von dutzenden Vereinen getragene Energietisch will nach Auskunft von Sprecher Stefan Taschner das Konzept genau prüfen – und dann entscheiden, ob es ihm ausreicht, um die zweite Stufe des Volksbegehrens abzusagen. Bis 17. Dezember müsse die Entscheidung fallen.

Die zweite Säule, das Stadtwerk mit dem Arbeitstitel „Berlin Energie“, ist politisch weniger heikel: Unter Regie der Stadtreinigung (BSR) sollen zunächst die vorhandenen Ökostrom-Kapazitäten gebündelt werden, zu denen die Energie aus dem BSR-Müllheizkraftwerk ebenso gehört wie die Klärschlammverbrennung, die drei Windräder und die Solaranlagen der Berliner Wasserbetriebe. Die Kapazitäten sollen schrittweise ausgebaut werden. Hoch effiziente Gaskraftwerke dürfen ebenfalls ins Portfolio. Der Strom soll gezielt in Berlin vermarktet werden – wo die Konkurrenz mit rund 200 Anbietern und noch mehr Tarifen jedoch groß ist. Als erfolgversprechendes Vorbild gilt SPD und CDU der Versorger Hamburg Energie, der binnen drei Jahren knapp 100 000 Kunden gewonnen hat.

Die Grünen lobten das rot-schwarze Vorhaben als spät, aber tendenziell richtig, während die Linken es als leere Ankündigung ohne fachlichen Inhalt kritisierten.

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