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Nahverkehr: S-Bahn-Netz: Brüchige Verbindung

Weil die Pannen kein Ende nehmen, will der Berliner Senat der Bahn AG einen Teil des S-Bahn-Netzes entziehen. Wie kann das gehen?

Die Berliner S-Bahn, einst weltweit als Vorbild für einen effizienten Stadt-Schnell-Verkehr gerühmt, ist innerhalb weniger Jahre auf einen Tiefpunkt heruntergewirtschaftet worden. Gewinnvorgaben bis zu 125 Millionen Euro im Jahr, die an den Bahnkonzern abgeführt werden mussten, hatten zu einer beispiellosen Kostensparorgie geführt. Sogar bei den Bremsanlagen wurde bei der Wartung gespart. Seit dem Sommer kann die S-Bahn nur noch einen Notbetrieb anbieten, weil die Fahrzeuge nun häufiger kontrolliert werden müssen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Jetzt will der Senat die Bahn AG als Betreiber ablösen.

Welche Möglichkeiten hat das Land, die Monopolstellung der Bahn zu brechen?

Bisher hat der Senat den Auftrag zum Betrieb direkt der Bahn AG erteilt. Jetzt wird geprüft, ob zumindest ein Teil des Netzes ausgeschrieben werden kann, so dass sich auch andere Bahnunternehmen um den Betrieb bewerben können, der vom Senat bisher mit 232 Millionen Euro im Jahr bezuschusst wird.

Warum wird nicht das gesamte Netz im Wettbewerb vergeben?

Das Berliner S-Bahn-System ist weltweit einmalig. Wegen der Tunnelhöhen, der Kurvenradien, der Achslasten und des Antriebs der Motoren über Gleichstrom können nur Fahrzeuge eingesetzt werden, die speziell für das Berliner Netz entwickelt worden sind. Derzeit hat die S-Bahn 632 dieser Spezialfahrzeuge, die betrieblich aus zwei Wagen bestehen und Viertelzug genannt werden. Ein Vollzug besteht demnach aus acht Wagen. Ein neuer Betreiber kann so schnell nicht so viele Fahrzeuge entwickeln und bauen lassen. Deshalb soll das Netz zunächst aufgeteilt werden, weil für Teilbereiche weniger Fahrzeuge erforderlich sind. Bis zum Auslaufen des Vertrags mit der Bahn AG am 14. Dezember 2017 könnten nach Berechnungen der Stadtentwicklungsverwaltung maximal 190 neue Viertelzüge gebaut werden.

Kann das Netz überhaupt in verschiedene Bereiche aufgeteilt werden?

Der Senat sagt Ja. Im Regionalverkehr gebe es bereits mehrere Betreiber. Zudem würde das Land die Vorgaben festlegen, die für alle Betreiber gelten. Sogar die Farbe der Züge könnte einheitlich bleiben, sodass Fahrgäste die verschiedenen Betreiber fast nicht unterscheiden könnten. Allerdings ist es dann auch nicht mehr möglich, Züge bei Bedarf innerhalb des gesamten Netzes einfach auszutauschen. Und jeder Betreiber braucht seine eigenen Reserven, was die Gesamtzahl der erforderlichen Züge – und damit die Kosten – erhöhen würde. Ähnliches gilt für die Werkstätten. Zudem braucht jeder Betreiber sein eigenes Management, das bezahlt werden muss.

Was passiert, wenn die Bahn auch die Teilausschreibung gewinnen sollte?

Auf jeden Fall würde der Betrieb für die Länder Berlin und Brandenburg billiger, ist man in der Stadtentwicklungsverwaltung überzeugt. Die Bahn AG müsste, wenn sie sich gegen Konkurrenten durchsetzen will, günstigere Angebote abgeben als heute. Auch bei der Vergabe von Strecken im Regionalverkehr in Brandenburg hat die Bahn ihren Kostenansatz reduziert. Berlin und Brandenburg sparen jetzt knapp 50 Millionen Euro pro Jahr.

Gibt es überhaupt Wettbewerber für den S-Bahn-Betrieb?

Im Prinzip Ja. Interesse haben schon mehrere privat organisierte Unternehmen signalisiert. Vor Jahren bot der französische Veolia-Konzern bereits an, den Betrieb auf der Ringbahn zu übernehmen. Er kam aber nicht zum Zug. Allerdings blieben bei der lukrativen Ausschreibung für Regionalbahnstrecken in Brandenburg im vergangenen Jahr am Ende nur zwei Bewerber übrig: die Bahn AG und die Ostdeutsche Eisenbahn (Odeg), an der unter anderem die Hamburger Hochbahn beteiligt ist. Die anderen Interessenten waren vor den hohen Kosten für die geforderten neuen Züge zurückgeschreckt. Auch bei der Vergabe der S-Bahn-Netze in Hamburg und Stuttgart blieb die Bahn AG am Ende jeweils als einziger Anbieter im Rennen.

Gibt es andere Finanzierungsformen für neue Fahrzeuge?

In Niedersachsen kauft das Land die Fahrzeuge und vermietet sie dann an die im Wettbewerb gefundenen Betreiber. So hat die Bahn AG dort einen Großteil ihrer Leistungen verloren. Berlin will dieses Modell aber nicht übernehmen. Der Kauf von Fahrzeugen sei nicht Aufgabe der Verwaltung, sagt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD).

Welche Alternative zur Teilausschreibung gibt es noch?

Der Senat kann ohne Ausschreibung die landeseigene BVG beauftragen, ein Teilnetz bei der S-Bahn zu betreiben. Die erforderlichen Fahrzeuge müssten dann von der BVG gekauft werden – mit Zuschüssen des Landes.

Kann der Senat die S-Bahn auch kaufen?

Selbstverständlich. Allerdings müsste die Bahn bereit sein, die S-Bahn abzugeben. Das hat Konzernvorstand Ulrich Homburg am Donnerstag – also kurz nach Junge-Reyers Ankündigung – ausdrücklich ausgeschlossen. Zudem würde das Land den Betrieb nur zu einem „Schnäppchenpreis“ übernehmen wollen. Junge-Reyer erwartet sogar, dass die Bahn dann noch Geld zuschießt, weil der Betrieb so heruntergewirtschaftet ist.

Kann die Bahn AG den Senat beim Weiterbetrieb der anderen Stecken erpressen?

Sie kann zumindest Druck ausüben. Denn klar ist: Solange die nötige Zahl von Fahrzeugen nicht vorhanden ist, bleibt der Senat darauf angewiesen, dass die Bahn AG mit ihrer Tochter S-Bahn Berlin den Betrieb auf den nicht im Wettbewerb vergebenen Strecken weiter machen muss. Die Bedingungen hängen dann von den Verhandlungen ab. Die Zuschusshöhe könnte aber mit dem Ergebnis der Ausschreibung für das Teilnetz verglichen werden, egal, wer hier gewinnt, so dass die Bahn keine Fantasiepreise für das Restnetz verlangen könnte.

Lässt sich das gesamte Problem überhaupt noch verstehen?

Ganz und gar nicht. Die S-Bahn gehört der Bahn AG, und die ist immer noch Eigentum des Bundes. Doch dieser mischt sich nicht ein. Die Bahn AG sei ein gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen, dessen Vorstand in seiner Geschäftsführung „weitgehend“ unabhängig vom Eigentümer sei, erklärte die Bundesregierung im vergangenen September. Und auch der neue Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) lässt sich vom Vorstand nur berichten, Anweisungen gibt es nicht. Daseinsvorsorge, zu der auch ein funktionierendes S-Bahn-System gehört, sieht anders aus.

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