zum Hauptinhalt
Fahrgäste am S-Bahnhof Friedrichstraße in Berlin

© AFP/DAVID GANNON

S-Bahn soll Stationen auslassen: Das Chaos in Berlins Nahverkehr ist nur noch peinlich

Verspätungen, Ausfälle, Personalmangel: Deutschland ist mitten im epochalen Umbau der Verkehrssysteme – und in Berlin wird der öffentliche Nahverkehr zur Lachnummer. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Fährt der Wahnsinn nun im Kreis? Als Mittel gegen notorische Verspätungen auf dem S-Bahn-Ring sollen Züge an einzelnen Stationen nicht halten, sondern durchfahren. Geht’s noch? Gewöhnt hat man sich daran, dass Züge schon ausfallen, wenn die Jahresmitteltemperatur knapp verfehlt wird. Dass man künftig nicht mehr sicher sein kann, dort aussteigen zu können, wo man will, ist eine neue Qualität.

Der Ring ist nicht nur ein Kreis, sondern ein hochkomplexes System, von dem andere Strecken abzweigen. Um so etwas verspätungsfrei zu managen, braucht es modernste Strecken- und Signaltechnik. Die aber gibt es nicht – weil die Bahn als S-Bahn-Besitzer dafür kein Geld ausgibt und Berlins Regierung das fatalistisch hinnimmt und hofft, dass ab 2022, wenn die neue Zug-Generation auf dem Ring fährt, alles besser wird.

Dabei ist es höchste Zeit, der Bundesregierung als Bahn-Eigner Druck zu machen. Deutschland ist mitten im epochalen Umbau der Verkehrssysteme – und ausgerechnet in Berlin, der größten Stadt der Republik, wird der öffentliche Nahverkehr zur Lachnummer. Das kann nicht sein. Mancher fragt sich, was die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther eigentlich so treibt, außer ihrem meinungsstarken wie zupackenden Staatssekretär Holger Kirchner einen Maulkorb zu verpassen. Der hätte sonst längst die richtigen Worte gefunden.

Beantworten Sie die Fragen und machen Sie mit bei der Aktion "Deutschland spricht"

Der kreisende Wahnsinn im Nahverkehr findet sich auch an anderer Stelle. Endlich, so die gute Nachricht, hat die BVG 15 Elektrobusse bestellt. Das emissionsfreie Nahverkehrszeitalter kann 2019 beginnen. Gleichzeitig aber fehlen bei der U-Bahn funktionsfähige Wagen und so viele Fahrer, dass manche Fahrten einfach ausfallen. Das gilt auch für die Tram, wo die Fahrer deshalb schon einen Brandbrief schrieben. Verkehrswende fällt wegen fehlender Fahrzeuge und Personalmangel aus, könnte man an die Haltestellen schreiben.

Nutzung des Nahverkehrs macht leidensfähig

Wer Nahverkehr nutzt, muss leidensfähig sein. Dabei kann das ambitionierte Ziel der rot-rot-grünen Koalition, Berlin bis 2050 zur klimaneutralen Stadt zu machen, nur erreicht werden mit einem drastischen Rückgang des Individualverkehrs. Die Berliner unterstützen das. Immer mehr Menschen ändern nämlich ihr Verkehrsverhalten; sie lassen das Auto stehen und steigen um auf Rad und Bahn und Bus.

Erstmals hat die BVG 500 000 Jahreskarten-Nutzer; dazu kommen 220 000 Abo-Nutzer der S-Bahn. Auf der anderen Seite müssen Fahrgäste ertragen, dass es am Stadtrand seit 1945 als Kriegsschäden immer noch eingleisige Strecken gibt. Man fasst es nicht. Das ist nicht lachhaft, das ist nur noch peinlich in einer schnell wachsenden Stadt. Wer will Pendler angesichts unzumutbarer Taktzeiten kritisieren, dass sie weiter mit dem Auto ins Zentrum fahren und deswegen der Stau täglich ein wenig länger wird? 

Das Fatale ist: Berlin hat eines der besten Nahverkehrssysteme weltweit. Im Prinzip. Wenn es nur funktionieren würde, wie die Pläne verheißen. Dabei gilt: Verkehr hält eine Stadt zusammen und ist Pulsschlag der Metropole. Die Symphonie der Großstadt, an der der Nahverkehr mitschreibt, muss dem Senat jede Anstrengung wert sein. Vom üblen Katzenkonzert haben die Berliner die Nase voll.

Zur Startseite