
© Getty Images/Moment RF
Gewalt an Schulen: Immer mehr Aggressionen gegen Berliner Lehrkräfte
Seit 2019 ist die Zahl der Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen gegen Lehrer stark angestiegen. Besonders deutlich ist die Entwicklung seit der Pandemie.
Stand:
Beleidigungen, Bedrohungen, körperliche Angriffe – Berliner Lehrerinnen und Lehrer werden immer häufiger Opfer von psychischer und auch physischer Gewalt am Arbeitsplatz. Das zeigt eine Abfrage von Jan Lehmann, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Die Daten stammen aus der polizeilichen Verlaufsstatistik. Sie erfassen alle angezeigten Straftaten aus den Jahren 2019 bis 2024 – mehrheitlich aus den Deliktgruppen Körperverletzung, Nötigung/Freiheitsberaubung/Bedrohung und Beleidigung auf sexueller Grundlage –, in denen die Geschädigten Lehrkräfte waren.
Die Auswertung zeigt, dass es 2019 in ganz Berlin noch zu 186 Fällen von Aggressionen gegen Lehrkräfte kam. Bis 2024 stieg die Fallzahl – mit Ausnahme der Pandemiejahre 2020 und 2021 – auf den aktuellen Höchststand von 283 Fällen. Der Anstieg der Vorfälle um mehr als 50 Prozent in fünf Jahren sei „alarmierend“, sagte Lehmann.
Körperverletzungen waren insgesamt, alle fünf Jahre und alle Schulformen zusammengerechnet, die meisten Straftaten, die erfasst wurden. Die Fallzahlen untermauern den bei vielen Experten vorherrschenden Eindruck, dass nach den Schulschließungen in der Pandemie die Aggressionsbereitschaft bei vielen Schülerinnen und Schülern gestiegen ist. 2022, als der normale Schulunterricht vollumfänglich wieder aufgenommen wurde, zeigt die Statistik den größten Anstieg an Attacken gegen Lehrkräfte. „Darüber hinaus könnte die Dunkelziffer noch weit höher liegen, denn es melden möglicherweise nicht alle Lehrkräfte, was ihnen im Dienst widerfahren ist“, sagte Lehmann.
Die Dunkelziffer könnte noch weit höher liegen, denn es melden möglicherweise nicht alle Lehrkräfte, was ihnen im Dienst widerfahren ist.
Jan Lehmann, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus
Die Straftaten gegen Lehrerinnen und Lehrer werden in der Auswertung aufgeteilt nach Bezirken und Schulformen ausgewiesen. Während Gymnasien in manchen Bezirken und Jahren in der Auswertung gar nicht vorkommen, fällt auf, dass sich in vielen Bezirken besonders an den Grundschulen die Fälle von Körperverletzungen ballen – was allerdings pro Jahr und Bezirk meist nicht mehr als ein Dutzend Fälle bedeutet. In der Deliktgruppe Nötigung/Bedrohung/Freiheitsberaubung sind laut Lehmanns Auswertung Schulen mit Förderbedarf sowie Integrierte Sekundarschulen besonders betroffen.
Versuchtes Tötungsdelikt an einem Gymnasium in Mitte
Statistisch nicht bedeutsam, aber dennoch auffällig ist, dass es vereinzelt auch zu besonders schweren Straftaten gekommen ist. Zu nennen ist hier ein versuchter Mord oder Totschlag an einem Gymnasium in Mitte im Jahr 2022. Im selben Jahr wird an einem Pankower Gymnasium ein Raubüberfall aufgeführt, genau wie 2024 in Friedrichshain-Kreuzberg unter der Kategorie „Schule (sonstige)“. Insgesamt sechsmal werden außerdem „schwere und gefährliche“ Körperverletzungen zum Schaden von Lehrkräften erwähnt, davon fünf in den Jahren nach der Pandemie.
Lehmann hat auch die Zahl der Polizeieinsätze an Schulen nach Einsatzanlass und Jahr abgefragt. Wegen Körperverletzungen wurde die Polizei im vergangenen Jahr 327 Mal an eine Schuladresse gerufen; 2019 gab es 280 entsprechende Fälle. Hier wird allerdings nicht aufgeschlüsselt, ob Schüler oder Lehrer zu Schaden kamen.
Rechtsexperte Lehmann deutet die Zahlen als eine sinkende Hemmschwelle für Gewalt und warnt: „Wenn dies – wie hier – gerade diejenigen trifft, die sich für Bildung, Gesundheit oder das Gemeinwohl einsetzen, leidet am Ende die gesamte Gesellschaft darunter.“
Die Bildungsverwaltung teilte auf Anfrage mit, sie nehme Gewaltvorfälle im schulischen Kontext sehr ernst. Gewaltprävention und der Schutz von Schülern sowie Lehrkräften seien „zentrale Aufgaben“, sagte ein Sprecher. „Mit der Neuausrichtung der Berliner Notfallpläne wurde bereits ein wichtiger Schritt unternommen und eine verbindliche Meldekette etabliert. Darüber hinaus wird an einer langfristigen Strategie gearbeitet, die das Thema umfassend betrachtet und weitere gezielte Maßnahmen zur Prävention und Intervention entwickelt.“
Wird eine Lehrkraft in der Schule attackiert, bedroht oder beleidigt, geht der erste Weg normalerweise zur Schulleitung, die in schweren Fällen die Schulaufsicht benachrichtigt und zum Schutz der Person im Normalfall auch die Strafanzeige bei der Polizei übernimmt. Seit 2018 gibt es außerdem an jeder Schule ein Krisenteam, an das sich auch Lehrkräfte wenden können.
In jedem Bezirk gibt es ein Schulpsychologisches und Inklusionspädagogisches Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ), das in Notfällen und Krisen an die Schule geholt werden kann. Laut Schulverwaltung gibt es für die Lehrkraft außerdem die Möglichkeit einer arbeitspsychologischen Einzelberatung an der Charité. Bei körperlichen und psychischen Schäden nach traumatischen Erlebnissen am Arbeitsplatz können zudem Therapien, Behandlungen und Rehaangebote der Unfallkasse Berlin in Anspruch genommen werden.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: