zum Hauptinhalt
Kinderbilder kleben an einer Wand über einem Bett in einem Wohnbereich in einem Unterkunftskomplex im Ankunftszentrum Tegel.

© dpa/Carsten Koall

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Die meisten kommen aus der Ukraine nach Berlin

In diesem Jahr flüchteten deutlich weniger unbegleitete Kinder und Jugendliche nach Berlin als in den Vorjahren. Die meisten kommen aus der Ukraine – und der Anteil der Mädchen hat sich verändert.

Stand:

Höherer Mädchenanteil, die meisten Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine, deutlich verringerte Gesamtzahl: Wer in Berlin als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling ankommt, hat sich in diesem Jahr erkenntlich geändert. Wie die Jugendverwaltung von Katharina Günther-Wünsch (CDU) bei einer Anhörung zur Situation dieser Gruppe im Jugendausschuss des Abgeordnetenhauses am Donnerstag darstellte, sind in diesem Jahr bisher gut 1500 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Hauptstadt registriert worden. Bis Ende des Jahres, erklärte Kerstin Stappenbeck, Leiterin der Abteilung Jugend und Kinderschutz, prognostiziere man rund solcher 1700 Ersterfassungen.

Das wären deutlich weniger als in den Vorjahren: 2022 und 2023 waren in der Hauptstadt je rund 3200 und 3100 junge Menschen ohne die Begleitung einer erwachsenen Aufsichtsperson angekommen und behördlich erfasst worden – wobei sich nach den Erstgesprächen und Untersuchungen letztlich nicht alle als minderjährig herausstellten.

Ein Blick auf die Zahlen der vergangenen Jahre zeigt, dass diese zum Teil stark fluktuieren: So wurden 2021 etwa nur knapp 700 junge Menschen erstmalig erfasst, also noch einmal 1000 weniger als die Prognose für dieses Jahr.

Auch bei den Herkunftsländern hat sich etwas getan: Mit 26 Prozent kommt der größte Anteil der Jugendlichen in diesem Jahr aus der Ukraine – vergangenes Jahr lag das Land noch auf Platz drei, hinter Syrien und Afghanistan. Erhöht hat sich außerdem der Mädchenanteil: Vergangenes Jahr waren es noch neun Prozent, 2024 waren bisher 13 Prozent der in der Hauptstadt angekommenen Kinder und Jugendlichen weiblich.

Derzeit, erklärte Stappenbeck den Abgeordneten, befänden sich rund 1100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Obhut des Landes Berlin, weitere 1700 stünden unter der Aufsicht der bezirklichen Jugendämter – hier handelt es sich um Kinder und Jugendliche, bei denen die Minderjährigkeit gesichert festgestellt worden ist.

Mädchen werden auf der Flucht oft sexuell ausgebeutet

Welchem Leid besonders Mädchen ausgesetzt sind, die alleine den Weg nach Deutschland antreten, verdeutlichte im Jugendausschuss Candan Ögütçü, Leiter des Sozialträgers Navitas. Navitas betreibt in Lichtenberg mit 190 Plätzen Berlins größte Erstaufnahmestelle für unbegleitete Minderjährige, und in Reinickendorf eine Einrichtung speziell für Mädchen, die etwa 50 Plätze vorhält. „Der überwiegende Anteil der Mädchen war auf ihrem Fluchtweg nach Berlin sexueller Ausbeutung ausgesetzt“, berichtete Ögütçü. „Mehrere sind schwanger hier in Berlin angekommen. Es ist davon auszugehen, dass diese Schwangerschaften auf dem Weg zustande gekommen sind, gegen ihren Willen.“

2800
unbegleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche befinden sich derzeit in der Obhut von Land oder Bezirken.

An der Anhörung nahmen außerdem Vertreterinnen des Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe teil. Helen Sundermeyer vom Bundesfachverband kritisierte die Zustände in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die zum Teil „mit Kinder- und Jugendhilfe nichts zu tun“ hätten. Sundermeyer benannte als Probleme unter anderem „räumliche Enge, zum Teil extreme hygienische Mängel, schlechte Betreuung bis hin zu Kinderschutzfällen, Einsatz von Videokameras und Securitys“. Die Kinder und Jugendlichen dort würden oft fachfremd betreut und seien schlecht über ihre Rechte informiert.

„Bis vor wenigen Monaten“, kritisierte Sundermeyer weiter, hätten Kinder und Jugendliche zum Teil monatelang in diesen Einrichtungen ausgeharrt, wo sie eigentlich maximal vier Wochen verbleiben sollen. Oft wüssten sie nicht, wer für sie zuständig sei, weil die Ämter wegen Überlastung keine Vormünder benennen könnten. Auch würden in den Erstgesprächen immer wieder Minderjährige als volljährig deklariert und landeten dann ohne Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe in Gemeinschaftsunterkünften.

Lieke Sparidaens vom Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe berichtete von den Problemen, denen junge, gerade volljährige Geflüchtete ausgesetzt sind – diese Zielgruppe würde oft von Behörde zu Behörde geschoben und nicht darüber informiert, dass auch sie Ansprüche auf Jugendhilfe hätten.

Konstanze Fritsch, Leiterin des Rechtshilfefonds, nutzte die Anhörung, um sich gegen das Senatsvorhaben einer großen Erstaufnahmeeinrichtung an der Hasenheide auszusprechen, in der auch Minderjährige unterkommen könnten: „Das betrachten wir mit Sorge“, sagte Fritsch. Sehr viele junge Männer, die einer höchst vulnerablen Gruppe angehören und große Belastungen aufweisen, in eine Großunterkunft zu stecken, werde wahrscheinlich zu Konfliktsituationen und in der Folge einem „politischen Spektakel“ führen.

Die Jugendverwaltung beteuert, Kinder und Jugendliche sollten dort nicht langfristig untergebracht werden. Die Räume an der Hasenheide sollten vor allem genutzt werden, um schneller und effizienter Erstgespräche durchführen und Kinder und Jugendliche an dezentrale, kleinere Einrichtungen in Berlin oder andere Bundesländer weitervermitteln zu können. Zudem sei die Einrichtung als Vorsorge für plötzliche größere Geflüchtetenzahlen gedacht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })