
© Senah Abou Taha
Schwerkranke Kinder als Musicalstars: Berliner Verein bringt Hoffnung in Kinderhospize
Musicals im Hospiz? Der Verein „Namu“ bringt Künstler und schwerkranke Kinder auf die große Musicalbühne – mit Unterstützung des RIAS-Kammerchors.
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Wenn Una Gonschorr den Proberaum des RIAS-Kammerchors betritt, bunt gekleidet und mit einem selbstgenähten Schmetterlingsumhang aus dem eigenkomponierten Musical „Aponis Verwandlung“, wirkt ihr breites Lächeln ansteckend. Die 57-Jährige kommt selbst aus einer Künstlerfamilie. Seit sie denken kann, ist die gebürtige Berlinerin als Sängerin und Schauspielerin tätig.
2005 gründete sie gemeinsam mit ihrer Bekannten Kyle Weinig den Verein „Namu Art for Life Network e.V.“, um Künstler und schwerkranke Kinder zusammenzubringen. Als Krebsüberlebende kennt sie den Schmerz des Krankseins gut: „Mein Ziel ist es, das ‚Gift‘ der Krankheit für die Kinder in Medizin zu verwandeln“.
Musical mit mehr als 80 Beteiligten
Mit Unterstützung von Schauspielern und Synchronsprechern wie dem 51-jährigen Nic Romm („Wickie und die starken Männer“) organisiert der Verein regelmäßig Musicalproduktionen in Kinderhospizen. Zum zehnjährigen Jubiläum des Kinderhospizes „Berliner Herz“ (getragen vom Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg) brachte Namu gemeinsam mit über 80 Beteiligten das Stück „Aponis Verwandlung“ auf die Bühne – darunter schwerkranke Kinder, Geschwisterkinder und Sänger des RIAS-Kammerchors.

© Daniela Incoronato
In Anwesenheit des Spandauer Bürgermeisters Frank Bewig (CDU) und vor rund 600 Gästen wurde am 12. Juli im Zelt des Zirkus Busch-Berolina in Spandau die Geschichte von Aponi erzählt: die kleine Raupe, die nicht aufgibt, bevor sie ihr Glück findet. Die Botschaft: Ein Kinderhospiz ist kein Ort des Sterbens – sondern einer des Lebens.
Im Probesaal des RIAS-Kammerchors entfernen Emily Sountoulidis (19) und Kristina Frank (22) Markierungen von vorherigen Proben. Beide haben als Geschwister von schwerkranken Kindern direkte Berührungspunkte mit dem Kinderhospiz „Berliner Herz“. Franks Bruder starb dort im Jahr 2021, Sountoulidis Bruder befindet sich aufgrund eines schweren Herzfehlers weiterhin in Behandlung. Die Geschwister- und Trauerbegleiterin des Kinderhospizes, Anke Konermann, vermittelte die beiden an Una Gonschorr – nun sind sie selbst Darstellerinnen in den Produktionen des Vereins.
Sountoulidis, seit diesem Februar dabei, spielte eine der Orchideen in dem Stück. Ohne jegliche Gesangserfahrung, war sie zunächst unsicher, ob sie bei dem Projekt mitmachen sollte. Im Nachhinein ist sie jedoch glücklich über ihren Schritt. „Namu hat mir mehr gegeben als den dringend notwendigen Gesangsunterricht“, sagt sie über das Musicalprojekt mit dem Verein. Es stiftete Sinn in einer speziellen Lebensphase: „Gerade jetzt, wo ich etwas orientierungslos zwischen Abitur und Studium hänge.“
Nicht die Umstände entscheiden, ob man glücklich ist – sondern man selbst.
Una Gonschorr, Gründerin des Vereins „Namu Art for Life Network e.V.“
Für Kristina Frank, die die Hauptrolle der Raupe Aponi spielt, ist das Projekt eine Möglichkeit, ihren verstorbenen Bruder lebendig zu halten. „Musik und Schauspiel waren mein ‚Safe Space‘, als mein Bruder verstarb. Wenn ich auf der Bühne stehe und die Lieder singe, die er einst im Hospiz mit Namu genoss, dann lebt er einfach weiter“, erzählt sie.
Hinter der farbenfrohen Inszenierung von „Aponis Verwandlung“ steckt eine beeindruckende organisatorische Leistung unter Regie und Planung von Nic Romm. Zu den rund 80 Mitwirkenden gehören: 55 Kinder, viele davon schwerkrank, sowie 25 Erwachsene und Sänger des RIAS-Kammerchors.

© Daniela Incoronato
Romm erinnert sich, wie schwierig es war, Orte für die Proben zu finden. „Hier im Kammerchor dürfen wir großzügigerweise oft proben. Durch die Treppen ist der Ort aber nicht barrierefrei und somit meistens unpassend.“ Dazu kamen viele weitere Herausforderungen – etwa welche Geschwister und Familien überhaupt teilnehmen konnten und wie belastbar sie waren.
Geprobt wurde am Ende unter anderem im Kinderhospiz, in einer Kirche und in improvisierten Räumen – dort, wo es gerade möglich war. Besonders hilfreich war das modulare Konzept des Stücks, bei dem jede Bühnen-„Welt“ einzeln inszeniert werden konnte.
Eine zusätzliche Herausforderung war der Aufführungsort. Nachdem ein ursprünglich geplanter Veranstalter abgesprungen war, telefonierte das Team mit über 100 weiteren. Die Rettung kam in letzter Minute: Der Zirkus Busch-Berolina stellte ein großes Zelt im Spandauer Süden exklusiv für die Aufführung auf – und das unentgeltlich.
Orte, an denen man normal sein kann
Die Generalprobe sei noch holprig verlaufen, aber zur Premiere fügten sich alle Elemente wie ein Puzzle zusammen. „Das war unsere Belohnung“, sagt Una Gonschorr. Dass das gesamte Projekt rein spendenfinanziert und ehrenamtlich gestemmt wurde (inklusiver großer Unterstützung von „Aktion Mensch“), sei ein Beweis für den Zusammenhalt im Netzwerk rund um Namu.
Dass schwerkranke Kinder gleichberechtigt mitspielen, ist für Una Gonschorr kein „Sonderfall“, sondern Normalität. „Eigentlich schade, dass man dafür noch das Wort ‚inklusiv‘ braucht“, sagt sie. Viele Eltern empfanden das Projekt als heilsam – weil es kein Mitleid erzeugte, sondern echte Teilhabe. „Nicht die Umstände entscheiden, ob man glücklich ist – sondern man selbst“, sagt Gonschorr.
Am Ende sind sich alle Mitwirkenden einig: Es sei nicht der Tod, der diese Kinder und ihre Persönlichkeit definiere. Es seien ihre Geschichten, ihre Rollen, und die gemeinsamen Erinnerungen bei Produktionen wie „Aponis Verwandlung“. Wer selbst an kommenden Produktionen mitwirken wolle, sei herzlich willkommen dem Verein beizutreten – oder ihn mit Spenden zu unterstützen. Die Türen des Namu-Vereins stünden allen Interessierten stets offen. Und weitere Auftritte nach der Sommerpause sind bereits in Planung.
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