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Berlin und die Mobilitätsindustrie waren schon immer eng verbunden.

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Neuer Standort für Automobilmesse: Sechs Gründe, warum die IAA nach Berlin gehört

Deutschlands größte Automobilausstellung denkt über einen neuen Standort nach. Hier ein paar subjektive Argumente für Berlin.

1 DIE GESCHICHTE
Berlin war schon vor mehr als einhundert Jahren Taktgeber der Mobilitätsindustrie. Elektromobilität? Kennt diese Stadt spätestens seit 1879. Damals – ganze 18 Jahre vor Eröffnung der ersten IAA (in Berlin) – schickte der Ingenieur Werner von Siemens eine zweiachsige Elektrolokomotive auf der damaligen Gewerbeausstellung auf einem 300 Meter langen Rundkurs. Das Gerät zog drei Wagen mit Holzbänken für je sechs Fahrgäste. Es war eine frühe U-Bahn. 1897 organisierte der „Mitteleuropäische Motorwagenverein“ eine zunächst eintägige Automobilausstellung, die als Geburtsstunde der IAA gilt. In den Folgejahren findet sie im Hotel Bristol statt. Bei der Eröffnung der IAA im Jahre 1930 in den damals neuen Hallen unterm Funkturm soll das Physik-Genie Albert Einstein gesagt haben: „Technologie ermöglicht persönliche Beziehungen. Persönliche Beziehungen bewahren Frieden.“

Anfang der 1950er Jahre zieht die Autoschau nach Frankfurt am Main um.

2 DIE SCHWÄCHE DER IAA
Natürlich, die Jahre in Frankfurt waren nicht nur schlecht für die Branche. Mit mehr als 500.000 Besuchern und vielen tausend Autojournalisten aus aller Welt ist die IAA heute die Leitmesse dieses Industriezweiges. Deutsche Unternehmen bauen die besten Autos, und diese Autos werden in der Regel erstmals auf der IAA der Weltöffentlichkeit präsentiert. Das soll auch so bleiben. Doch die Shanghai Auto Show ist auch riesig, und die CES Las Vegas wird für Mobilitätsthemen immer wichtiger. In diesem Jahr sind so viele Autohersteller der Messe ferngeblieben wie noch nie. Kurzum: Die IAA braucht einen Neustart, ein neues Profil und als sichtbarsten Ausdruck des Aufbruchs: einen neuen Standort. In Frankfurt könnte das Schicksal der Cebit aus Hannover drohen oder der Detroit Auto Show: das Ende.

Berlins Messechef Christian Göke formulierte es in seinem Brief an den Autoverband richtigerweise so: „Berlin ist Neuanfang. Ohne weiteren Kommunikationsbedarf. National und international“.

3 DAS IMAGE DES STANDORTES
Es hat Gründe, warum die interessantesten und bestbesuchten Messen der Welt in den interessantesten und bestbesuchten Städten der Welt veranstaltet werden: Messebesucher sind auch nur Menschen, wollen das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden – in Barcelona, in Las Vegas und: Berlin.

Was hat Frankfurt am Main, was Berlin an der Spree nicht hat? Ehrlicherweise nur drei Dinge: Viele Bankzentralen, eine Buchmesse und einen funktionierenden Flughafen. Berlin hat dafür doppelt so viele (überlastete) Flughäfen, Parlamente und Fußballbundesligisten, fünf Mal so viele Einwohner und sechs bis zehn mal so viele Sehenswürdigkeiten – inklusive Clubs, in denen auch getanzt wird.

Und was den Messebetrieb selbst angeht: Berlins Grüne Woche, ITB oder InnoTrans sind ebenfalls Weltspitze. Zudem veranstaltet der Tagesspiegel-Verlag seit Jahren den „Future Mobility Summit“ in Berlin – den hierzulande wichtigsten Fachkongress zum Thema.

4 DIE MESSE UND IHRE MACHER
Christian Göke, der Chef der Messe Berlin, ist ein Smart Guy mit einem guten Handicap. Wie sich das für einen erstklassigen Verkäufer gehört, ist Göke extrem gut vernetzt – unter anderem durch Mandate in der Tourismusbranche und bei der blau- weißen Hertha, aber auch durch seine Präsenz auf den Golfplätzen der Region. Göke weiß, wie die Messe- und Kongressszene funktioniert: Ende der 1990er Jahre arbeitete er selbst für die Messe Frankfurt, der er jetzt die IAA abzujagen versucht. 2000 kam er als Geschäftsführer zur Messe Berlin und seit 2013 ist er Chef der landeseigenen Messegesellschaft.

Mit dem Land Berlin als Eigentümer kommt Göke zurecht, sofern der in Person des Regierenden Bürgermeisters auftritt. Erst vergangene Woche adelte Michael Müller im fernen Singapur den Messe-Berlin-Ableger ITB Asia durch seine Anwesenheit. Müller lobte Gökes Leistung über den grünen Klee. Schwierig dagegen war und ist immer das Verhältnis zu der für die Messe zuständigen Wirtschaftssenatorin: Sybille von Obernitz und Cornelia Yzer konnten Göke nicht leiden und wollten ihn feuern. Aktuell schaut der Messemann misstrauisch in Richtung Senatorin Ramona Pop: es wäre zu blöd, wenn die Grünen-Politikerin mit autofeindlichen Sprüchen den großstädtischen Zeitgeist bedient und die Industrie verschreckt. Außerdem mag Pop auch Gökes Begehr, sich von dem lästigen Kongresszentrum ICC zu trennen – nicht folgen.

5 DIE LANDESPOLITIK
Vieles in Berlin klappt nicht wegen, sondern trotz der Politik, sagen Spötter. Das ist ein leider nicht nur in der Provinz gepflegtes Vorurteil. Tatsächlich braucht es auch hier bei großen Projekten das persönliche Engagement der obersten politischen Entscheider. Michael Müller (SPD) setzt alles daran, Berlin als Wissenschaftsstadt zu profilieren. Er nutzt das Amt auch, wenn in klassischen Wirtschaftsbereichen Hilfe gebraucht wird. Müller hat vor einem Jahr maßgeblich dazu beigetragen, dass der Siemens-Konzern den traditionsreichen Standort in Siemensstadt mit 600 Millionen Euro zu einem Innovationscampus ausbaut. Und Müller hat vor einigen Wochen einen eigenen Brief an die großen Autokonzerne geschrieben und für Berlin als IAA-Standort geworben. Das kam gut an, und von BMW und VW gab es bereits positive Resonanz. Für den 1. November hat Müller die Spitze des Autoverbandes ins Rote Rathaus eingeladen, um gemeinsam mit Göke das Berliner Konzept zu konkretisieren. Pop ist nicht dabei.

Doch nicht einmal ihre Grünen-Parteifreundin Regine Günther, Verkehrssenatorin und Berlins profilierteste Auto-Gegnerin, sperrt sich grundsätzlich gegen eine IAA in Berlin. Sie stellt Bedingungen für eine Übersiedlung der Messe: „Berlins Verkehrspolitik stellt den Menschen in den Mittelpunkt – nicht die autogerechte Stadt. Wir wollen eine Mobilität, die weniger Platz benötigt, die weniger Lärm, CO2 und Luftschadstoffe verursacht, dafür aber mehr Sicherheit und deutlich mehr Lebensqualität bringt. Jede Messe, die eine solche integrierte Mobilität thematisiert und die Zukunft lebenswerter Metropolen im Blick hat, wäre in Berlin hervorragend aufgehoben.“

6 DER ZEITGEIST
Die Teilblockade des Frankfurter Messegeländes durch Umweltaktivisten bei der letzten IAA hat gezeigt: Es braucht ein neues Narrativ. Die traditionsreiche Marke IAA soll bleiben – „und alles andere neu gemacht werden“, wie Berlins Messemacher Göke sagt. „Das Narrativ der neuen IAA stellt den sozialen Zweck, den Nutzen für die Gesellschaft, die Nachhaltigkeit ins Zentrum.“ Große Verkäufer können gar nicht groß genug denken. Göke will mit der neuen IAA dazu beitragen, „dass der Welt die bestmöglichen Mobilitätsangebote zur Verfügung stehen“. Kurzum: Die Welt brauche einen IAA aus Berlin.

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