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Eine Sexarbeiterin auf dem Straßenstrich in der Kurfürstenstraße (Archivbild).

© imago/Rolf Kremming

Sexarbeit während der Coronavirus-Krise: Auf der Straße gibt’s keinen Shutdown

Bordelle sind dicht, doch die Prostitution steht nicht still. Sexarbeiterinnen haben oft keine andere Wahl. Der Job kann jetzt lebensgefährlich sein.

Sie würden gern auf Abstand gehen. Das verrät der Mundschutz, den einige Frauen zusätzlich zu den weißen Jacken, Hotpants und Stiefeln tragen. Auf der Kurfürstenstraße stehen weniger Sexarbeiterinnen als sonst. Allein die Ungarinnen waren eines Tages plötzlich alle weg.

An dem Montag, als Angela Merkel verkündete, dass wegen der Corona-Pandemie die Bordelle dicht sind, müssen die ungarischen Zuhälter ihre Frauen eingesammelt und alle gemeinsam nach Ungarn gebracht haben. So die Vermutung von Streetworker Gerhard Schönborn, dem Vorsitzenden des Vereins „Neustart“. Dessen Beratungsstelle versucht trotz des Coronavirus, in Form eines mobilen Tischs vor dem Vereinscafé in der Kurfürstenstraße weiter da zu sein für die Sexarbeiterinnen des Straßenstrichs.

Mit dem Einzug des Coronavirus in die Stadt haben sich auch die Freier zurückgezogen. Wer kann, achtet auf seine Sicherheit. Wer kann. Die Frauen, die noch auf der Kurfürstenstraße stehen, können es nicht. Die Polizei fährt Streife und unterbindet den Kontakt zwischen Frau und Freier, wenn sie ihn mitbekommt.

Seit Donnerstag ist jede Form von Prostitution in Berlin verboten. Im Grunde wollte die Senatsverwaltung den Straßenstrich schon vor zwei Wochen verbieten, nur hatte sie das temporäre Berufsverbot so unglücklich formuliert, dass daraufhin die gesamte Branche darüber gerätselt hat, ob sexuelle Dienstleistungen außerhalb von Bordellen weiterhin angeboten werden dürfen.

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„In der Coronakrise zeigt sich, wie schutzlos die Frauen von der Kurfürstenstraße sind“, sagt Schönborn, „sie brauchen das Geld jeden Tag.“ Für Crystal oder andere Drogen – was sie eben gerade bekommen. Der Kurfürstenkiez steht für Armuts- und Beschaffungsprostitution. Ein Großteil der Frauen ist obdachlos, ihre Dienste bieten sie zum Beispiel auf der mobilen Toilette vor der Zwölf-Apostel-Kirche an.

Etwas besser ging es bislang denjenigen, die in Bordellen arbeiteten und wohnten. Das ist zwar nicht erlaubt, wird von Ordnungsbehörden aber meist geduldet. Doch der Coronavirus-Shutdown stellt auch Bordellbetreiber vor Fragen: Was, wenn sie bei einer Kontrolle ihre Lizenz verlieren, weil Ordnungsbehörden automatisch davon ausgehen, dass die anwesenden Frauen gerade arbeiten?

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Auf Drängen des Berufsverbands für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) hat das Familienministerium den Ländern nun empfohlen, für die Dauer der Krisenzeit das im Prostituiertenschutzgesetz festgeschriebene Übernachtungsverbot auszusetzen. In Berlin wird das aktuell diskutiert. Während Bordelle in anderen Städten wie Köln oder München entschieden haben, Sexarbeitende dort weiter mietfrei wohnen zu lassen, verweist Berlin bislang auf die Kältehilfe.

Aber auch Notübernachtungsplätze werden weniger, weil Mindestabstände und Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden müssen. Wenn Bordellbetreiber nicht kulant sind, landen Sexarbeitende also auf der Couch von Freunden oder eben auf der Straße.

Doch da geht Überleben vor Sicherheit. Auf der Kurfürstenstraße sind in der Coronavirus-Krise zwei neue Frauen aufgetaucht, berichtet Schönborn. Und aktuell bestimmen die Männer die Preise und was dafür gemacht wird – „30 Euro komplett“ ist manchen Männern im Moment schon zu viel.

Zehn Euro habe ein Freier einer Sexarbeiterin angeboten. Sie habe sich geweigert und war echauffiert. „Das Problem ist“, erklärt Schönborn, „sie sagen zweimal Nein und beim dritten Mal werden sie Ja sagen.“ Der Druck sei einfach zu groß.

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Weniger als gesundheitliche Sorgen sind es Existenznot und Verzweiflung, die die Frauen vom Kurfürstenstrich umtreiben. „Corona blenden die Frauen aus“, sagt Schönborn, „genauso wie sie Hepatitis oder andere Geschlechtskrankheiten ausblenden. Sie hoffen einfach, es nicht zu bekommen.“

Dabei gehören die Frauen wegen ihrer Drogenabhängigkeit nicht nur zur Risikogruppe – sie haben außerdem meist keinen Anspruch auf ärztliche Versorgung, weil sie aus Rumänien oder Bulgarien kommen und in Deutschland nicht krankenversichert sind; geschweige denn Zugang haben zu Sozialleistungen oder Auffanghilfen für Solo-Selbstständige. Der Kurfürstenstrich ist die schwarze Seite der Sexarbeit.

Situation ist für selbstbestimmte Sexarbeitende anders

Doch so simpel ist die Branche nicht. Selbstverständlich gibt es sie, die selbstbestimmten Sexarbeitenden, die statt von „Freiern“ von „Kundinnen und Kunden“ sprechen. Da ist zum Beispiel Alexa Müller. Die 46-Jährige arbeitet seit 15 Jahren als Sexarbeiterin, ist eingemietet in ein Studio mit unterstützenden Kolleginnen und spricht von sich selbst als „privilegiert“, dass sie immer viel Glück hatte in ihrem Leben. Und, ganz wichtig: die absolute Freiheit der Berufswahl.

„Selbstverständlich sollten wir in Corona-Zeiten nicht arbeiten“, sagt sie, „das steht außer Frage.“ Als gemeldete Sexarbeiterin, die immer Steuern gezahlt hat, hat sie Anspruch auf bis zu 9000 Euro staatliche Ausfallzahlungen für Solo-Selbstständige.

Ihr größtes Problem in der Coronavirus-Krise? „Ich vermisse meine Kunden und Kundinnen sehr“, sagt sie. „Es ist für uns alle hart, auf Händedruck und Umarmungen zu verzichten. Wir Sexarbeitende sind sehr körperbewusste Menschen, vielleicht trifft uns der Verzicht auf Nähe und Intimität besonders.“

Verein kämpft gegen Stigmatisierung

Müller ist Vereinsmitglied von „Hydra“, einer Beratungsstelle und Interessenvertretung von Sexarbeiterinnen, die gegen das Stigma kämpft, das der Sexarbeit anlastet. Ein Stigma, das laut Müller viele Frauen davon abhält, sich offiziell als Prostituierte anzumelden. Und das in letzter Konsequenz auch dazu führt, dass diese Frauen bei Ausfallzahlungen durchs Raster fallen.

Fehlende Soforthilfen wiederum können dazu führen, dass Sexarbeitende trotz der Gesundheitsrisiken keine andere Möglichkeit sehen, als weiterzuarbeiten. Daher klingelt gerade auch bei „Hydra“ ständig das Telefon. Die Fragen sind so divers wie die Branche selbst: Wo kann ich Gelder beantragen? Wie finanziere ich Essen und Miete? Wo kann ich schlafen? Aber, betont Müller, es gebe auch diejenigen, die anrufen und fragen: „Wie kann ich helfen? Wo kann ich spenden?“ Oder: „Bei mir ist ein WG-Zimmer frei.“

Die Branche der Sexarbeit ist sehr divers. Die einen kämpfen auch in Coronavirus-Zeiten für gesellschaftliche Anerkennung. Für die Frauen vom Straßenstrich wünscht sich der Streetworker Schönborn aber vor allem eines: „Einen Entzug trotz fehlender Krankenversicherung. Und Unterbringung. Sonst müssen sie weiterackern.“ Und das könnte lebensgefährlich werden.

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