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Blick in die neue Heimat. Der Brite Mark Espiner erkundet Berlin.

© Thilo Rückeis

Espiners Berlin: Von Aussichts- und anderen Höhepunkten

Ausfliegen, Hügel besteigen und auf Leitern klettern: Der britische Wahlberliner Mark Espiner erkundet Berlin - mit Hilfe seiner Leser.

Stand:

Vor ein paar Monaten habe ich Sie um Ihre Ansichten gebeten. OK, es stimmt, ich frage Sie nach Ihren Ansichten so ziemlich jedesmal, wenn ich hier schreibe - Sie wissen schon, wo kann ich die beste Wurst bekommen und so weiter. Aber als ich das letzte Mal nach Ihren Ansichten gefragt habe, war ich sehr akkurat: Ich wollte Ihre Lieblingsansichten von Berlin und  Ihre  Resonanz war überwältigend.

Vielen Dank für all Ihre Emails und Vorschläge. Ich brauchte etwas Zeit, um mich durch diese zu arbeiten und währenddessen habe ich mich mit ein paar von Ihnen getroffen, bin zu so manchen exzentrischen Orten gefahren und habe Wein, Curry und sogar eine persönliche Museumstour angeboten bekommen (und akzeptiert). Das meiste davon ist auf Video dokumentiert. Das Problem war nur, dass ich ziemliche Schwierigkeiten hatte, zu lernen, wie man Videos editiert. Obwohl ich Ihnen eigentlich nun meinen ersten Film bieten wollte, müssen Sie bitte noch etwas auf die online Premiere meines zweifellosen Oscar-Klasse-Meisterwerk warten. In der Zwischenzeit jedoch werden Sie die Links in diesem Artikel zu ein paar Clips auf meiner YouTube Webseite führen.

Tobias, einer der Ersten, die mir schrieben, war nicht der Einzige, der Teufelsberg vorschlug. Er war ein Favorit von Vielen. Und er bot mir eine Führung an. So haben wir uns also am Theodor-Heuss-Platz getroffen und sind dann den Hügel hochgeradelt, während er mir, zwischen den Atemzügen, die ungewöhnliche Geschichte dieses Schuttberges erklärte: der Ort der Wehrtechnischen Fakultät der Nazis, später zum Hügel geformt, aufgeschüttet mit all den Bombenschäden Berlin’s  und dann auf die Spitze gesetzt, wie eine surreale Moschee, die die Stadt überblickt, die vier Golfbälle der Spionage- und Abhöranlage der USA, nun in Ruinen.

Tobias war der perfekte Begleiter. Er fand ein Loch im Zaun, wir kletterten durch und erkundeten dann die Ruinen des Kalten Krieges. Er erzählte mir, wie er das Gegenstück dieses Gebäudes, nämlich das Spionage-Zentrum der DDR, besuchte (als Teil seiner Recherche für dieses faszinierende Buch). Und er erzählte mir auch, dass er jemand kennt, der einen Saxophonspieler in dieser einzigartigen Akkustik der Kuppel aufgenommen hat. Graffiti, der Müll von diversen wilden Parties und kein Security-Personal - der Teufelsberg schien mir wie Berlin auf den Punkt gebracht. Ich bewunderte die Aussicht durch seine Ruinen und vor dem Hügel selbst lag ein Teil Berlins ausgebreitet, mit dem Fernsehturm in der Mitte, der mich an Zuhause erinnerte. Sehen Sie selbst.    

Ich kehrte in meine Wohnung zurück und fand eine Email von Annette, die ein paar spektakuläre Aufnahmen des Sonnenuntergangs über der Stadt vom Dach Ihres Hauses zeigte, sowie die Aussicht von der Samariter Kirche, in der sie arbeitet. Sie lud mich ein um das alles in Echt zu sehen. Wir liefen auf Zehenspitzen durch die Kirche, während ein Chor sang und fanden die Wendeltreppe, die uns bis zur Spitze des Turms brachte. Friedrichshain lag unter uns. “Du solltest die Aussicht von meinem Haus gegenüber sehen, die ist noch besser”, sagte Annette. Wie konnte ich das verweigern. Vielleicht hätte ich das doch besser getan. Ihr Hausdach hatte kein Geländer und ich fühlte, wie meine Beine zu Gelee wurden. Es gab dort eine kleine Leiter, die zur Spitze des Schornsteins führte - meine Höhenangst jedoch stoppte mich, ganz hoch zu gehen. Auf dem Weg nach unten erzählte sie mir, dass ihre Mitbewohner Abendessen kochten und ob ich dabei sein wollte. Es war ein toller Abend, zehn Leute saßen dicht gedrängt um einen Küchentisch während vegetarisches Curry serviert wurde. Lecker. Die Unterhaltungen reichten von Prenzlauerberg, der als Gegend ruiniert werde, von Anwohnern, die umzäunte Wohnanlagen fordern, was wirklich nicht dem Geiste Berlins entsprach, bis zu der Geschichte, wie einer der Anwesenden erst kürzlich in Kreuzberg überfallen wurde, wegen einer Zigarette. Ich habe auch, aufgrund vieler Empfehlungen, den Viktoriapark am Tag zuvor besucht, um das berühmte Kreuz auf dem Hügel zu sehen, das der Gegend ihren Namen gibt. Viele von Ihnen sagten mir, dass dies ein toller Aussichtspunkt wäre. Gottseidank wurde ich nicht ausgeraubt, während ich dort war.

Joachim jedoch kannte andere Geschichten von Kreuzberg und er teilte sie mit mir, als ich ihn ein paar Tage später an der Haltestelle Schönholz traf. Er erzählte, wie man in der schweren Nachkriegszeit übrige Essensreste zu der Molkerei in Kreuzberg brachte, um die Pferde zu füttern und dafür bekam man dann Feuerholz im Austausch. Wir waren auf dem Weg zu Joachims bester Ansicht von Berlin, in Lübars. Eine kurze Autofahrt von der Station und wir schienen auf dem Land zu sein. “Diese Gegend”, sagte er mit einer weiten Geste über die Alte Fasanerie an der Quickborner Strasse, “war die Grenze von West-Berlin”. Von dem Hügel, den wir gerade hochgestiegen waren, konnte ich über das flache grüne Land blicken und stellte mir die Mauer vor, die er mir in Gedächtnis rief  - die äußere Mauer, die West-Berlin vom Umland abtrennte. Er erzählte mir auch, dass dies jetzt ein Ort zum Schlitten- und Skifahren im Winter ist; ich machte mir davon eine gedankliche Notiz. Es war idyllisch, aber wenn man sich umdrehte, konnte die Aussicht von der anderen Seite nicht urbaner sein: ein trostloses Wohnblockviertel in schimmerndem Beton.  Angeblich hat das Märkische Viertel einen ganz schönen Ruf - ich wäre überrascht wenn das wegen seiner Architektur so wäre.

Ich dachte dabei dann doch an dieses Bild von Marzahn, das mir Tobias (nicht Teufelsberg Tobias, sondern ein anderer) gesendet hat. Er sagte, dass es fantastisch wäre, diese Aussicht zu geniessen, während man ein Picknick macht. Es hat mich nicht unbedingt an den perfekten Ort zum Picknickmachen erinnert (oder, was das Bild anbelangt, zumindest nicht an die beste Zeit des Tages). Ich muss diesen Ort noch besuchen, und ich bin neugierig ...

Vielleicht die bessere Aussicht während dem Essen war die der Kantine im obersten Stockwerk des TU-Hochhauses am Ernst-Reuter-Platz. @Uwesinah schlug mir dies auf Twitter vor, aber riet davon ab, dort Kaffee zu trinken. Was für eine Lage für eine Kantine. Von hier aus konnte ich beginnen, die Punkte der Orte, die ich gesehen habe, zu verbinden, und ich dachte sogar, dass ich den alten Flakturm des Volkspark Humboldthain entdecken konnte, den Keith mir gezeigt hat, als seinen Lieblingsaussichtspunkt - und den auch viele von Ihnen mir vorgeschlagen haben. 

Es war spektakulär, die Stadt von so vielen hochgelegenen und unerwarteten Orten zu sehen. Es zeigte die vielen verschiedenen Gesichter Berlins, auch wenn der Fernsehturm in praktisch jeder Ansicht vertreten war. Aber bei all meinen Ausflügen, Hügel hochsteigen und Leitern klettern bewiesen nicht die Aussichtspunkte die wirklichen Höhepunkte zu sein. In der Tat gaben diese nicht unbedingt die beste Sicht über Berlin. Die kam von den Berlinern selbst. Die großzügigen und gastfreundlichen Berliner. Die beste Ansicht hier, dachte ich, sind die Leute die hier leben. Was Sie für mich ausgesucht haben, waren nicht die Touristenfallen oder die hochpolierten Gegenden, sondern die persönlichen, ungewöhnlichen und aufschlussreichen Ansichten. Vielen Dank.

So, nach den Aussichtspunkten möchte ich nun tief in die Squat-Kultur eintauchen. Wir haben alle schon viel von den Squats in Berlin gehört, aber ich habe das Gefühl, dass diese schnell am Verschwinden sind. Irgendwelche Tipps?

Sie können Ihre Vorschläge an Mark Espiner emailen unter mark@espiner.com oder ihm auf Twitter folgen @deutschmarkuk.

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