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© XOOOX, SIT LADY (2008)

Streetartkünstler XOOOOX: Wie ein Virus, das die Welt befällt

XOOOOX ist der erste deutsche Straßen-Künstler, dessen Arbeiten auf dem internationalen Kunstmarkt gehandelt werden. Niemand aber kennt seine wahre Identität. Wer und was verbirgt sich hinter dem Pseudonym?

Wie auch die Streetart-Legende Bansky hält sich XOOOOX, der Shootingstar der Berliner Graffitiszene, im Hintergrund. Er gibt fast nie Interviews, verrät nicht einmal seinen Vornamen. Handelt es sich um eine zwiespältige Persönlichkeit, die ein Doppelleben führt? Um einen Menschen, der sich selbst zum Mythos macht? Die Antwort ist wenig mysteriös, aber dafür sympathisch: Ein junger Künstler, der schon als Schüler wegen Sachbeschädigung im Gefängnis saß, der im Wald Pilze sucht,  während eine seiner Arbeiten zusammen mit Kunstwerken von Damien Hirst und Andy Warhol versteigert wird, und der das Interview beendet, weil seine Parkuhr abgelaufen ist.

XOOOOX, ist es eine bewusste Entscheidung, sein künstlerisches Talent illegal auszuleben?


Streetart zu betreiben ist keine Entscheidung, es entsteht einfach. Ich war immer schon gerne mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs. Wenn ich ein Abrisshaus entdecke, eine alte Wand zwischen sanierten Häusern oder irgendwo ein schrottreifer Bagger rum steht, habe ich das Bedürfnis, das Ding anzumalen, mich mitzuteilen.
 
Der Reiz des Verbotenen?

Im Gegenteil, die Angst geschnappt zu werden, hat mich schon immer gestresst. Bereits zur Schulzeit hatten wir Paranoia und sind Umwege gelaufen, um nicht der Polizei zu begegnen. Besonders nachdem mich jemand aus unserer Gruppe an die Polizei verpfiffen hat und ich ein paar Tage in den Knast musste. Für mich eine schreckliche und nachhaltige Erfahrung. Es wird einem bewusst, welche Macht der Staat hat. Ich saß in meiner Zelle und war nicht im Stande, irgendwas zu tun – ein totaler Blackout.
 
Hat diese Erfahrung deine Kunst verändert?

Sie hat dazu geführt, noch vorsichtiger zu werden und eine Ausrucksform zu wählen, die nicht mehr ganz so radikal ist und den Sachschaden in Grenzen hält.  In Berlin gibt es auch heute noch jede Menge unsanierte Ecken. Selbst in sanierten Gegenden findet man neben renovierten Häusern immer noch eine alte Mauer. Ich mag den Charakter solcher Mauerwerke. Dahinter steckt immer eine lange Geschichte.
 
Du manipulierst in deinen Arbeiten die Logos von Mode- und Luxusmarken, um sie in einen neuen Kontext zu stellen. Dabei bedient sich deine Kunst aber der gleichen Ästhetik. Sind deine Werke als Hommage an Schönheit, Stil und Luxus oder als Kritik an der verführerischen Oberflächlichkeit zu verstehen?

Meine entfremdeten Logos von Hermes oder Chanel beispielsweise sind durchaus auch als Hommage zu verstehen - an Modemarken mit  langer Tradition, die für Stil und Eleganz stehen. Andere Arbeiten sind dagegen ein anarchisches Statement gegen die Gleichmacherei der globalen Textilmarken. So ist auch meine Arbeit zu interpretieren, die aus dem H&M- ein HIV–Logo macht. Solche Marken sind wie ein Virus, der die ganze Welt befällt. 
Vor allem aber rekontextualisiere ich elitäre Symboliken, um den Leuten klar zu machen, wie leicht sie sich von dem schönen Schein blenden lassen. Ich möchte sie dazu bringen, auch hinter die glänzende Fassade zu blicken. Denn mit der richtigen Kampagne kann man den Leuten eigentlich alles verkaufen. Auch in der Kunst: die Suppendosen von Andy Warhol sind dafür ein gutes Beispiel.
 
Aber du nutzt doch im Prinzip die gleichen Marketinggesetze für deine Kunst, die du kritisierst. Ähnlich wie Banksy ist auch XOOOOX dabei, eine Marke zu werden.

Das ist das Grundprinzip, das aus dem klassischen Writing kommt. Jedem Sprayer geht es bei seinen Tags und Graffitis darum, seinen Namen zu verbreiten und bekannt zu machen. Ich gehe dabei noch einen Schritt weiter: indem ich beispielsweise das Logo von Chanel zu meinem mache, überträgt der Betrachter auch das Image der Marke auf XOOOOX. Das ist der Trick, und ich zeige damit, wie einfach es ist, ein bestimmtes Image nur durch ein Logo zu kreieren.
 
Du verkaufst deine Arbeiten mittlerweile auf Auktionen und in Galerien. Sind die Käufer nicht genau die Fashion-Victims, welche die eigentliche Aussage gar nicht verstehen?

(lacht) Ja, das kann durchaus sein, XOOOOX funktioniert da wie eine Luxusmarke.  Aber ich hoffe, die meisten verstehen, worum es mir dabei wirklich geht.
 
Ein beliebtes Motiv deiner Bilder sind auch Models, die du inszenierst wie in einer Modekampagne. Woher kommt deine Vorliebe zur Mode und weiblicher Schönheit?

Ich konnte schon als Junge nichts mit dem machohaften Gehabe und dem Konkurrenzdenken vieler Jungs anfangen und habe die Gesellschaft von Mädchen gesucht. Mit 16 habe ich begonnen, die unzähligen Vogues meiner Schwester durchzublättern, die Models auszuschneiden und sie in die Stadt zu kleben. Nach einer Zeit hat es mich aber genervt, immer klebrige Finger von dem Kleister zu haben. So bin ich auf die Schablonen-Technik umgestiegen.
 
Wie war es, als deine Stencils neben Werken von Damien Hirst, Warhol und Banksy verkauft wurden?

Johann, mein Agent von der Galerie Circleculture, war in London und rief mich während der Auktion an. Ich war gerade im Wald Pilze sammeln, als der Hammer fiel. Das war schon ein sehr irreales Gefühl.
 
Trotz Presserecherchen und Detektiven hat es bisher keiner geschafft, die Identität von Banksy aufzudecken. Er hat seine Anonymität als solche zur Kunstform erhoben und dadurch einen Mythos erschaffen. Ist diese Heimlichkeit, die auch du betreibst, nur Schutz vor dem Gesetzt oder auch Teil deiner Selbstinszenierung?

Banksy ist mittlerweile eine Institution mit richtigem PR-Apparat. Die machen das wirklich sehr geschickt mit falschen Banksys und allen Tricks, um die Anonymität zu bewahren und den Mythos aufrechtzuerhalten. Im Internet findet man bestimmt fünfzehn verschiedene Identitäten und Theorien, wer Banksy wirklich ist. Mir persönlich geht es aber in erster Linie darum, nicht  noch mal im Gefängnis zu landen.  Und es entspricht meinem Charakter, im Hintergrund zu bleiben und nur meine Kunst in den Mittelpunkt zu stellen. Ruhm und Künstlerkult hat für mich keine besondere Bedeutung, ich wünsche mir nur, von meiner Kunst leben zu können.
 
Wie weit würdest du bei der Kommerzialisierung deiner Kunst gehen?

Ich würde meine Werke niemals an die Industrie verkaufen, ich habe aber nichts dagegen, wenn sie in Galerien ausgestellt und verkauft wird. Die Arbeit in Galerien unterscheidet sich auch von der auf der Straße, sie ist konzeptioneller. Und vor allem: auch als Streetartist wird man irgendwann älter und hat sicherlich keine Lust, sich noch mit 50 vor der Polizei hinter Büschen oder Mülltonnen zu verstecken. Dabei fällt mir ein, dass ich gleich los muss. Die Parkuhr ist abgelaufen, meinen Strafzetteln nach zu urteilen, haben die es wieder auf mich abgesehen.
 
Das Interview führte Tim Brandt.

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