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Nach den Reaktionen auf israelkritische Äußerungen während der Berlinale-Abschlussgala hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine Untersuchung der Vorfälle angekündigt. 

© imago/Future Image/IMAGO/Nicole Kubelka

„Statements von tiefgehendem Israel-Hass geprägt“: Kulturstaatsministerin Roth will Äußerungen bei Berlinale-Finale aufarbeiten

Nach israelkritischen Äußerungen bei der Berlinale-Gala kündigt Claudia Roth eine Untersuchung an. Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank warnt unterdessen vor einer Verbotskultur.

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Nach den Reaktionen auf israelkritische Äußerungen während der Abschlussgala der Berlinale hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine Untersuchung der Vorfälle angekündigt. „Gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und dem Berliner Senat, die mit uns die Verantwortung für die Berlinale tragen, werden wir nun die Vorkommnisse bei der Bärenverleihung aufarbeiten“, sagte die Grünen-Politikerin am Montag.

Es solle untersucht werden, wie die Berlinale ihrem Anspruch, ein Ort für Vielfalt, unterschiedliche Perspektiven und Dialog zu sein, gerecht geworden sei oder nicht. Dabei will Roth auch klären, „wie zukünftig sichergestellt werden kann, dass die Berlinale ein Ort ist, der frei ist von Hass, Hetze, Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jeder Form von Menschenfeindlichkeit“.

Während der Gala am Samstagabend war der Nahostkonflikt mehrfach thematisiert worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträgerinnen und Preisträger forderten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg. Der US-amerikanische Regisseur Ben Russell sprach am Ende seiner Dankesrede für eine Auszeichnung von einem Genozid, einem Völkermord. Die Äußerungen stießen anschließend auf Kritik und Empörung.

Roth beklagt „erschreckend einseitige Statements“

„Die Statements bei der Bärenverleihung der Berlinale am Samstagabend waren erschreckend einseitig und von einem tiefgehenden Israel-Hass geprägt“, sagte Roth. „Es ist nicht akzeptabel, wenn an einem solchen Abend von den internationalen Filmschaffenden nicht der bestialische Terrorangriff der Hamas auf über tausend friedlich lebende und auch bei einem Festival feiernde Menschen und deren grausame Ermordung angesprochen wird und auch kein Wort zu den noch mehr als 130 Geiseln verloren wird, die immer noch in der Gewalt der Hamas sind.“

Auch die menschenverachtende Strategie der Hamas, die für das Leid der Zivilbevölkerung im Gaza mitverantwortlich ist, sei nicht benannt worden. „So bei einem internationalen Filmfestival aufzutreten, hilft niemandem, ganz bestimmt auch nicht der Zivilbevölkerung im Gaza.“ Die Terrorattacke der Hamas und das Leid der Geiseln sei nur von der Festivalchefin Mariette Rissenbeek klar und deutlich angesprochen worden. „Das reicht aber nicht“, sagte Roth.

Sie habe die Berlinale im Vorfeld darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, dass sich die Berlinale auf diese schwierige Situation vorbereite. Das Festival habe darauf reagiert. Unabhängig davon kündigte Roth ein Gespräch ihres Hauses mit dem scheidenden Leitungsduo aus Rissenbeek und Carlo Chatrian an. Zudem ist Roth nach eigenen Angaben im Gespräch mit der künftigen Intendantin Tricia Tuttle, die im April ins Amt kommt.

„Wir werden gemeinsam mit ihr die nötigen Schlüsse aus der Aufarbeitung dieser Berlinale ziehen“, sagte Roth. „Dabei betone ich aber ganz klar, dass an der künstlerischen Freiheit und Unabhängigkeit der Berlinale nicht gerüttelt werden darf. Entsprechende Forderungen weise ich deutlich zurück. Allerdings geht diese kuratorische Freiheit auch mit einer großen Verantwortung einher.“

Mendel zur Berlinale-Gala: „Antwort auf Boykott kann nur Diskurs sein“

Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, warnte nach den Reaktionen auf die israelkritischen Äußerungen bei der Gala vor einer Verbotskultur. „Die Debatte über den Nahostkonflikt und den Gaza-Krieg wird an vielen Orten emotional geführt. In Deutschland geht es mit der spezifisch deutschen Geschichte und speziell mit dem Holocaust einher. Deswegen haben wir ein Spannungsfeld zwischen der politischen Positionierung wie der Festlegung auf eine deutsche Staatsräson zu Israel und einem Kulturbetrieb, in dem antiisraelische bis israelfeindliche Positionen von großen Teilen der Community mitgetragen werden.“

Mendel erklärte weiter: „Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen lernen, solche Debatten auszuhalten. Es wird nicht anders funktionieren. Eine Verbotskultur wie bei der Debatte um eine Antidiskriminierungsklausel in Berlin und Versuche, das alles von der Politik zu regulieren, funktionieren nicht.“

Auch der israelisch-deutsche Publizist machte eine einseitige Positionierung für die Seite der Palästinenser aus. „Andere Aspekte oder Blickwinkel der anderen Seite wurden völlig ausgeblendet.“ Es sei sehr einfach, das zu kritisieren.

Eine andere Frage seien Erwartungen an die Berlinale-Leitung. Berlinale-Chefin Mariette Rissenbeek habe „sehr ausgewogen Bezug genommen zu der Situation vor Ort“. Sie habe den Krieg in Gaza und die Situation der Zivilbevölkerung der Palästinenser angesprochen und über die Geiseln gesprochen. „Dass die Gewinnerinnen und Gewinner der verschiedenen Preise die Bühne für Symbole nutzen oder Ansprachen, um politische Äußerungen zu betätigen, kann man gut oder schlecht finden.“

Mendel sieht Provokation einzelner Teilnehmer

Für die Organisation der Berlinale sei es sehr schwer, da zu intervenieren. „Solche Vorstellungen sind realitätsfern und hätten die Situation keineswegs besser gemacht.“ Mendel sprach von Provokationen einzelner Teilnehmer, die durch die Kritik eher mehr Aufmerksamkeit bekämen. „Eine Provokation ist keine ausgewogene Darstellung. Das kann man gut oder schlecht finden, aber es lässt sich kaum unterbinden.“

Nach seiner Erfahrung schaden solche Debatten bei der Bekämpfung von Antisemitismus mehr, als dass sie nützten. „Es wäre falsch, alle diejenigen, die Israel einseitig und mit zum Teil auch radikalen Positionen kritisieren, als Antisemiten zu bezeichnen.“

Mendel warnte zudem vor Ausgrenzung. „Wir bekämpfen eine Ideologie des Boykotts des Staates Israel. Nun wird versucht, dagegen mit genau den gleichen Mitteln vorzugehen, nämlich mit Boykott von denjenigen, die Israel einseitig kritisieren. Die Antwort auf Boykott kann nicht Boykott sein. Die Antwort auf Boykott kann nur Begegnung, Diskurs, Streit sein.“ (dpa)

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