
© Claudio Abate
„Sterben lernen“ mit Gisela Getty : Ausstellung der 68er-Ikone porträtiert den Tod ihrer Zwillingsschwester
Gisela Getty war gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester eines der It-Girls der 68er-Bewegung. In der Ausstellung „Ashes to Rishikesh“ zeigt sie nun Juttas letztes Lebensjahr.
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Gisela Getty öffnet die Tür Ihres sonnendurchfluteten Apartments in Berlin-Mitte. Eine Art Ferienwohnung für Bemittelte auf dem Weinbergsweg unweit des Rosenthaler Platzes. Die Einrichtung ist modern, spartanisch. Auf dem weißen Esstisch, Modell Saarinen, liegen einige große Mappen und verpackte Bilder. Getty passt hier gut rein. Sie trägt eine braune Jersey-Kombination von Miu Miu und offenen Sandalen. Auch das schulterlange, graue Haar trägt sie offen. Wie immer eigentlich.
Giesela Getty hat einen „Look“, ein konsequentes, medienwirksames Erscheinungsbild. Sie könnte auch Moderedakteurin, oder Designerin sein. Sie ist aber Fotografin, Künstlerin, Autorin, Regisseurin, historische Figur und vieles mehr. Würde man ihr Leben verfilmen, würde daraus ein Mehrteiler werden, oder gleich eine Serie mit mindestens drei Staffeln.
In Berlin-Mitte ist die Energie innovativer
Heute lebt Getty in München, als Teil des sogenannten „Harems“ – den Begriff mag sie nicht, wie sie sagt – von Guru und Alt-Hippie Rainer Langhans. Weil eine ihrer vielen Karrieren aber in Berlin, rund um die sagenumwobenen Kommune eins, begann, liegt die Einstiegsfrage nahe: Wie empfindet sie die Stadt heute, knapp 50 Jahre später?
Vieles sei anders heute als zu der Zeit, als sie noch politische Aktivistin war, sagt sie. Sie erkenne kaum einen Ort wieder. Auch, weil sie heute Mitte und Prenzlauer Berg dem alten Westen vorziehe. „Hier sind die Leute jung, die Energie ist innovativer“, findet sie. Außerdem wohnt ihre Nichte hier.
Aktuell ist sie in der Hauptstadt, weil sie im Rahmen der Art Week ihre Ausstellung „Ashes to Rishikesh“ zeigt. Eine Fotoausstellung, die das letzte Jahr ihrer Zwillingsschwester Jutta Winkelmann dokumentiert, die sie 2017 nach einer langen Krebserkrankung verlor.
Damals lebte Getty noch in Los Angeles. Als es der Schwester sehr schlecht zu gehen begann, reiste sie zu ihr und begleitete die letzten Monate. Dass sie in oft intimen, leidvollen und vor allem emotionalen Momenten, die iPhone-Kamera auf die Sterbende hielt, war von der Schwester gewollt. Sie selbst hatte noch ein Buch verfasst: „Mein Leben ohne mich“, dass sich eher wütend und verzweifelt mit dem Umstand auseinandersetzte, dass sie bald nicht mehr ist.
Sich einem Schrecken zu stellen, durch die Tür der Angst zu gehen, bedeutet auch immer, dass man dahinter einen Ausgang findet
Gisela Getty, Fotografin
„Später, ungefähr drei, zwei Monate vor ihrem Tod, hat sie dann ihre Angst verloren“, erinnert sich Getty. Von dem Moment an, hatte sie eigentlich den Wunsch noch etwas zu hinterlassen, was auch anderen Menschen die Angst nimmt. Weil sie dafür zu schwach war, übertrug sie diese Aufgabe auf die Hinterbliebenen. Ein Resultat davon sei die Ausstellung, die gleichzeitig auch therapeutische Aufarbeitung der letzten Jahre ist.
Bilder vom Tod rühren an der deutschen Psyche
Leicht war und ist die Erinnerung, die sich in den Fotografien manifestiert, für Getty bis heute nicht. Zum einen war da die für sie nicht vollständig geklärte Zwillingsproblematik: Ein Leben lang, wollte sie sich von der Schwester emanzipieren, als eigenständige Person wahrgenommen werden. Die Dynamik der Schwestern vergleicht sie mit einem Gefängnis, in dem sie Wärter und Gefangene zugleich war. Zum anderen ist da die große Trauer, der große Schmerz über den Verlust eines unvergleichbar nahestehenden Menschen. „Im Gegensatz zu ihr, konnte ich mich noch nicht so schnell trennen“, sagt Getty. „Sie war in der extremeren Situation, bei ihr ging es ums Ganze“.
Getty wisse, dass viele der Bilder erschreckend sind. „Bilder von sterbenden Menschen rühren an der deutschen Psyche“, sagt sie. Der Tod ist ein Tabu, der Assoziationen mit Krieg und ähnlichem Grauen hervorruft. Auch dafür soll die Ausstellung dienen. Der Tod soll enttabuisiert werden. „Als ich jung war, war es die Sexualität, mit der sexuellen Revolution haben wir versucht das zu brechen. Ähnliches müsste heute mit dem Tod passieren.“

© Gisela Getty
Sie selbst und auch die Schwester versuchten sich den Umgang mit dem Tod schon seit vielen Jahren zu nähern. Als spirituelle Lehrmeister in diesen Fragen nennt sie Rainer Langhans, mit dem zusammen sie bis heute „Sterben lernen“. Durch Meditation und anderen Praktiken, den Geist, wenigstens zeitweise, von der Materie des Körpers befreien. Die Gründe, warum sie damit anfingen, sind individuell. Die einen suchten den Weg nach innen nach dem Höhenflug der 68er, auf den für viele eine gewisse Depression folgte.
Die eigene Vergänglichkeit vergegenwärtigen
Für Getty sind es eher die traumatischen Erlebnisse, die sie mit und aufgrund ihres später dritten Ehemanns Paul Getty III durchleben musste. 1973 wurde dieser, als Enkelsohn des damals reichsten Manns der Welt, in Rom entführt. Weil der Großvater das Lösegeld über Monate nicht zahlen wollte, schnitten die Entführer Paul Getty ein Ohr ab und schickten es als Drohung an eine Zeitung, während die Zwillinge Jutta und Gisela zeitweise selbst Teil der Ermittlungen waren, verdächtigt wurden.
Heute scheint Gisela Getty auf die Zeit mit einer bewundernswerten Gelassenheit zurückzublicken. Allgemein wirkt sie eher distanziert, ihre eigene Geschichte betreffend. „Sich einem Schrecken zu stellen, durch die Tür der Angst zu gehen, bedeutet auch immer, dass man dahinter einen Ausgang findet, der einen die Dinge ganz anders wahrnehmen lässt“ erklärt sie. Von der Opferkultur, in der wir heute lebten, hält sie auf vielen Ebenen nichts.
Das Leben verstreicht so schnell, als hätte ich in meiner Jugend kurz geblinzelt und schon war ich alt
Gisela Getty, Fotografin
Dass man viele ihrer Glaubenssätze leicht als esoterisches Geschwafel abtun kann, weiß sie. Es ist nun mal schwer, innere Prozesse, die man durchmachte, zu erklären. Das Risiko, missverstanden zu werden, ist groß. Getty wagt es trotzdem. Oder genau deswegen.
Der Tod ihrer Schwester war nicht der erste, den sie intensiv begleitete. Auch bei ihrer großen Liebe Paul, bei ihrer Mutter, teilweise bei ihrem Vater und bei einem guten Freund aus Los Angeles war sie dabei. Die einzelnen Erfahrungen könne sie aber nicht vergleichen. „Das ist jedes Mal ein anderes Leid“. Was sie aber immer wieder erlebte, sei die Vergegenwärtigung der eigenen Vergänglichkeit.
„Das Leben verstreicht so schnell, als hätte ich in meiner Jugend kurz geblinzelt und schon war ich alt“. Die Lehre, die sie daraus ziehe, ist, dass das Leben nur geliehen sei und man die kurze Zeit, die man Leben nennt, gut nutzen solle. „Man sollte früh anfangen, das ganze Materielle loszuwerden um frei zu werden, um früh zu erkennen, dass es den Tod eigentlich nicht gibt“, sagt sie.
Getty erinnert sich, dass auch ihre Schwester in den letzten Wochen vor ihrem Tod immer mal wieder aus ihrer Mediation erwachte und ähnliches sagte: „Ich möchte euch eigentlich so viel erzählen, aber das mache ich später“, oder: „Geburt und Tod sind nur Übergänge. Wir sind unendlich“.
Die Materie hinter sich lassen
Für viele Menschen mag sowohl die Vorstellung von einem Ende als auch die unmögliche Vorstellung von Unendlichkeit furchteinflößend sein. Getty versteht das. Beide Ängste resultierten daraus, dass der Mensch dazu neigt, alles mit Zeit zu definieren.
Ich bin ziemlich eitel und allein der Vorsatz, es nicht zu sein, reicht leider nicht
Gisela Getty, Fotografin
„Es gibt Zustände, da ist man nicht mehr in Raum und Zeit. Man kann solche Erfahrungen mithilfe von psychedelischen Drogen erleben – was ich getan habe.“ Auch Kunst oder extreme Sportarten könnten Einblicke in eine solche, vorübergehende Grenzenlosigkeit liefern. „Man ist zwangsläufig in den eigenen Mustern und im eigenen Körper gefangen, dem entzieht man sich dann plötzlich für einen Moment und empfindet eine Freiheit, die einerseits vollkommen ungewohnt ist und anfänglich auch Angst machen kann, andererseits fühlt man sich plötzlich komplett normal. So bin ich, so war ich. Ich bin reine Liebe und frei.“
Das materielle Leben, der Körper, sei da hinderlich und auch sie sei bis heute nicht frei von den weltlichen Problemchen, mit denen sich jeder Mensch tagein, tagaus herumschlage. Oberflächlichkeiten, wie die Feststellung, dass man äußerlich altere, obwohl man sich innerlich so jung fühlt wie eh und je. „Ich habe mir natürlich genau überlegt, was ich heute anziehe“, sagt sie. „Ich bin ziemlich eitel und allein der Vorsatz, es nicht zu sein, reicht leider nicht“.
Die westliche Welt sei nun mal eine materielle. Wie irreführend das ist, sehe man, wenn man einen sterbenden Körper betrachtet. „Es ist ja immer wieder erstaunlich; wenn ein Mensch gestorben ist, erkennt man ihn kaum wieder. Wenn der Geist fehlt, beginnt der Körper nach wenigen Tagen zu zerfallen.“ Gisela Getty schafft es, diesen Gedanken als einen tröstlichen zu verkaufen.
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