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Polizeibeamte suchen im Görlitzer Park nach versteckten Drogen.

© Paul Zinken/dpa

Sucht in Berlin: So wollen Berlins Bezirke gegen Drogen kämpfen

Immer wieder nehmen in Berlin Suchtkranke öffentlich Drogen, in Parks und auf Spielplätzen liegen Spritzen. Jetzt soll ein überbezirkliches Netzwerk Abhilfe schaffen.

Von Ronja Ringelstein

Es ist ein sonniger Mittwochmorgen. Ein kleiner Weg führt an dem Spielplatz an der Apostel-Paulus-Kirche im Schöneberger Akazienkiez vorbei, da steht eine Bank. Während Anwohner auf dem Weg zur Arbeit zum U-Bahnhof gehen, Kinder mit Rucksäcken vorbeilaufen, sitzt dort ein Mann, nestelt an etwas in seiner Hand herum. Und dann setzt er sich eine Spritze in den entblößten fleckigen Arm.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Berliner Zeugen werden, wenn sich jemand einen sogenannten Schuss setzt. Schöneberg ist in jüngster Zeit häufiger als früher betroffen. Im März sammelte das Anwohnerbündnis „Clean Kiez“ mehr als 60 Spritzen mit Nadeln auf Spielplätzen in dem Bezirk ein. Doch das Problem ist ein stadtweites. Und es wächst mit ihr.

„Aus meiner Sicht hat sich der Konsum im öffentlichen Raum besonders verändert“, sagt Christine Köhler-Azara. Die 61-Jährige ist Berlins Drogenbeauftragte – und das seit zwölf Jahren. „Dass die Menschen sich öffentlich auf Spielplätzen spritzen, das hat es vor zehn Jahren so gut wie nicht gegeben“, sagt sie.

Ein Pilotprojekt in drei Bezirken

Gegen das Problem, dass Drogenkonsumenten auch für Familien und Kinder in Parks und Grünflächen anzutreffen sind, arbeiten Senat und Bezirke zusammen. Geht es um Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit, ist der Bezirk zuständig, geht es um illegale Drogen, das Land.

Doch es lässt sich kaum trennen, die meisten konsumieren alles. Aber die Zuständigkeiten enden an der jeweiligen Bezirksgrenze. Der letzte stadtweite Suchtsurvey mit aussagekräftigen Zahlen stammt aus dem Jahr 2012. Einen Plan für die ganze Stadt? Gibt es nicht – noch nicht.

In drei Bezirken wird demnächst ein Pilotprojekt starten, initiiert von der Gesundheitsverwaltung, bei der die Landesdrogenbeauftragte ansässig ist, gemeinsam mit dem Quartiersmanagement und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Dabei ist auch der freie Trägerverein Fixpunkt: Neukölln, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sollen eine Interventionstruppe bekommen. Die soll Problembereiche jenseits der bekannten Hotspots erkennen und melden.

Denn eine Schwierigkeit ist: Durch polizeiliche Maßnahmen, wie etwa im vergangenen Jahr im Tiergarten, zersplittert die Szene. Dadurch werden nun kleinere Grüppchen von Heroinkonsumenten an neuen Orten angetroffen. Die Netzwerkgruppe muss nicht an der Bezirksgrenze kehrt machen, sondern soll weitergehen. So soll auch eine Art überbezirkliche Kartografie des Drogenkonsums entstehen. Für manche ist es unfassbar, dass es das noch nicht gibt.

Wie können die Suchtkranken am besten von der Straße geholt werden?

„Es gibt in Berlin kein Gesamtlagebild, das abgestimmt ist mit der Senatsgesundheitsverwaltung, der Polizei und den Bezirken“, sagt der Neuköllner Bezirksstadtrat für Gesundheit, Falko Liecke (CDU). Liecke findet, der Senat mache nicht genug. Im Dezember hatte er Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) in einem Brief auf das wachsende Problem mit Drogenabhängigen und die Verwahrlosung hingewiesen – und er hat Hilfe angefordert.

Die Polizei solle zudem eine Sonderkommission „Opium“ starten. Eine Antwort habe er nicht bekommen. „Der Innensenator hat sich noch gar nicht zum Thema Heroinhandel und Kampf dagegen geäußert. Ich fordere das auf allen Kanälen und es kommt null Reaktion“, sagt Liecke.

Der Bezirksstadtrat liegt auch mit der Landesdrogenbeauftragten im Clinch. Denn die Frage, wie die Suchtkranken am besten von der Straße geholt werden können, beantwortet jeder anders. Liecke will keine festen Drogenkonsumräume im Bezirk, lieber einen weiteren mobilen Bus, in dem die Kranken hygienisch und unter Aufsicht konsumieren können, was sie sich mitbringen. Andere sehen nur in festen Konsumräumen die richtige Antwort.

„Die Bezirke müssen lernen zu verstehen, es wird uns auf die Dauer nicht retten, wenn jeder Bezirk sagt ,bei mir will ich die aber nicht haben‘. Wir bräuchten dringend einen Konsumraum in Neukölln“, sagt deshalb Köhler-Azara. Der Trägerverein Fixpunkt sucht händeringend nach einer Immobilie in dem Bezirk. Im Gespräch ist ein leerstehender Laden in der Karl-Marx-Straße.

Doch ob das klappt, ist offen. Denn ein weiteres Problem ist: Private wollen zu diesem Zweck nicht vermieten, also müssen die Bezirke eigene Grundstücke bereitstellen. Doch mit dem Thema lasse sich politisch kein Blumentopf gewinnen, sagen viele. Es sei nicht „en vogue“ sich für Suchtkranke einzusetzen.

"Ich könnte hier locker noch mal drei Sozialarbeiter beschäftigen"

Andere sind mit der Arbeit der langjährigen Drogenbeauftragten zufrieden. Suchtberatungsstellen und die niedrigschwelligeren Angebote zeugten von einer engen und guten Zusammenarbeit. Wer sich als Außenstehender über die Arbeit der Drogenbeauftragten informieren möchte und dafür – naheliegend – zunächst ihre Internetseite ansteuert, dem bietet sich ein trauriges Bild. Unter der Rubrik „Über uns“ findet sich ganz oben ein Bild mit „Staatssekretärin Emine Demirbüken-Wegner“ – die ist von der CDU und seit 2016 nicht mehr im Amt. Passiert da nichts Neues?

Köhler-Azara zeigt sich bei dem Thema zerknirscht. Einsparungen hätten dazu geführt, dass sich niemand mehr um die Website kümmere. Für den Außenauftritt fatal, gibt sie zu. Auch einen Suchtsurvey hätte sie gerne häufiger, im nächsten Jahr soll nun ein neuer kommen.

Denn nicht nur die Bürger, die vermehrt verwahrloste Drogenabhängige im Straßenbild wahrnehmen und Spritzen von Spielplätzen sammeln, fragen sich, was in Zukunft kommt. Die freien Träger der Suchthilfe brauchen mehr Geld. „Es ist zwar ein größerer Doppelhaushalt verabschiedet worden, aber davon spüren wir nichts“, sagt Andrea Piest, Leiterin des Drogennotdienstes am Nollendorfplatz. „Ich könnte hier locker noch mal drei Sozialarbeiter beschäftigen, um dem Klientenansturm auch gerecht zu werden.“

Den Notdienst gibt es seit 1984. Er hat 365 Tage im Jahr geöffnet. Und ist als einzige Einrichtung für alle zuständig, unabhängig davon, in welchem Bezirk sie gemeldet sind. Es dürfen alle kommen und es kommen alle. Im vergangenen Jahr waren es 2499. Etwas mehr als ein Drittel von ihnen nehmen Opiate, also Heroin. Oft gemischt mit Kokain, dann gespritzt.

Vor allem viele EU-Bürger gehören zu ihren Klienten, berichtet Piest, zumal aus den Ländern im Osten. Polizeilich seien sie nicht in Berlin gemeldet – und fallen durchs Raster. Durch steigende Mieten verschlimmere sich außerdem die prekäre Lage. Der soziale Abstieg führt zu Krisen. Dann Drogen, Sucht.

Die Probleme werden nicht von alleine verschwinden

„Es hat sich eine offene Opiatkonsumszene gebildet“, sagt Andrea Piest. „An der Eisenacher Straße beispielsweise und generell entlang der U7.“ Dazu die U8 und die U9 – das sind die Drogenkurierbahnen Berlins. Die jeweiligen U-Bahnhöfe an den Strecken sind die bekannten Hotspots – Herrmannstraße, Kottbusser Tor, Osloer Straße, Leopoldplatz. Süchtige fahren U-Bahn, bis sie einen Verkäufer gefunden haben, dann konsumieren sie, meist gleich in der Nähe.

„Vielen ist noch nicht bewusst, wie groß das Problem ist. Weil wir das nur so kleinteilig erfassen“, sagt Oliver Schworck (SPD), Bezirksstadtrat für Gesundheit in Tempelhof-Schöneberg. Auch er würde bei dem überbezirklichen Netzwerk-Projekt langfristig gerne mitmachen.

Starten wird es ab Juli, mit einem Monitoring. Die Landesdrogenbeauftragte hofft darauf, im nächsten Jahr dann besser reagieren zu können als heute. Denn dass das Problem – verwahrloste Abhängige, Konsum vor aller Augen, Spritzen in Parks – von alleine aus der Öffentlichkeit verschwindet, das glaubt keiner der Beteiligten.

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