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Berlin: Tauben in Moskau, Falken in Ost-Berlin

Eine amerikanische Studie belegt: Ulbricht setzte den Bau der Berliner Mauer gegen den Willen der Russen durch

Acht Jahre lang bettelte SED-Chef Walter Ulbricht in Moskau, endlich eine Mauer um West-Berlin bauen zu dürfen. Acht Jahre lang hörte er immer nur ein Njet. „Nein, ihr dürft die Grenze in Berlin nicht schließen“, kabelte die sowjetische Führung schon im März 1953 an die Ost-Berliner Führung. „Technisch“ sei es fast unmöglich, eine Stadt in zwei Städte zu teilen, und politisch würde dies den extremen Hass der Berliner auf die kommunistischen Regimes in der DDR und in der Sowjetunion heraufbeschwören. Stattdessen forderte der Kreml von den deutschen Genossen, einen sanfteren innenpolitischen Kurs zu verfolgen und sich nicht fast die gesamte Bevölkerung zum Feind zu machen. Das ist das Ergebnis der Forschungen der US-Historikerin Hope M. Harrison, die derzeit Fellow an der American Academy in Berlin ist.

Sie hatte Anfang der 90er Jahre das Glück, am richtigen Ort zu sein. Denn nur für kurze Zeit standen damals Moskauer Geheimarchive der Kommunistischen Partei für ausländische Wissenschaftler offen. Harrison fand Dokumente, die ihrer Ansicht nach belegen, dass es nicht die Russen waren, die den Bau der Berliner Mauer forcierten – sondern dass diese sie sogar bekämpften. „Die Tauben saßen zu dieser Zeit in Moskau, die Falken aber in Ost-Berlin“, sagte Harrison dem Tagesspiegel. Deutsche Historiker loben Harrisons Erkenntnisse, die sie kürzlich in einem bisher nicht übersetzten Buch in den USA publizierte, als „einleuchtend“. HansHemann Hertle vom Potsdamer Zentrum für zeithistorische Forschung: „Seit Jahren wird diskutiert, wer nun hinter dem Mauerbau stand. Hope Harrison liefert die härteren Argumente dafür, dass es Ulbricht war.“

Und der setzte sich am Ende schließlich auch durch. Nach jahrelangem Drängen bekam er im Sommer 1961 die Erlaubnis für den Mauerbau. Die Hintergründe: Zum einen hatte er demonstrativ Kontakt zum chinesischen Staatschef Mao aufgenommen. „Beide hielten Chruschtschow für zu schwach gegenüber dem Westen“, sagt Harrison. Diese sich abzeichnende Achse habe den sowjetischen Staatschef unter Druck gesetzt. Außerdem waren dessen Berlin-Verhandlungen mit US-Präsident Kennedy in Wien Anfang Juni 1961 ohne Ergebnis geblieben. „Das spielte Ulbricht in die Hände.“ Und schließlich konnte Chruschtschow die Flüchtlingsströme nach West-Berlin nicht mehr ignorieren. Denn die Gefahr, dass die DDR darüber zusammenbrechen könnte, war ihm zu groß. Im Machtkampf um die sowjetische KP-Führung nach Stalins Tod waren zwei von Chruschtschows Kontrahenten mit dem Vorwurf geschasst worden, sie wollten die DDR an Westdeutschland verscherbeln. Und das wollte sich Chruschtschow keinesfalls selbst vorwerfen lassen, sagt Harrison.

Doch der SED-Chef konnte sich nicht in allen Punkten durchsetzen. Sein Wunsch, die Souveränität über die Transitstrecken und die Luftlinien nach West-Berlin zu erlangen, blieb unerfüllt. Aus einem einfachen Grund: „Chruschtschow hatte Angst, dass Ulbricht dann die Alliierten drangsalieren und so einen Krieg auslösen könnte.“

Hope M. Harrison wird am heutigen Donnerstag ihre Forschungsergebnisse in einem auf Englisch gehaltenen Vortrag in der American Academy, Am Sandwerder 17-19, Wannsee, präsentieren. Beginn 20 Uhr. Telefonische Anmeldung unter 804830.

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