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Historisch: Die Hungerharke am Flughafen Tempelhof erinnert an andere Zeiten.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Tempelhof: Wo viel Platz zum Spielen ist

96 Ortsteile hat die Stadt. Jens Mühling bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf NR. 84: Tempelhof.

Fläche: 12,2 km² (Platz 21 von 96)
Einwohner: 61889 (Platz 19 von 96)
Durchschnittsalter: 42,5 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Michael Müller (Regierender Bürgermeister), Marta Hillers (Journalistin)
Gefühlte Mitte: U-Bahnhof Alt-Tempelhof

Der Flughafen Tempelhof hat zwei Seiten. Auf der einen, der nordwestlichen Seite, steht die Hungerharke. Das Luftbrückendenkmal wird so genannt, weil es an eine Zeit erinnert, in der es den Berlinern nicht besonders gut ging. Im Westen der Stadt bangten die Menschen 1948 und 1949 um ihre Unabhängigkeit, ihre Freiheit, um ihr Überleben, auch im Osten fürchteten sie, dass sich das Blockadegerangel zwischen den Kontrahenten des Kalten Kriegs zu einem neuen heißen Krieg auswachsen könnte.

Auf der anderen, der südöstlichen Seite des Flughafengebäudes, liegt das Tempelhofer Feld. Es ist so etwas wie das Denkmal einer Ära, in der es den Berlinern äußerst gut geht. Auf dem Tempelhofer Feld treffen sich Menschen aus dem Westen und dem Osten der Stadt, um Drachen steigen zu lassen, Rollschuh zu laufen, Fahrrad zu fahren, Minigolf zu spielen. Für diese und andere kindliche Freuden klafft inmitten der Stadt ein 355 Hektar großes Loch, das trotz Wohnungskrise nicht anderweitig genutzt, geschweige denn bebaut werden darf. Eingebrockt haben den Berlinern diesen Irrsinn nicht etwa ihre Politiker, sondern ausnahmsweise sie selbst: Durch einen Volksentscheid haben sie das Tempelhofer Feld 2014 zum Hedonistenspielplatz erklärt, gegen den erklärten Willen ihres Bürgermeisters Michael Müller, der nebenbei bemerkt Tempelhofer ist und am Westrand des Flugfelds einst mit seinem Vater eine Druckerei betrieb.

Derzeit hat das Tempelhofer Feld noch eine dritte Seite. Neben dem Terminalgebäude, unmittelbar angrenzend an die Rollbahnen, stehen Flüchtlingscontainer. Die Flüchtlinge sind von den Freizeitliebhabern auf dem Feld durch einen hohen, aber durchsichtigen Metallzaun getrennt. Aus den Fenstern ihrer Container können sie den Berlinern dabei zusehen, wie diese die wahrscheinlich glücklichste Ära ihrer Stadtgeschichte genießen.

Als ich mich dem Zaun näherte, sah ich dahinter drei Jugendliche in der Oktobersonne sitzen – Syrer, wie sich herausstellte. Sie sprachen kein Deutsch und nur wenig Englisch. Als ich fragte, was sie von dem Treiben auf der anderen Seite des Zauns hielten, zeigten sie mir drei erhobene Daumen. Der Anblick eines Spaßflughafens, dachte ich, ist sicher besser als der Anblick eines zerbombten Flughafens.

Ansonsten besteht Tempelhof aus baulich sehr gemischten Wohngegenden. Rund um den Ortsteilkern in Alt-Tempelhof haben ein paar niedrige Bauernhäuser den Krieg überstanden, im weiteren Umkreis dominieren die üblichen Mietskasernen. Von Norden her schlägt die Manfred-von-Richthofen-Straße eine Schneise der Gentrifizierung in den Ortsteil, an deren Rändern Tempelhof schwer nach Schöneberg oder Kreuzberg 61 aussieht. Die Straße mündet, wie ihr Name nahelegt, ins historische Fliegerviertel, gebaut von 1911 bis in die 60er Jahre und heute der zentrumsnahe Einfamilienhaustraum jeder alternativ bewegten Berliner Jungfamilie.

Wie ich hörte, ist dieser Traum allerdings ein trügerischer. Eine Frau erzählte mir von einer Familie, die hier nach jahrelangem Suchen ein Haus bezogen hatte, weil die Eltern ihrer Tochter einen Garten zum Spielen bieten wollten. Inzwischen war die Tochter in der Pubertät und schrie den Eltern täglich ins Gesicht, wie sehr sie den spießigen Garten hasste.

Was wohl künftige Generationen vom Tempelhofer Feld halten werden?

Alle Folgen

Über 80 Ortsteile hat Jens Mühling bereits besucht. Alle Folgen seiner Kolumne „Mühling kommt rum“ finden Sie auf unserer Internetseite unter: www.tagesspiegel.de/96malberlin

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