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Der Rapper Testo von „Zugezogen Maskulin“. Mit bürgerlichem Namen heißt er Hendrik Bolz.

© Doris Spiekermann-Klaas/Tsp

Die Baseballschlägerjahre in Ostdeutschland: „Es war normal, dass Naziparolen gerufen wurden“

Hendrik Bolz ist Teil des Rap-Duos „Zugezogen Maskulin“. Im Interview spricht er über Rechtsextreme, den Osten und deutschen Hip-Hop.

Es ist kurz nach 9 Uhr morgens, in dem kleinen Café in der Auguststraße, Berlin-Mitte, nimmt eine junge Barista mit skandinavischem Akzent Bestellungen für Hafermilch-Cappuccinos entgegen. Hendrik Bolz, Teil des Rap-Duos Zugezogen Maskulin, das am Sonnabend zum Mauerfall-Festakt vor dem Brandenburger Tor auftritt, kommt etwas zu spät.

„Ich stand im Stau“, entschuldigt er sich, „für die Bühne sind rund um das Brandenburger Tor schon alle Straßen abgesperrt“. Bolz, bekannter unter seinem Künstlernamen Testo, ist das Thema Mauerfall und Wendezeit ein besonderes Anliegen.

Er wurde 1988 geboren, wuchs in Stralsund auf. Kürzlich hat er für den „Freitag“ einen Text über diese Zeit geschrieben. Darin erzählt er, wie Naziparolen, Springerstiefel und mit Baseballschlägern bewaffnete Faschos zu seinem Alltag gehörten.

Der Journalist Christian Bangel nahm diesen Artikel zum Anlass, den Hashtag #baseballschlaegerjahre ins Leben zu rufen, unter dem nun Menschen von ihren Erlebnissen mit Rechtsradikalen in den neunziger und nuller Jahren berichten. Dabei geht es nicht nur, aber viel um Ostdeutschland. Für Bolz ist dabei klar: Um dem aktuellen Rechtsruck etwas entgegenzusetzen, hilft nur eine Aufarbeitung der Nachwendezeit.

Herr Bolz, Sie spielen am Samstag mit Zugezogen Maskulin beim Mauerfall-Jubiläum. Was bedeutet Ihnen dieses Ereignis?
Ich bin gerade erst dabei, mir diese Themen zu erarbeiten. Als die Mauer fiel, war ich ja noch ein Kleinkind. Während meiner Kindheit und Jugend wurde nicht über die DDR und die Zeit damals gesprochen. Das hatte zur Folge, dass ich eher mit der westdeutschen Geschichte aufgewachsen bin und mehr über die RAF wusste als über das SED-Regime.

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Warum haben Sie dann angefangen, sich mit Ihrer ostdeutschen Herkunft auseinanderzusetzen?
Als das mit Pegida und dem Rechtsruck losging, habe ich mich gefragt, was da los ist, warum die Leute so sind. Ich bin bei der DDR-Geschichte und der Wiedervereinigung gelandet und habe festgestellt, dass da viele Leerstellen sind. Dass meine Identität eigentlich auf einem großen Schweigen fußt. Und ich glaube, das geht vielen so, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind.

Deshalb ist es wichtig, dass darüber gesprochen wird.
Genau. Viele, vor allem Westdeutsche, wissen ja gar nicht, was die deutsche Einheit im Osten bedeutet hat: Strukturwandel, Arbeitslosigkeit, der Zusammenbruch von allem, was man kannte. In meinem Leben war es total normal, dass es Neonazis gab, die auf Spielplätzen saßen, die „Heil Hitler!“ gerufen und Leute verprügelt haben. Und die gleichzeitig Kassierer im Supermarkt oder Erzieher im Ferienlager waren. Regelmäßig gab es ostdeutschlandweit rechte Übergriffe. Aber das ist weder im ostdeutschen noch im gesamtdeutschen Bewusstsein angekommen. Das ist so ein verdrängtes Trauma, das endlich aufgearbeitet werden muss.

Wieso wurden Sie nie Teil dieser Szene?
Das ist eine schwierige Frage. Ich hatte ja das Glück, 1988 geboren zu sein und nicht zehn Jahre früher. Ich kann mir schon vorstellen, dass es auch Spaß macht, endlich mal der Stärkere zu sein, wenn man in einem totalitären Staat aufgewachsen ist, einem immer nur von anderen gesagt wurde, was man tun und lassen soll. Wer weiß, ob ich da nicht genauso reingerutscht wäre, wenn ich damals Jugendlicher gewesen wäre. Im Laufe der 2000er wurde dann bei uns Rap die vorherrschende Jugendkultur, was dazu geführt hat, dass viele ehemalige Neonazis auf einmal Rapfans waren, ein paarmal öfter ins Solarium gegangen sind und ihre Springerstiefel gegen Turnschuhe getauscht haben.

Das heißt, es wurde einfach so weitergemacht, als wäre nie was gewesen?
Genau. In den Neunzigern wurde vieles nicht aufgearbeitet oder sogar vertuscht, teilweise aus Scham vor dem Westen. Taten von Rechtsextremen wurden als Rowdytum abgetan. Die „Taz“ hat es letztens gut beschrieben: Im Osten werden heute noch oft rechte Strukturen behandelt wie die Mafia – man streitet ihre Existenz ab oder traut sich nicht, laut darüber zu sprechen.

Was kann man tun, damit die AfD und die Rechten im Osten nicht noch mächtiger werden?
Man sollte aufhören, Angst davor zu haben, was irgendjemand im Rest des Landes denkt. Man muss das Problem angehen. Es ist auch wichtig, die Symptome zu bekämpfen: Gegendemos organisieren, Demokratieeinrichtungen aufrechterhalten. Aber vor allem muss Aufarbeitung her, muss man rausfinden, warum rechtes Gedankengut in Ostdeutschland so gut gedeiht.

Hat das noch viel mit der DDR-Zeit zu tun? Da wurden ja ausländerfeindliche Attacken auch vertuscht.
Ja. Natürlich hat das auch etwas mit der Globalisierung und Neoliberalismus zu tun - Nationalismus, der Rechtsruck, das sind nicht nur deutsche Probleme. Aber es hat auch viel mit DDR-Traditionen, totalitären Tradierungen zu tun, die an die Folgegeneration weitergegeben wurden. Die DDR war ja auch, obwohl sie natürlich offiziell antifaschistisch war und es keine Ausländerfeindlichkeit gab, eine abgeschlossene weiße Gesellschaft, wo die Vertragsarbeiter in Mietskasernen gewohnt haben. Und wenn sie schwanger geworden sind, wurden sie nach Hause geschickt. Das war alles andere als eine bunte, multikulturelle Gesellschaft.

Formiert sich gerade eine künstlerische Gegenbewegung? Zwei der momentan interessantesten deutschen Rapper, der Kraftklub-Sänger Kummer und Trettmann, der am Samstag auch am Brandenburger Tor spielt, kommen ja aus dem Osten.
Ja, ich denke, dass da gerade ein Aufarbeitungsprozess entsteht.

Sollte es mehr von dieser politischen Musik geben?
Nicht unbedingt politisch, aber es braucht mehr interessante Musik, vor allem im Hip-Hop. Bei vielen erfolgreichen Künstlern geht es nur noch um Geld und darum, was man sich damit kaufen kann. Das ist für mich konsumistischer, neoliberaler Dreck. Ich glaube, dass Rap gerade in einer Sackgasse steckt und seine gesellschaftliche Relevanz verliert. Er ist zwar kommerziell erfolgreich, aber superuncool in seiner derzeitigen Form. Ich bin gespannt, welche Musik als Nächstes kommt. Was hören denn die Fridays-for- Future-Kids? Vielleicht hören die auch gar keine Musik mehr.

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